Heldengeschichten sind Geschichten, in denen das erzählt wird, was »hinter uns« liegt: Gott sei Dank! Wir malen uns gern Helden aus, weil wir gerne in der Phantasie Abenteuer erleben, die uns die Wirklichkeit erspart. Es ist wie bei der Marlboro-Reklame, als es die im Kino noch gab. »Der Geschmack von Freiheit und Abenteuer«? – achwo, vielleicht ein kleines Kälbchen auf dem Arm, dann Feierabend, Gartengrill, Bier, ’ne Zigarette. – Schon Ilias und Odyssee sind Spätzeitgeschichten. Achill zeigt, eine wie prekäre Existenz ein narzißtischer Heerführer ist, der prätendiert, aus eigenem Heldenrecht zu agieren, und Odysseus gelingt es zwar, dem Riesen Polyphem, nachdem der einige seiner Gefährten gefressen hat, mit Hilfe der Überlebenden sein eines Auge auszustechen, aber er ist kein Held, weil er stärker ist – kein Herakles, kein Theseus, kein Dietrich –, sondern weil er intelligenter ist, meinethalben schlauer, weil er postheroische Tugenden erfolgreich repräsentiert. Am Ende kommt er nach Hause und – ist wieder König und hat seine Frau wieder. Kein Held.
Kleist gibt uns in seinem Prinzen von Homburg einen, der ein Held sein möchte und eine Frau kriegen. Er schlägt sich in der Schlacht zwar gut, aber befehlswidrig, wodurch er zwar eine Art heldenhafte Draufgängerei an den Tag legt, aber, weil man in kriegerischen Dingen keine Helden braucht, sondern ein koordiniertes Vorgehen, den Schlachtplan vermasselt. Am Ende steht etwas wie eine Scheinhinrichtung und eine Abkehr von individuellen Ambitionen: »in den Staub mit allen Feinden Brandenburgs!« Das Stück ist auch ein Wink: Du sollst dir keine Lorbeerkränze winden, heutzutage gehört der Lorbeer in die Küche. – Ernst Jünger inszeniert seine Kriegserlebnisse nicht als neubeatmete Heldengeschichten, seine Phantasie ist der entindividualisierte Held (beschreiben tut er den durchhaltenden und den traumatisierten Soldaten).
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Wo Heldengeschichten gern und mit Vergnügen gelesen werden oder in Kinos locken, wird man – und das ist trivial – sagen können, daß sie einem Bedürfnis nachkommen, die Kinos blieben sonst leer, die Bücher ungelesen. Ob einer einem Gestellungsbefehl oder einer Mobilmachung oder einem Werbeslogan à la »Uncle Sam needs You!« bereitwilliger folgt, wenn er zuvor Blickkontakt mit einer Rolandsäule genommen hat? Kaum. Die Heldengeschichte hat keinen propagandatauglichen Einsatzort, auch wenn das Nibelungenlied ein Metaphern- und Gleichnisschatz in den deutschen Kriegen des 20. Jahrhunderts gewesen ist (vom (Kalauer!) »Siegfrieden« über den »Dolchstoß« bis zu »Etzels Halle« (Stalingrad)), aber schon das Nibelungenlied selbst ist eine Sache für sich und jedenfalls keine Heldengeschichte im hier behandelten Sinn.
Egal, wie ihr politisches Umfeld beschaffen ist, Heldengeschichten leben oder leben immer mal wieder auf, und sei es in der grandiosen, komplex-raffinierten Dekonstruktion (endlich kann man dieses Wort einmal benutzen) durch Clint Eastwoods Unforgiven, oder, ganz etwas anderes, in Silvester Stallones Rambo. Auch dieser Film ist eine Geschichte, in der der Held eigentlich nicht mehr funktioniert. Rambo ist ein Vietnamkriegsveteran, dem es nicht gelungen ist, sich ins Zivilleben zu integrieren – in der deutschen Nachkriegsliteraturgeschichte heißt er »Beckmann« (ja, die Hauptfigur von Draußen vor der Tür) –, und wird von einem Sheriff, der keine Landstreicher mag, übel behandelt. Er erleidet einen Flashback (er war in vietnamesischer Gefangenschaft gefoltert worden), und nachdem er zunächst versucht hat, sich im Wald zu verstecken, und dann seine Verfolger erfolgreich, aber mit letalem Ausgang abwehrt, verwüstet er am Ende die Stadt, die ihn nicht will – er ist zu der Kampfmaschine geworden, zu der man ihn ausgebildet hat. Zwar mag der Zuschauer nach Hause gehen und sich sagen, daß die USA den Krieg gewonnen hätten, hätte man nur genügend Rambos gehabt (und die machen lassen), aber das ist nicht der Schluß des Films. Rambo gibt weinend auf (und auch in den folgenden Filmen bleibt er bei aller ihm hier oder da zuteil werdenden Anerkennung eine aus der Zeit gefallene Figur, im letzten Teil wird er zum sinistren Schlächter, der zwar die Richtigen umbringt, aber nicht einmal das sieht man mehr gerne).
