Charles wollte etwas sagen, aber Bella unterbrach ihn.
»Das ist seine Ex-Band. Sie haben sich aufgelöst. Wie immer.«
»Na und?«, knurrte Charles. »Bands lösen sich halt auf, das ist ganz normal.«
»Die meisten schaffen mehr als ein paar Wochen«, sagte Bella.
»Wir sind nicht die meisten.« Charles schien leicht verstimmt. »Und es war 'ne gute Zeit, aber … dann hat es halt nicht mehr gepasst.«
»Nicht mehr gepasst. Da habe ich aber eine andere Version gehört.«
»Blödsinn.« Charles' Blick flackerte zu Korbinian hinüber und er verstand gar nichts mehr.
»Echt? Es lag also nicht an deinen«, sie machte eine flatternde Handbewegung, »romantischen Verwicklungen? Oder an denen von deinem besten Freund? Du weißt schon, der, der alles pudert, was nicht bei Drei auf den Bäumen ist? Der, mit dem du aus allen Bands fliegst?«
Charles verdrehte die Augen.
»Meistens fliegen wir wegen ihm raus. Ich bin ganz harmlos.«
Die Alte lachte dröhnend.
»Sicher. Kam letztens nicht dieser Kerl vorbei und wollte alles kurz und klein schlagen, weil du seine Freundin gepimpert hast?«
»Ich wusste nicht, dass sie seine Freundin war. Ich wusste nicht mal, dass sie überhaupt einen Freund hatte.« Zwischen Charles' Augenbrauen erschien eine Falte. »Und die mochte mich halt. Ich konnte nichts dafür.«
Eine kalte Klaue packte Korbinians Herz. Er kapierte nicht, warum. Aber natürlich hatte einer wie Charles … Sex. Affären. Der konnte sich vor Angeboten bestimmt kaum retten, attraktiv und selbstbewusst, wie er war. Korbinian wäre schon vollkommen glücklich damit gewesen, mal jemanden zu küssen. Irgendwann …
Irritiert merkte er, dass er auf Charles' Lippen sah. Starrte. Er schaute schnell zu Boden und spürte, dass seine Wangen heiß wurden. Hoffentlich hatte das niemand gemerkt …
»B-bist du jetzt in einer neuen Band?«, fragte er.
»Noch nicht.« Charles wiegte den Kopf. »Bald hoffentlich. Ich treff heute Abend jemanden, der 'nen Gitarristen sucht. Was ist mit dir?«
»Mit … mir?«
»Ja, bist du auf der Suche? Willst du in eine Band?«
»Ich?!« Wie konnte Charles … Hatte der Korbinian nicht angeschaut? So, wie er aussah, konnte er auf keinen Fall … Und überhaupt, allein der Gedanke, auf eine Bühne zu treten, verursachte ihm Übelkeit. »Nein, das … kann ich nicht. Glaub ich. Nein.«
»Schade.« Charles zuckte mit den Achseln. »Du bist gut.«
Korbinian wusste, dass er knallrot anlief. Er spürte die Hitze in seinen Wangen prickeln.
»D-d-danke«, brachte er heraus. »Aber ich weiß eh nichts darüber und … ich war noch nie auf einem Konzert.«
»Nicht?« Begeisterung erhellte Charles' Züge. Seltsam. »Willst du? Morgen Abend spielen Orkus Orbus und deren Gitarrist hat eh einen Stil, der ein bisschen wie deiner ist … Komm doch mit.«
Korbinian hätte nicht entsetzter sein können, wenn Charles ihm vorgeschlagen hätte, mit auf die Drachenjagd zu gehen.
»Ich?«
»Wer sonst?«
»Äh.« Korbinian sah an sich herunter. Ja, er trug immer noch die Jacke, die seine Mutter ausgesucht hatte und orthopädische Schuhe. »Ich … seh nicht richtig aus.«
»Ist doch egal, wie du aussiehst«, sagte Charles. Bella warf ihm einen Blick zu, den Korbinian nicht deuten konnte.
»Aber … Danke, aber ich würd mich da nicht wohl fühlen, glaub ich«, stotterte Korbinian.
»Weil du meinst, dass du nicht richtig angezogen bist?«
Er nickte, mit heißen Wangen. Nicht nur deshalb, dachte er. Auch wegen ungefähr tausend anderen Dingen. Charles kratzte sich am Kinn.
