Sandsteinblut - Elbsandstein Horror-Thriller (Hardcore). Marty Ramone. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marty Ramone
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783947183357
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      Die „Kurort Rathen“ glitt mit ihren imposanten Schaufelrädern durch die Elbe. Sie war eines der markantesten Schiffe der „Sächsischen Dampfschifffahrt“, die an den Wochenenden den Strom entlang des Elbsandsteingebirges befuhren.

      Es versprach heute wieder ein herrlicher Tag zu werden. Die Sonne stand an diesem Morgen schon senkrecht am blauen Himmel und wärmte die Flora und Fauna entlang der Sandsteinschlucht. Nur ein paar zarte Quellwolken zogen am Firmament ihre Bahn. Seit Tagen hatte es kaum geregnet. Gut für die Touristen, der Fluss hatte aber mittlerweile einen niedrigen Wasserpegel und man musste schon das Boot sauber auf Kurs halten, um in der tiefen Wasserrinne zu bleiben. Für den erfahrenen Kapitän Werner Bosch war das kein Problem, jedoch hatte er heute Morgen seinen Unmut über den Wasserstand schon gegenüber seinem Chef geäußert. Dieser winkte jedoch ab. Man brauche ja schließlich bei dem guten sommerlichen Wetter jeden Fahrgast an Bord. So war dann das Schiff gegen zehn Uhr von Pirna gestartet und passierte gerade Königstein auf seiner Tour bis zur tschechischen Grenze in Schmilka.

      Auf der rechten Seite thronte stolz die Festung Königstein auf ihrem gewaltigen Tafelberg. Einige Touristen befanden sich auf dem Oberdeck und knipsten mit ihren Handys und Kameras was das Zeug hielt. Andere hingegen genossen bei Kaffee oder Bier einfach nur die wunderschöne Landschaft. Die „Kurort Rathen“ glitt sanft stromaufwärts.

      Bosch meldete sich per Funk im Maschinenraum:

      „Alles in Ordnung bei dir dort unten, Daniel? Bekommt unsere Dame noch genug Wasser für ihre Räder?“

      Die feingeölten Kolben der Dampfmaschine arbeiteten wie ein Uhrwerk. Daniel Fischer warf einen Blick durch die riesigen Panoramafenster auf die sich drehenden Schaufelräder. Man konnte dabei auch unter die Wasseroberfläche schauen. Platz bis zum Flussgrund war noch genug. „Alles prima, Boss. Hier ist alles im grünen Bereich.“

      „Gut so, weitermachen Herr Maschinist!“

      Der Lilienstein tauchte auf der Backbordseite auf. Er war durch seine Form der markanteste Tafelberg der Sächsischen Schweiz und dominierte mit seinem Erscheinungsbild alle anderen Erhöhungen, von wo immer man ihn in dieser Gegend betrachtete. Das wollte schon was heißen. Denn der Felsen war mit seinen 415 Metern nicht die höchste Erhebung im Elbsandsteingebirge.

      Weiter ging die Fahrt in einer gewaltigen Schleife um den Tafelberg herum.

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      Doch nicht nur die Dampfschiffe waren an diesem Julimorgen auf der Elbe unterwegs. Eine geführte Gruppe aus mehreren motorisierten Schlauchbooten befand sich ebenfalls auf dem Fluss. In einem der Boote saß Familie Kellner aus Meißen mit ihrem kribbligen Sohn. Sie waren für ein verlängertes Wochenende in der Sächsischen Schweiz und hatten, einige Wochen, zuvor diese Tour bei einem hier ortsansässigen Veranstalter gebucht.

      Der 6-jährige Christoph konnte einfach nicht stillsitzen und hottete auf dem wackligen Boot hin und her. Zuvor hatte er so lange rum gequengelt, bis seine unvorsichtige und gestresste Mutter ihm erlaubte, die unbequeme Schwimmweste auszuziehen. Es wird schon nichts passieren! Dem Elbguide Rico Steinmann an Bord war dies entgangen. Er hatte in den letzten Minuten nicht auf derlei Dinge geachtet, da er davon ausgehen musste, dass alle Teilnehmer vorschriftsmäßig mit einer Schwimmweste ausgestattet waren. Bei Fahrtbeginn hatte sich der 27-jährige schließlich selbst davon überzeugt.

      „Sieh mal, Papa, dort sind die Schrammsteine.“ Um seine Aussage noch zu bekräftigen, stand der Junge auf und bekam Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Robert Kellner zog seinen Sohn genervt auf den Sitz zurück und verdrehte die Augen.

      Seine Frau Evelyn ermahnte ihren Sohn, sich endlich einmal ruhig zu verhalten: „Wenn du nicht sitzen bleibst, werden wir noch kentern, Christoph.“

      Der Junge schaute seine Mutter frech an. Die sogenannte Trotzphase hatte ihn noch immer fest im Griff.

