Am Abend, als alle um den Adventkranz versammelt waren, staunten die Eltern nicht schlecht. Zwischen dem frischen Tannenreisig glitzerte und funkelte ein Stern. Sie dachten, dass ihn die Kinder gebastelt und den Kranz damit verziert hätten. Florian erzählte vom Weihnachtsmarkt und vom Weihnachtsmann, den sie dort getroffen hatten. Womöglich hätte er auch Mutters Geschenk noch verraten, wenn ihn Karin unterm Tisch nicht getreten hätte. „Ein schöner Gedanke“, meinte Papa, „den euch der Weihnachtsmann da mitgegeben hat. Es wäre wirklich wichtig, dass alle Menschen in ihrem Leben ein Ziel haben. Eines, das nicht so einfach am Markt zu kaufen ist. Das überhaupt mit Geld nichts zu tun hat.“
Vor dem Zubettgehen beruhigte sich das Schneetreiben und der Himmel klarte überall auf. Die Kinder standen beim Wohnzimmerfenster und suchten am Himmel den hellen Stern, den ihnen der Weihnachtsmann gezeigt hatte. Den, der neben dem ihren gestanden war. Je länger sie ihn ansahen, umso größer schien er zu werden und sich zu bewegen. Vielleicht war er unterwegs nach Bethlehem zum Stall ...
Elisabeth Seiberl, geb. 1958, wohnt in Bad Leonfelden, OÖ, und hat mehrfach in Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlicht.
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Einmal im Jahr
Einmal im Jahr ziehe ich durch die Welt.
Fliege über die Kontinente der Erde.
Die kalte Luft rötet meine Wangen,
doch es liegt ein Lächeln auf meinem Gesicht.
Heute kann ich die Menschen glücklich machen,
denn ich darf sie beschenken.
Einmal im Jahr erwache ich zum Leben.
So viele Menschen glauben an mich.
Sie glauben an mich, am meinen Mythos.
Erwartungsvoll stehen Kinder an den Fenstern.
Sie schauen zum Himmel hinauf,
um mich zu erblicken.
Horchen geduldig auf das Läuten meiner Glöckchen.
Heute bleiben die Kamine kalt,
denn sie sind mein Eingang.
In den Häusern erwarten mich Milch und Kekse.
Außerdem bekomme ich so viel Liebe.
Liebe durch Dekorationen in herrlichen Farben.
Einmal im Jahr
besuche ich jeden einzelnen Menschen.
Hinterlasse Geschenke, um dann weiterzuziehen.
Es ist Weihnachten und ich mache hier meinen Job.
Ich bin der Weihnachtsmann.
Für manch einem nur eine Geschichte,
für andere ein fester Glaube.
Nancy Noack wurde am 22. Februar 1982 in Berlin geboren. Sie schreibt seit ihrem 14. Lebensjahr. So wie andere Tagebuch führten, schrieb Nancy ihre Gedanken in Gedichtform auf. Das Schreiben ist für sie nicht nur ein Hobby, sondern eine Leidenschaft.
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Wundersame Weihnacht
Mit einem lauten Knall schlug Sebastian die Tür hinter sich zu. Wütend warf er die Jeansjacke in die Ecke seines Zimmers und ließ sich traurig aufs Bett fallen. Während er mit den aufsteigenden Tränen kämpfte, schaute er auf den beleuchteten Messingstern. Wie der Stern über Bethlehem strahlte dieser elektrisch beleuchtete Stern aus blank poliertem Messing in seinem Fenster. Seine Mutter hatte ihn dort angebracht und täglich steigerte er seine Vorfreude auf Weihnachten. Morgen war Heiligabend und draußen fielen sogar die ersten Schneeflocken, alle Voraussetzungen für ein wunderschönes Weihnachtsfest waren gegeben, nur seine Mutter hatte ihm die Freude daran gründlich verdorben. Gerade heute beim Plätzchen backen hatte sie ihm mitgeteilt, dass er sich schon einmal mit dem Gedanken anfreunden müsse, dass sein Geschenk in diesem Jahr bei Weitem kleiner ausfallen würde als gewünscht. Bei dieser Ankündigung hatte sie Tränen in den Augen und erklärte ihm, dass sie als allein erziehende Mutter, deren Arbeitgeber die diesjährige Weihnachtsgratifikation gestrichen hatte, ganz besonders sparen müsse.
