Hofräte, Einflüsterer, Spin-Doktoren. Manfred Matzka. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manfred Matzka
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783710604959
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insbesondere juristischer Ausarbeitungen zu staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Fragen – der Bürokratie kommt da eine zentrale Funktion für die Bildung des Rechtsstaats zu. Ein weiteres Betätigungsfeld sind diplomatische Missionen und Verhandlungen mit konkurrierenden oder verbündeten Mächten. Und nicht zuletzt der persönliche Kontakt, Gespräche in Audienzen, ja sogar die Einbeziehung in wichtige und schwierige innerfamiliäre Entscheidungen.

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      Johann Christoph Freiherr von Bartenstein (1689–1767)

      In dieser Zeit gehen diese hohen Funktionen allmählich vom geheimen Ratskollegium, das im Feudalsystem nur fallweise um den Monarchen versammelt wurde, in ein professionelles Amt über, das permanent Aufgaben für ihn wahrnimmt. Hier arbeiten jetzt die Fürsten-Favoriten und Secretarii, die Hof-Räte in der ursprünglichsten Bedeutung des Wortes. Sie stehen protokollarisch in der zweiten Reihe, werden vom hohen Adel misstrauisch beäugt und bekämpft, üben aber großen Einfluss aus und können in ihrer persönlichen und finanziellen Stellung Privates mit der staatlichen Funktion verbinden.

      Eine Persönlichkeit, an der all diese Elemente sichtbar werden, ist jener vor Maria Theresia knieende Mann, den der Kaiser seiner Tochter als persönlichen Ratgeber seines Vertrauens für ihren politischen Weg gewissermaßen hinterlässt: Johann Christoph von Bartenstein, geboren am 23. Oktober 1689 in Straßburg und seit 1715 am Wiener Hof.

      Er entstammt einer bürgerlichen protestantischen Familie aus Thüringen. Sein Vater Johann Philipp ist Professor der Philosophie und Rektor des Gymnasiums. Er studiert in Straßburg Sprachen, Geschichte, Recht – und das mit besonderem Eifer. Deutsch, Französisch und Latein spricht er Zeit seines Lebens fließend als „Muttersprachen“. Gerade einmal 20 Jahre alt, dissertiert er mit einer rechtshistorischen Schrift. Darin bekräftigt er in streng protestantischer Manier, dass die Reichsstände ihre Waffen gegen den Kaiser ergreifen dürfen. Gleichzeitig stellt er eine enorme Belesenheit und Geschichtskenntnis unter Beweis und erregt mit seiner Arbeit an der Straßburger Universität geradezu Aufsehen.

      Der junge Doktor reist danach nach Paris und Wien, um sich – so wie heute junge Juristen in Brüssel und junge Techniker in Deutschland Karrierechancen sondieren – beruflich umzusehen. In Paris trifft er mit den berühmten Benediktinern der Kongregation von Saint-Maur zusammen, die ihm raten, nach Wien zu gehen. Ausgestattet mit einem Empfehlungsschreiben findet er in der Habsburgerresidenz Kontakt zu Gottfried Wilhelm Leibniz. Der Universalgelehrte – und Reichshofrat – empfiehlt ihn für den Eintritt in den Staatsdienst. Dennoch erkundigt sich Bartenstein noch bei anderen Mächten über die Möglichkeit der Aufnahme in die Diplomatie, widerstrebt ihm doch der in Österreich notwendige Übertritt zum Katholizismus.

      So wird jahrelang zugewartet, verhandelt und abgewogen. Erst 1715 kommt man zur Vereinbarung, den klugen Elsässer mit dem Titel eines kaiserlichen Rates und tausend Talern Gehalt in den österreichischen Staatsdienst aufzunehmen. Zwei Jahre später wird er zum niederösterreichischen Regierungsrat ernannt, als er 30 Jahre alt ist, wird er in den Ritterstand erhoben. Jetzt kann er sich auch privat etablieren und heiratet 1725 die adelige Maria Doblhoff, die Tochter des kaiserlichen Leibarztes. Bald kommt sein erster Sohn Joseph Philipp zur Welt, neun Jahre später Christoph Innozenz.

      Es beginnt die steile Karriere des Freiherrn von Bartenstein. 1726 wird er zum Hofrat bei der österreichischen Hofkanzlei ernannt. Im Jahr darauf geschieht Entscheidendes für seinen Berufsweg. Er wird dem schwer kranken geheimen Staatssekretär Johann Georg von Buol zugeordnet, um für ihn und unter seiner Aufsicht in der Geheimen Konferenz – der Vorläuferorganisation der späteren Ministerräte – das Protokoll zu führen, Beschlüsse vorzubereiten und auszufertigen. Als Buol verstirbt, geht sein Posten auf Bartenstein über. Damit ergibt sich zwangsläufig ein direkter Draht zu Karl VI., der mit seinen Ministern überwiegend schriftlich und somit über Bartenstein verkehrt.

