Hofräte, Einflüsterer, Spin-Doktoren. Manfred Matzka. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manfred Matzka
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783710604959
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eine zentrale Rolle spielt. Das gilt ebenso für die Eliten und Experten dieses Machtapparats. Die – formell etikettierten oder informell bestehenden – obersten Ränge und Entscheidungsträger der Wiener Bürokratie haben das Habsburgerreich, Österreich und teilweise sogar die europäische Entwicklung und Geschichte mitgeprägt.

      Seit im frühen 17. Jahrhundert der Kapuziner Père Joseph wegen der Farbe seiner Kutte als Erster „graue Eminenz“ genannt wurde, geistert dieser Rollentypus durch die Geschichte der Politik und Verwaltung. In Österreich, genauer dem Kaiserreich des 18. Jahrhunderts, berieten brillante Persönlichkeiten, begnadete Schreiber, umtriebige Universalgelehrte die Herrscher. Sie kamen mitunter aus dem Ausland, genossen internationales Ansehen, Ruhm in der Geisteswelt außerhalb der Staatsapparate und Ansehen bei Hof und Volk. Sie waren gefallsüchtig, geldgierig, vielsprachig, kulturinteressiert, Bohemiens und verkehrten mit den Monarchen auf Augenhöhe.

      Die ersten Jahrzehnte ab 1800 kennen noch einige wenige dieser Stars, danach wird vermehrt auf die Rekrutierung aus dem eigenen Apparat gesetzt. Vor allem nach 1848 werden zahlreiche Beamtenkabinette eingesetzt, der Beamte Eduard Graf Taaffe war mit 14 Jahren Amtszeit der längstregierende Ministerpräsident, nach 1895 machten gewissermaßen nur noch Staatsdiener Politik, von 16 Unterrichtsministern waren 13 Beamte. Die meisten dieser Hofrats-Minister waren in ihrer kurzen Amtszeit zweifellos mächtig, ansonsten aber vor allem eitel, formalistisch und ihrem Stand sowie der Bewahrung des Status quo verpflichtet.

      Auch in der Ersten Republik formierten sich unter Johann Schober drei Kabinette mit insgesamt mehrjähriger Dauer vorwiegend aus Staatsdienern. Die politischen Umbrüche und Katastrophen ab Ende der 1920er-Jahre spülten hingegen Berater aus dem Apparat oder externe Einsager nach oben, die klar die ideologische Position der Machthaber teilten und die Fähigkeit hatten, diese am Ballhausplatz durchzusetzen. Rasche Auffassungsgabe, effektive Durchsetzung, ein scharfer Geist sowie kometenhaft aufblitzender und wieder verglühender Einfluss kennzeichnen diese Karrieren. 1938 teilten sie sich in zwei Gruppen – die einen gingen in die innere Emigration, die anderen biederten sich den neuen Machthabern an.

      Nach 1945 nahmen zunächst die Präsidialchefs, jene Beamten, die dem Minister am nächsten waren, zentrale Beraterfunktionen ein. Sie bildeten die Schwelle zum Minister, eine Isolierschicht zwischen ihm und den übrigen Sektionen, nahmen über Budget, Finanzen und Organisation Einfluss auf das ganze Haus. Im Präsidium hatten selbst junge Beamte in unteren Rängen einen überdurchschnittlichen Einfluss. Externe Ratgeber konnte und wollte man sich nicht leisten. Diese Sektionschefs waren fast wieder wie vom alten Schlag der Jahrhundertwende – nur mangels begüterter Herkunft stärker materiell interessiert.

      Erst mit den Alleinregierungen 1966 und 1970 bildeten sich Beraterstäbe rund um die Kanzler, die nicht aus dem Ministerium kamen – die Sekretäre. Je stärker diese Regierungen inhaltliche Reformen ins Auge fassten, umso stärker griffen sie auf externe Experten zurück. Als ab Mitte der 1990er-Jahre eine zunehmende Entpolitisierung des Regierens Platz griff, verzichtete man weitgehend auf inhaltliches Fachexpertenwissen. Fortan waren spezielle Fähigkeiten im Verkauf, im Marketing, im Spin und nicht uneigennützige Herrschaftstechniken wichtiger. Dementsprechend wandelten sich bis ins Heute herauf die Akteure: bestens vernetzt, smart, eloquent, slim, überheblich, strahlende Verkäufer, vor allem ihrer selbst.

      Diese Entwicklung in der Stellung der Ratgeber zeichnet dieses Buch über drei Jahrhunderte hinweg nach. Frauen sind, bis auf einige wenige Ausnahmen, in der ersten Reihe nicht anzutreffen. In der Monarchie sahen sie sich auf informelle Aufgaben beschränkt – auch wenn sie klug, mächtig und unentbehrlich waren. In der Ersten Republik waren sie noch mehr auf Nebenrollen zurückgedrängt – unter den 300 Sektionschefs in dieser Zeit findet sich keine einzige Frau. Erst nach 1945 vollzog sich ein Wandel – langsam, und vom einflussreichen katholischen Cartellverband gebremst. Ein wirklicher Durchbruch ist nur bei den Ministerpositionen gelungen – auch wenn es nach Maria Theresia 239 Jahre dauern sollte, bis mit Brigitte Bierlein wieder eine Frau ganz vorne stand.

