Hofräte, Einflüsterer, Spin-Doktoren. Manfred Matzka. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manfred Matzka
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783710604959
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kommt, lässt er sich selbst in die Studienhofkommission ernennen.

      Doch mächtige Feinde intrigieren weiterhin gegen ihn: Einerseits die konservative Hochschule, in deren Gremien es gar nicht gern gesehen wird, dass ein neues Fach mit modernem Zuschnitt ihre wohlgesetzte Ruhe stört und zu neuen Arbeitsweisen und Methoden der Personalrekrutierung im Staat führt. Andererseits die Verwaltungspraktiker, die sich ungern von einem Theoretiker belehren lassen wollen. Und schließlich die Politiker, die den aufklärerischen Elan des Parvenüs missbilligen. Schließlich lehrt er ganz nach dem neuen französischen Geist und wird daher beschuldigt, „das Verständniß für die historischen Grundlagen des Staatswesens und Volkslebens verloren zu haben, und die großartigsten, durch jahrhundertjährige Erfahrung gewonnenen Institutionen und Resultate einseitig den philosophischen Doctrinen der Zeit zu unterstellen“.

      Tatsächlich hat Joseph von Sonnenfels die Gabe, moderne Theorien verständlich zu vermitteln und sie für das Reich und dessen Verwaltung nutzbar zu machen. Sein Staatsmodell ist der aufgeklärte Absolutismus, den er als ideale Regierungsform betrachtet. Sinn und Zweck der Gesetze liegen für ihn in der Förderung der allgemeinen Wohlfahrt. Zu große soziale Unterschiede sollen ausgeglichen werden, Herrschaft soll vernunftgeleitet und zweckmäßig agieren, die Regierung verfassungsmäßig handeln. Den Staat teilt er in vier Klassen ein, eine Pyramide mit dem Herrscher an der Spitze.

      „Dass es ihm bei solchem Freimuth in seinen Ansichten nicht an Feinden fehlte, begreift sich leicht; es ergingen heimliche und öffentliche Denunciationen gegen ihn; aber die große Kaiserin ließ sich dadurch nicht irre machen.“ Maria Theresia weiß nur zu gut um die Notwendigkeit, in der Verwaltung gründlich aufzuräumen. Deren Unterbau stammt noch aus dem Mittelalter und wird den neuen Anforderungen nicht gerecht. Die militärischen Niederlagen gegen Preußen haben gezeigt, dass es hoch an der Zeit ist, die Administration zu modernisieren, effizienter zu machen und die Mittel besser einzusetzen. Dafür bedarf sie guter Minister, dafür brauchen diese aber eine wissenschaftliche Basis und eine perfekte Kommunikation. Beides besorgt Sonnenfels für sie. Ab und zu, wenn die Protestnoten überhandnehmen, ermahnt sie ihren Professor, dass er „seine allzugroße Freyheit im Schreiben überhaupt behörig mässige und beschränke“ und sich größerer „Bescheidenheit und reifrer Oberlegung bedienen“ möge. Allenfalls fragt sie Gerard van Swieten, ebenfalls einer der Reformer im Umfeld der Kaiserin, um Rat. Doch der spricht sich immer zugunsten von Sonnenfels aus – das fortschrittliche Beraterteam der Kaiserin lässt sich keinen herausschießen.

      Nun nimmt der Hof den Berater und Verwaltungsexperten auch für Vollzugsaufgaben in Anspruch: Ab 1770 amtiert er zwei Jahre als Zensor und hat damit beträchtlichen Einfluss darauf, was gedruckt erscheinen darf. Dabei begibt er sich aber mit großem Engagement an eine Nebenfront: Er bekämpft die Bühnenfigur des derben Hanswurst und eröffnet „einen hartnäckigen Krieg (…) gegen die Zoten auf den Theatern und den Unfug der extemporirten Stücke. Es entbrannte alsbald ein Kampf auf Leben und Tod zwischen Sonnenfels und dem Hanswurst. Selbst als die Kaiserin Maria Theresia resolvirte: ‚Die Comödianten sind eine Bagage und bleiben eine Bagage und der Herr Hofrath von Sonnenfels könnte auch was Besseres thun, als Kritiken schreiben‘, lässt er sich nicht beirren.“ Als viele Jahre später nach dem Tod Kaiser Josephs II. die konservative Theaterzensur auf Sonnenfels’ alte Ausführungen zurückgreift, trägt es ihm massive Kritik ein, seinerzeit politische Zensur salonfähig gemacht zu haben.

      Am Anfang seiner Tätigkeit für die Zensurbehörde steht er innerhalb der Kommission noch auf der liberalen Seite. Deren Chef Gerard van Swieten hat ihn ja auch genau wegen dieser Haltung zur Unterstützung in seinem Kampf mit dem konservativen Wiener Kardinal geholt. Folgerichtig erbittet Sonnenfels nach dem Tod van Swietens im Jahr 1772 seine Entlassung aus der Kommission, was die Kaiserin umso lieber gewährt, nachdem er für einen Verbleib ein zusätzliches Honorar von 1.500 Gulden begehrt.