      Gegenüber tauchte die „Kurort Rathen“ auf. Die Guides der Schlauchboote drehten wie auf ein Kommando scharf Steuerbord ab. Genau in diesem Augenblick sprang Christoph Kellner erneut auf. „Wandern wir morgen auf die Schrammsteine?“

      Seine Eltern, die einen Moment von der rauen Naturkulisse der Felskette abgelenkt waren, konnten das Unglück nicht verhindern. Der 6-jährige, stolperte, verlor den Boden unter den Füßen und ging über Bord. Evelyn Kellner erfasste als erste die Situation: „Hilfe, mein Sohn ist im Wasser. Er kann nicht schwimmen!“

      Rico Steinmann reagierte sofort und bremste den Außenbordmotor ab. Doch schon waren 30 Meter zwischen dem Boot und den in der Elbe zappelnden Jungen, der sich mitten in der Fahrrinne der „Sächsischen Dampfschifffahrt“ befand.

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      Werner Bosch glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Sofort ließ er das Warnhorn dauerhaft ertönen. Dort vorn schwamm ein mit mehreren Leuten besetztes Schlauchboot mitten auf seinem Kurs. Weitere Boote waren nach links abgedreht und somit nicht in Gefahr. Aber mit dem einen würde das Dampfschiff in absehbarer Zeit kollidieren, sofern er nicht sofort reagierte. Der Kapitän nahm sein Fernglas aus einer Schublade heraus, während er das Steuer der „Kurort Rathen“ hart Steuerbord zog. Der Schiffsführer guckte durch die Gläser und erkannte, dass dort hinten ein Mensch im Wasser trieb. Bei dem Ausweichmanöver wurden Gläser und Geschirr wie von unsichtbaren Händen von den Tischen auf dem Ober -und Unterdeck gewischt. Dies geschah so schnell, dass kaum einer der Passagiere rechtzeitig reagieren konnte. Ein leichter Tumult brach aus. Die Stimme von Bosch ertönte beruhigend aus den Lautsprechern: „Verehrte Gäste, bitte bewahren sie Ruhe. Wir müssen gerade einem Hindernis ausweichen.“

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      Rico Steinmann blieb nichts anderes übrig, als eine Schleife zu ziehen und auf den kleinen Christoph zuzusteuern. Dieser befand sich in höchster Lebensgefahr. Immer wieder tauchte er mit dem Kopf unter die Wasseroberfläche und schluckte vermutlich reichlich Wasser. Mit Erleichterung registrierte der Elbguide, dass der Dampfer seinen Kurs änderte. Noch zehn Meter bis zu dem Jungen.

      Evelyn Kellner weinte: „So tut doch was! Mein Kind ertrinkt!“

      Ihr Mann reagierte jetzt, sprang in den Fluss und kraulte auf seinen Sohn zu. Fast zeitgleich erreichten Boot und Vater den Jungen. Robert bekam sein gerade abtauchendes Kind im letzten Moment zu fassen; drückte es sich an die Brust und nach oben an die Luft. Schnell waren die helfenden Arme des Guides zur Stelle und zogen die Beiden aus dem kühlen Nass. Steinmann presste die Hände auf die Brust des kleinen Mannes. Christoph spuckte ein Schwall Wasser aus. Er schlug die Augen auf. Es schien ihm gutzugehen. Sofort kümmerten sich die Eltern um ihren nassen und frierenden Sohn. Das war nochmal glimpflich abgegangen. Aber was war mit der „Kurort Rathen“, die unfreiwillig vom Kurs abgekommen war?

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      Die Schaufelräder barsten über den steinigen Flussgrund. Hier war das Wasser viel zu flach für das große Schiff. Ein Rucken erschütterte den Dampfer und schien ihn fast zu stoppen. Das Schiff wurde für einige Sekunden in seinen Grundfesten erschüttert. Doch dann war es wieder frei und glitt in tiefere Gewässer. Daniel Fischer hatte die Dampfmaschine deaktiviert. Werner Bosch stürzte in den Arbeitsbereich seines Maschinisten und blickte durch die Fenster. Einige Schaufeln der Steuerbordseite waren massiv lädiert, aber man würde die Fahrt wohl fortsetzen können.

      Was den Männern entgangen war: Einige Yards hinter dem Schiff und nur zehn Meter vom Uferrand stand eine schwere, uralte, kupferne Grabplatte offen, die zuvor durch schwere Stahlketten gesichert gewesen war. Diese lagen durch die Kollision mit dem Dampfer, verstreut und in einzelne Stücke gerissen um die mittelalterliche Grabstätte herum. Ein uralter Fluch sollte sich nun erfüllen und die Pforten zur Hölle standen erneut offen…