      Man darf die Ratgeber und ihre Rolle bei all ihrer Bedeutung nicht verklären oder dämonisieren, auch lässt sich kein allgemeines Berufsbild zeichnen. Es gibt nicht „die Beratung“ an sich, keine mit Allgemeingültigkeit darstellbare Beziehung zwischen der grauen und der wirklichen Eminenz. Jede Konstellation ist anders gelagert, jede Beziehung speziell und jeder Anlass entfaltet seine ganz eigene Geschichte. Vor diesem vielfältigen Hintergrund und angesichts unterschiedlicher historischer Epochen lässt sich Beratung und deren Machttechniken nicht abstrakt darstellen. Es bedarf konkreter Personen und Ereignisse, um aus den einzelnen Biografien und historischen Episoden wie bei einem Mosaik ein Gesamtbild entstehen zu lassen. Dabei ist, wie bei jedem Menschen, vor allem die Genese, auch die Herkunft der jeweiligen Persönlichkeit wichtig. So setzen die einzelnen Porträts lange vor jener Zeit ein, bevor die Einflüsterer entscheidende Positionen erreicht haben, und enden, zumindest bei den historischen Figuren, nicht mit ihrem Ausscheiden aus dem Amt – schließlich offenbaren sich erst Jahre und Jahrzehnte später die tatsächlichen Auswirkungen ihres Handelns. Nur so lässt sich verstehen, wie sie in die Macht hineinwuchsen, wann sie entscheidenden Einfluss bekamen und wie lange dieser anhielt.

      Trotz der mannigfachen Persönlichkeiten und unterschiedlicher politischer Systeme sind dennoch einige Gemeinsamkeiten erkennbar. Das betrifft die Ausbildung – überwiegend sind sie Juristen – sowie grundlegende Wesenszüge, aus denen sich eine Art Berater-Typologie ableiten lässt: Da gibt es die Visionäre, die weit über den Tag hinausdenken und große Linien und Entwicklungen ins Werk setzen. Oder die braven Staatsdiener, denen das wohlgeordnete Regieren und das allgemeine Wohl oberste Richtschnur ist. Schreibtischtäter sind ebenfalls darunter, die sich keinen Deut darum scheren, was sie mit ihren Entscheidungen anrichten. Ganz im Gegensatz zu den Vertrauten, die den Mächtigen Unterstützung, Sicherheit und Geborgenheit geben. Es gibt die Experten, deren man sich bedient, wenn es gerade nützlich erscheint, und die Netzwerker, die über ausgeklügelte Systeme komplexer Beziehungen steuern und leiten. Schließlich gibt es noch die Wendigen, die sich jedem Herren dienstbar gemacht haben, ganz gleich ob Diktator oder Kanzler.

      Von all diesen Beratern handelt dieses Buch.

       1.

       Der allzeit Getreue

       JOHANN CHRISTOPH VON BARTENSTEIN

       Berater von Karl VI., Maria Theresia und Joseph II. 1715–1765

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      An einem feuchtkalten Oktobertag des Jahres 1740 beugt ein würdevoller Einundfünfzigjähriger in der Geheimen Ratsstube der Wiener Hofburg vor Maria Theresia, die gerade ihre Herrschaft antritt, das Knie und bittet den Usancen entsprechend um Enthebung von seinen Hofämtern. Die Königin reagiert kühl und geschäftsmäßig: „Jetzt sei nicht der Augenblick, in welchem er abdanken dürfe. Er solle es sich aber angelegen sein lassen“, fügt sie scharf hinzu, „so viel Gutes zu tun als er vermöge. Böses zu verüben werde sie ihn schon zu hindern wissen.“

      Der Mann wird dereinst ihr wichtigster Berater bei der Verwaltung des Habsburgerreichss sein. Der eben verblichene Kaiser Karl VI. hatte bereits eine professionelle Administration samt ihren Hofräten entwickelt – als Staatsdienst, nicht als Hofdienst, und damit grundsätzlich für jedermann zugänglich gemacht. Damit drängte er den Einfluss des Hochadels auf den Staat zurück und eröffnete dem Bürgertum seinen Aufstieg. Es wird bereits auf ein Studium der Rechte an der Universität Wert gelegt. Dafür gibt es eine fixe Besoldung, die insbesondere in den unteren Rängen kärglich ist; dennoch erwartet der Monarch absolute Pflichterfüllung und Hingabe an Beruf und Staat und fordert sie energisch ein. Es ist nicht mehr die Lehensbindung der alten Familien, auf der diese Loyalität beruht, auch ein Amtseid, sogar der eines Zugewanderten, kann dafür Grundlage sein. Eine spezielle Vertrauenswürdigkeit wird allerdings eingefordert: Wenn ein Kandidat jüdisch oder evangelisch ist, hat er bei Amtsantritt zum römisch-katholischen Glauben zu konvertieren – also nach heutigem Verständnis das richtige „Parteibuch“ zu nehmen.

      Es bilden sich feste Formen