»Hast du hundert Euro?«
»J-ja.« Schließlich war vor kurzem erst Weihnachten gewesen. Selbst nach Cherrys Reparatur war noch Geld übrig.
»Perfekt.« Charles fuhr sich durch die Haare. »Wann hast du heute Zeit?«
»Äh, ich …« Was? »Ich treff meine Schwester um eins, an ihrer Uni, also, so um … halb drei. Was willst du …«
»Wir besorgen dir was Passendes«, sagte Charles. »Ist das die Uni Stuttgart? Ich hol dich ab. Muss heute eh nur halbtags arbeiten.«
»O…kay.«
Wilde Freude summte in Korbinian, plötzlich, wie ein Vogelschwarm, der aus dem Nichts auftauchte. Er wollte … Charles wollte ihm helfen? Und mit ihm auf ein Konzert und … Er brachte kaum die Lippen auseinander, um sich zu bedanken. Sie tauschten ihre Nummern aus (er hatte Charles' Nummer!).
Dann packte er Cherry und schwebte praktisch aus dem Laden, nicht, ohne vorher an der Kasse bezahlt zu haben. Irgendwie war das Mädchen dort heute freundlicher. War die ganze Welt freundlicher. War …
»Was ist denn mit dir los?«, fragte Mina ihn, sobald sie in der lärmenden Unimensa Platz nahmen. Essensdüfte vermischten sich mit dem Geruch von schmutzigen Winterstiefeln. Sie saßen inmitten einer lautstarken Menschenmenge auf Plastikstühlen und aßen Tortellini von Plastiktabletts. Immerhin die Teller waren echt. Die Tortellini auch. Ganz gut eigentlich … Oh, Mina hatte etwas gefragt.
»Nichts.« Er lächelte. »War nur ein schöner Morgen. Ich habe jemanden getroffen.«
Minas Augen wurden groß.
»Du hast was? Du …« Sie stockte. »Ein Mädchen etwa?«
»Was? Nein!« Er zuckte zusammen. Sah sich panisch um, aber niemand schien sich für ihn zu interessieren. »Einen Jungen. Mann. Der spielt auch Gitarre und … der will mich nachher treffen und morgen gehen wir auf ein Konzert.«
Minas Kopf legte sich langsam seitwärts. Ihre glatten Haare flossen über ihren hellen Pullover.
»Ist das ein Date oder so?«, fragte sie und Korbinian hätte sich fast verschluckt.
»Nein! Ich … äh. Ich glaube nicht?« Scheiße. An die Möglichkeit hatte er nicht mal gedacht. Er hatte sich nur gefreut, dass Charles etwas mit ihm machen wollte, egal, was. »Ich hoffe nicht? Er … Der war nur so nett und … ich …«
»Was ist das für ein Typ?« Die Augen seiner Schwester wurden schmal. »Kann man dem vertrauen? Woher kennst du den?«
»Aus dem Gitarrenladen. Er hat Che… meine Gitarre repariert.« Korbinian warf einen liebevollen Blick auf den schwarzen Kasten, der auf dem Stuhl neben ihm lag. »Er ist … total cool. Und nett. Er hat mich überhaupt nicht verarscht.«
»Das ist nicht nett, das ist selbstverständlich«, knurrte Mina. »Warum denkst du immer, dass du verarscht wirst?«
»Weil das dauernd passiert«, murmelte er. Sofort fühlte er sich wieder wie ein Versager. Zuletzt war eine Gruppe Zwölfjähriger neben ihm hergelaufen und hatte ihn als Loser und Jungfrau beschimpft.
»Das würde nicht passieren, wenn du dich ein bisschen aufrechter halten würdest.« Mina seufzte. »Und nicht immer so schauen würdest, als würdest du dich vor deinem eigenen Schatten fürchten. Mensch, Nian, gib dir doch mal ein bisschen Mühe …«
»Ich versuch's«, flüsterte er und machte sich so klein er konnte. Seltsam. Vorhin, im Laden hatte er sich gut gefühlt. Als wäre … Als wäre es okay, er zu sein, so trottelig, schüchtern und jungfräulich, wie er war. Selbst seine komischen Klamotten schienen Charles nicht zu stören.
»Nian,