Die Pointe der klassischen Heldengeschichte, die Unintegrierbarkeit des Helden in die Welt, die zu schaffen es ihn gebraucht hatte, legt sich wie ein Schatten über die Versuche, neue Helden zu erschaffen. Superman ist zwar stark und bunt, aber ein Waisenkind, und Lois Lane bekommt er nicht, auch der Status des Pensionärs winkt ihm nicht. Batman ist ein schwer traumatisierter Junge, der sich in einer Stadt des Verbrechens ein düsteres Under-cover-Rächer-Königreich schafft, aus dem er zu Sieg um Sieg aufbricht, aber seine Zivilexistenz (der Millionär Bruce Wayne) und seine selbstauferlegte Traumabearbeitung können nicht zusammenkommen und er darum nicht zu den Frauen, die er liebt.[8] Der Hulk ist durch seinen skrupellosen Vater, der einen Supermann züchten wollte, zu einem Atomkrüppel geworden, der allerdings, wenn er zornig wird, zu einem unglaublich riesigen Riesen aufschwillt und mit Hubschraubern um sich werfen kann. Am Ende – hatten wir erwähnt, daß ihn eine Frau liebt, aber es kann naturgemäß nichts daraus werden? – flieht er in den unwegsamen südamerikanischen Dschungel, wo er irgendwas Nützliches treibt, immer bis er Rauschgiftschmugglern begegnet, denen er dann in Hulk-Gestalt den Garaus macht. So lebt er als eine Art prähistorisches Sumpfmonster, wenig erfolgreich, denn Heroin und Kokain gibt es bekanntlich immer noch. Der Hulk ist ein besonders trauriger Nicht-Held, als habe die Trauer des Drehbuchs, aus so einer Erfindung keinen Helden machen zu können, auf die Figur, nunja: abgefärbt. – Auf die Schwemme der sogenannten »Superhelden«-Filme will ich nicht eingehen, die Tatsache der Schwemme signalisiert, daß da etwas leerläuft. Wenn es Heldenfilme sind, werden sie mal mehr, mal weniger gelungen das klassische Schema wiederholen oder so abwandeln, daß man es wiedererkennt, oder es sind Filme über sehr starke oder sehr brutale Leute, von denen man nicht so genau weiß, was sie sollen. Etwa wie »Wonderwoman«, aber zu ihr später. Letztlich sind die »Superhelden«-Filme aus dem Genre der Kasperle-Geschichten entstanden. Eine Hauptfigur mit einem besonderen Attribut, das sie befähigt draufzuhauen (bei Kasperle: die »Pritsche«), und ein Krokodil oder ein Räuber, die am Ende gehauen werden. Kasperle kann auch einen Gefährten haben, Seppel, bei Kara ben Nemsi ist es Hadschi Halef Omar. Bei Old Shatterhand wird Seppel zum homoerotischen Begleiter, der dann aber beseitigt werden muß, denn es kann nur einen Kasper geben.[9]
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Ich gebe jetzt meinen Gedanken über Helden(-Geschichten) eine etwas andere Wendung und greife das Stichwort des Narzißmus auf, das oben im Zusammenhang mit Wilhelm Tell und Achill gefallen ist.[10] Narzißmus ist nicht das, was der Alltagsgebrauch des Wortes will, Kennzeichnung enervierender Selbstverliebtheit oder (bei Machtmenschen) nicht ungefährlicher Selbstbezogenheit. Narzißmus ist, zunächst, eine Selbstbezogenheit, ohne die Menschen nicht überleben. Er ist, zum zweiten, die Triebkraft, Besonderes zu leisten, sich, wie man sagt, »hervorzutun«. Keine kulturellen Leistungen ohne den Narzißmus ihrer Urheber. Die Kultur des sogenannten »alten Griechenland« war eine, die den Narzißmus extrem belohnte. Das Lebensmotto der adligen Krieger in der Ilias