Sebastian wünschte sich ganz weit weg zu sein und wollte damit all diesen Ungerechtigkeiten, die ihm jetzt widerfuhren, entfliehen. Aber allem voran wollte er es seiner Mutter heimzahlen, ihr einen anständigen Denkzettel verpassen. Mit seinem Verschwinden würde er ihr sogar einen großen Dienst erweisen. Denn ohne ihn würde sie bestimmt viel besser zurechtkommen und müsste nicht jeden Cent zweimal umdrehen, dachte er zornig und erhob sich zu allem entschlossen von seinem Bett. Wenn er erst einmal nicht mehr da wäre, dann würde sie die Sache mit dem Geschenk und dem Sparen mehr als bitter bereuen.
Sebastian setzte sich an seinen Tisch, nahm ein Blatt Papier und fing an zu schreiben. Obwohl er noch nicht eingeschult war, konnte er bereits lesen und schreiben, was er seiner Mutter zu verdanken hatte und ihm jetzt zugutekam. Er wollte dorthin, wo sich der Weihnachtsmann das ganze Jahr über aufhielt mit all den bunten, schönen Sachen und Geschenken, die so groß waren, dass sie gar nicht eingepackt werden konnten. Solange er seinen Wunsch persönlich an den Weihnachtsmann richtete, kullerten seine Tränen aufs Papier und vermischten sich mit der Tinte. Nachdem er fertig geschrieben hatte, faltete er das Stück Papier zu einem Flugzeug, öffnete das Fenster mit dem Stern von Bethlehem und ließ es durch den dunklen Nachthimmel mit all den unzählbaren, lautlosen Schneeflocken gleiten. Erst als es nicht mehr zu sehen war, schloss er das Fenster und legte sich trotzig aufs Bett. Der Duft der frisch gebackenen Plätzchen zog durch die ganze Wohnung und machte auch vor seinem Zimmer nicht halt.
Obgleich sein Magen knurrte, wollte er standhaft bleiben und seiner Mutter die Zähne zeigen. Müdigkeit breitete sich über ihm aus, er schlief ein und wachte mitten im Traumland wieder auf. Ein wunderschöner, alles überstrahlender Engel nahm ihn bei der Hand und führte ihn an den Ort seiner Wünsche. Der Weihnachtsmann war derweil mit seinem vollgepackten Schlitten unterwegs, um all die vielen Geschenke pünktlich abzuliefern. Spielsachen, Musikgeräte, Bücher ... so weit das Auge reichte. Alles lag da, was Sebastians Herz begehrte.
Aber sein besonderes Augenmerk galt dem Kleidungsstück, das direkt vor ihm lag. Genau die Jacke, die er sich schon das ganze Jahr über sehnlichst gewünscht hatte und die er jetzt nicht erhalten sollte. Er nahm sie auf, zog sie an und tatsächlich passte sie wie angegossen. Sogar ein Spiegel stand plötzlich da, in dem er sich ausgiebig und freudestrahlend betrachten konnte. Ein wertvolles und wunderschönes Kleidungsstück von überaus langer Lebensdauer war dieser robuste Lammfellblouson im Fliegerstil. Für das Modell hatte man die Farbe Sand ausgewählt und mit Antik-Finish versehen, wodurch der Blouson noch authentischer wirkte. Mit durchgehendem Reißverschluss, zwei Schubtaschen, sportlichen Schließen seitlich am Bund sowie zwei Innentaschen mit Reißverschluss war er ein treuer Begleiter durch die kalte Jahreszeit.
Sebastian hörte nicht nur die Worte des Verkäufers, sondern sah diesen geradewegs und zuversichtlich lächelnd hinter sich stehen, während er sich selber im Spiegel bewunderte. Dennoch verging ihm blitzartig die Freude an seinem schönen, teuren Geschenk, als ihm der Engel zeigte, wie traurig seine Mutter über sein Verschwinden war und sich aus Verzweiflung über den Verlust ihres über alles geliebten Sohnes von einer Brücke stürzte. Sebastian zog die Jacke aus und ließ sie achtlos auf den Boden fallen, während er mit tränenerstickter Stimme den Engel bat, ihn doch wieder nach Hause zu seiner Mutter zu bringen, die er mehr als alles und jeden