      Ein Jahr nach seinem Abgang wird Sonnenfels Referent für Polizeiwesen bei der niederösterreichischen Regierung. Anschließend fungiert er ab 1776 als „Illuminationsdirektor“ von Wien. Der bisherige Beleuchtungspächter hatte kläglich versagt, in den folgenden zwei Jahren zeigt Sonnenfels, dass er nicht nur ein guter Theoretiker, sondern auch ein guter Verwalter ist: Unter seiner Führung entsteht die erste permanente Straßenbeleuchtung Europas. Wieder ist die Kaiserin mit ihm sehr zufrieden: „Nachdeme dieses Werk Sonnenfels so gutt geführt, so solle er noch selbes continuiren mit 2000 Gulden aus dem illumnations fondo remuneration und gratis den Hofraths Titl.“

      Über das Selbstbewusstsein des Beleuchtungsdirektors gibt eine Anekdote beredtes Zeugnis: Eines Spätabends fährt er mit einem Gast von Schönbrunn zurück über die Laimgrube in die Innenstadt. Die Glacis-Laternen brennen lustig, der Himmel ist bewölkt. Plötzlich tritt der Mond hervor und erhellt die Stadt. „Welch’ herrliche Beleuchtung!“, ruft der Fremde aus. Sonnenfels im Glauben, er meine die der Laternen, entgegnet geschmeichelt: „Sie ist ja auch von mir.“

      Sein größter Erfolg als Berater der Regierung und der Kaiserin steht aber noch bevor: der Kampf gegen Folter und Todesstrafe, der ihn 20 Jahre lang nicht loslässt. Schon im Lehrbuch von 1765 führt er aus, dass die Todesstrafe nicht wirklich abschreckend auf Verbrecher wirke. Jedes verlorene Leben eines Untertanen sei ein Verlust für den Staat. Zwei Jahre später wird er wegen dieser, dem geltenden Recht widersprechenden Thesen angezeigt, doch die Kaiserin gewährt ihm Lehrfreiheit. Er nutzt sie weidlich und setzt noch eins drauf: Die Folter sei ein sehr zweifelhaftes Instrument, da sie kräftige Verbrecher gegenüber Schwächlichen begünstige. Abermals führt seine Kritik am Gesetz zu einer Anzeige, 1772 erfolgt eine offizielle Rüge durch die Hofkanzlei. Maria Theresia erhält Kenntnis davon, dass Sonnenfels fortwährend von der Lehrkanzel herab gegen die Tortur spreche, und lässt ihm ausrichten, „er solle aufhören, so anzüglich zu reden, weil er sonst entfernt werden müsse“.

      Doch gleichzeitig nimmt nun angesichts spektakulärer Einzelfälle auch die öffentliche Kritik an der Folter im Strafverfahren zu. Sogar die medizinische Fakultät erstattet ein Gutachten über deren schädliche Auswirkungen. Maria Theresia schränkt daraufhin ihre Anwendung ein, allerdings ohne sie aus dem Gesetz zu streichen. 1773 erteilt die Kaiserin an mehrere Behörden den Auftrag, Gutachten zu erstellen, und beruft Sonnenfels in ein Koordinierungsgremium. Als er sich dort gegen die Befürworter nicht durchsetzt, geht er mit einem Votum Separatum gegen die Folter an die Öffentlichkeit. Dieses Druckwerk führt wieder zu einem Verfahren gegen ihn.

      Der kaiserliche Mitregent Joseph II. hat mittlerweile bei seiner Mutter erreicht, dass die Entscheidung über eine Reform des Strafrechts vollständig in seine Hände gelegt wird. Das und eine breite Unterstützung der Öffentlichkeit ermöglichen es Sonnenfels nun, sich in diesem Verfahren wieder direkt an die Kaiserin zu wenden.

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      Anleitung zur korrekten Folter in der Constitutio Criminalis Theresiana, der „peinlichen Gerichtsordnung“ Maria Theresias

      „Die Kaiserin bestimmt einen Tag zur Audienz. Als Sonnenfels in den Audienzsaal getreten ist, lässt sich die Kaiserin auf einen Sessel nieder und Sonnenfels beginnt – nach damaliger Hofsitte auf einem Knie ruhend – den Vortrag. Die Kaiserin nimmt wahr, daß ihm diese Stellung beschwerlich ist und sagt zu ihm: ‚Knie er sich näher zu mir und lege er seine Schriften auf meinen Schooß.‘ Sonnenfels kommt diesem Auftrage nach und hält mit seiner bekannten Rednergabe einen glänzenden Vortrag für Abschaffung der Tortur. Am Schlusse dieses Vortrages treten der tief ergriffenen Kaiserin Thränen in die Augen, und in diesem Augenblick vergisst Sonnenfels die Hofsitte, erhebt sich von den Knien und spricht mit Begeisterung: ‚Wenn Europa diese Thränen in den Augen der größten Monarchin unserer Zeit gesehen hätte, so würde es keinen Augenblick zweifeln, daß die Tortur in Oesterreich sogleich abgeschafft wird.‘ Die Kaiserin trocknet die Thränen, legt ihre Hand auf des Redners Schulter und sagt zu ihm: ‚Laß Er’s gut sein, die Tortur wird abgeschafft.‘“ Am 2. Jänner 1776 wird öffentlich kundgemacht, dass in den österreichischen Staaten die Tortur aufgehoben ist.

      Das Ende der Folter im Habsburgerreich wird dem Aufklärer von da an als persönliches Verdienst zugeschrieben. Wieweit auch andere Personen entscheidenden Einfluss ausübten, lässt sich aus heutiger Sicht schwer sagen.