Europa. Hannes Hofbauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hannes Hofbauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783853718834
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gegen Polen beschäftigt. Frankreich hätte also freie Bahn in Ägypten und, so der schlaue Zusatzgedanke, würde dort auch indirekt holländische Expansionsgelüste in Ostasien behindern können. Denn von Ägypten sei der Weg für Frankreich nach Osten offen.38 Den »Ägyptischen Plan« hat Ludwig XIV. nie zu Gesicht bekommen. Anstatt Ludwig XIV. traf Leibniz mit dem russischen Zaren Peter I. (dem Großen) zusammen. In ihm sah er jenen Mann, der Russland zivilisieren und für die Teilnahme an einem aufgeklärten Europa vorbereiten könne.

       Napoleons Europa: Durch Expansion zur Einheit

      Die Französische Revolution des Jahres 1789 wurde ihrem Namen gerecht: revolvere, umdrehen, das Untere nach oben spülen, die Verhältnisse auf den Kopf stellen, im sozialen Sinn genauso wie in Fragen der politischen Herrschaft. Sie war die Antithese zu allen vorher erdachten Europavisionen. Von einer herbeigewünschten »christlichen Einheit« konnte keine Rede mehr sein; das Prunkstück der französischen Gotteshäuser, die allerchristlichste Notre Dame de Paris, diente als Lagerhalle für Lebensmittel und Waffen; und selbst den auf Jesu Geburt datierten Kalender ersetzte man durch eine neue Zeitzählung. Der selbstherrliche Sonnenkönig Ludwig XVI. starb unter der Guillotine, die Volkssouveränität trat an seine Stelle. Der Begriff Europa kam in den revolutionären Texten nicht vor, stattdessen berauschte sich das Volk am nationalen Hochgefühl, die absolutistische, ausbeuterische Schreckensherrschaft der Monarchie abgeschüttelt zu haben. Dass man selbst bald daran ging, mit der Guillotine auch Fraktionskämpfe auszutragen, blieb der Nachwelt als Grausamkeit in Erinnerung.

      In den späten 1790er-Jahren trieb er oft schlecht ausgebildete Soldatenhaufen in Feldzüge gegen Italien und Ägypten; seine Motivationskraft bescherte ihm Ruhm und Ehre in Militärkreisen. Am 9. November 1799 erklärt sich Napoléon zum Ersten Konsul und die Revolution für beendet. Fünf Jahre später krönt er sich selbst in Paris zum Kaiser. In Austerlitz schlägt er 1805 die österreichischen Habsburger (bereits zum zweiten Mal), erleidet allerdings im selben Jahr eine Niederlage gegen die englische Flotte bei Trafalgar. Nun verhängt der Selbstherrscher die Kontinentalsperre gegen England, das erste große Handelsembargo der neuzeitlichen Geschichte. England soll mit wirtschaftlichem Boykott ruiniert werden. Als sich Zar Alexander I. diesem Embargo nicht anschließen will, marschiert Napoléon am 24. Juni 1812 mit einer halben Million Soldaten in Russland ein. Der Rest ist Niederlage: vor Moskau und nahe Waterloo.

      Gestorben sind für Napoléons Europa-Idee jedoch Hunderttausende auf den Schlachtfeldern. Und am Höhepunkt seiner Macht zeigte sich auch, anders als in den Schriften am Ende seines Lebens, wie er sich die Herrschaft über den Kontinent konkret vorstellte. Alle Macht ging von seiner Person aus und er administrierte die in Besitz genommenen Länder nach patriarchalisch-großfamiliärer Art und Weise, nahm zahlreiche Titel wie die Königswürde von Italien selbst an und versorgte seine engsten Familienmitglieder mit satten territorialen Pfründen. Seinen Brüdern streute er Herrscherwürden über ganz Europa: Joseph erhielt Spanien, Louis wurde König von Holland, ein weiterer Bruder, Jerôme, erhielt das Königreich Westfalen und sein Schwager Joachim Murat das Königreich Neapel. Nepotismus paarte sich mit Despotie.

      Den endgültigen Sieg über den Korsen feierten die drei Monarchen Österreichs, Russlands und Preußens zur Jahreswende 1814/1815 auf dem Wiener Kongress. Die dort von Wien, Moskau und Berlin aus der Taufe gehobene »Heilige Allianz« war ein reaktionäres Bündnis, ein Zurück zum Status quo vor der Französischen Revolution. Kaiser Franz I., Zar Alexander I. und König Friedrich Wilhelm III. stellten