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      Kaiserin Maria Theresia (1717–1780) und ihr Sohn Joseph

      Sein häufiger Kontakt mit dem Monarchen lässt seinen Einfluss von Tag zu Tag wachsen. Ein weiterer Grund ist, dass er als Sekretär der Geheimen Konferenz zwar an deren Beschlüsse und die Vorgaben des Kaisers gebunden ist, doch diese gehen oftmals nicht ins Detail. Für ihn bleibt also ausreichend Raum, hier zu verschärfen, dort zu akzentuieren, da zu interpretieren und etwas wegzulassen oder zu ergänzen. Dabei ist er, wie Zeitzeugen festhalten, „rechthaberisch, aber zugleich überzeugungstreu und von einer Furchtlosigkeit, welche bei einem Niedriggeborenen doppelt überraschte. Nicht nur in der Konferenz, in welcher bloß zu schreiben, nicht aber auch zu sprechen sein Amt wäre, sagt er seine Meinung geradeheraus und verficht sie mit Hartnäckigkeit. Auch gegen die fremden Minister am Wiener Hofe tut er das Gleiche (…), oft in einer Weise, welche wirklich geeignet ist, abzustoßen und zu verletzen.“

      Bartenstein festigt mit seinen Kenntnissen, seiner Intelligenz und Wendigkeit die Zuneigung und das unbegrenzte Vertrauen des Monarchen. Vor allem seine wissenschaftliche Qualifikation im deutschen Rechtswesen beeindruckt zutiefst, wobei er sich nicht ungern durch Spitzfindigkeiten und juristische Haarspaltereien, insbesondere in Angelegenheiten des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation hervortut. Diese Lust am Rabulieren und am Advokatischen wird ihm bald eine besondere Aufgabe bescheren.

      Karl VI. hat nämlich das große Problem, dass er keinen männlichen Thronerben, sondern nur Töchter hat. Das könnte die Kurfürsten von Bayern und Sachsen, seine Schwäger, dazu verleiten, nach seinem Tod Ansprüche zu stellen und seine Tochter Maria Theresia auszubooten. Zwar hat er bereits 1713 mit der Pragmatischen Sanktion die weibliche Erbfolge eingeführt. Nun geht es darum, jedes einzelne habsburgische Erbland samt Ungarn zur Annahme dieser verfassungsrechtlichen Verfügung zu bewegen und die Anerkennung durch die internationalen Mächte sicherzustellen.

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      Kaiser Karl VI. (1685–1740), der Vater von Maria Theresia

      Hier erreicht Bartenstein mit diplomatischem Geschick 1723 die Zustimmung Ungarns, 1726 die Brandenburg-Preußens und 1731 die von England. Zwei Jahre später wird er dafür in den Freiherrnstand erhoben, Geheimer Rat und Vizekanzler der Staatskanzlei. In dieser Funktion ist er nach dem Kanzler die Nummer zwei am Ballhausplatz. Mit nur zwei Konzipisten, zwei Kanzlisten und je einem Mann für Versand und Archiv hat er diese Anerkennungen zustande gebracht. Sein Arbeitsstil in der Kanzlei ist eher altmodisch: Er zieht alles an sich, kann nicht delegieren und will auch keinen größeren professionellen Mitarbeiterstab.

      Sein Meisterstück für den Kaiser und dessen Älteste ist aber 1735 eine Familienangelegenheit von politischer Tragweite: In den Wiener Verträgen von 1725 hatte sich Karl VI. im Gegenzug für die Anerkennung der Pragmatischen Sanktion verpflichtet, zwei seiner drei Töchter mit dem spanischen Königshaus zu vermählen. Für Maria Theresia hätte dies eine Ehe mit dem Infanten Don Carlos bedeutet – was für die eigenwillige Prinzessin aber ganz und gar nicht in Frage kam. Sie hat sich bereits als Heranwachsende in den um neun Jahre älteren lothringischen Prinzen Franz Stephan verliebt, in dem sie seit ihrem sechsten Lebensjahr den künftigen Ehemann sah.

      Bartenstein argumentiert hier zunächst juristisch spitzfindig. Aufgrund des frühen Todes von Maria Theresias Schwester Maria Amalia sei der Vertrag nichtig geworden, weil man nun nicht mehr zwei aus dreien auswählen könne. Dann argumentiert er politisch, dass England und die Niederlande eine Verschiebung des Machtgleichgewichts am Kontinent nicht nur fürchten, sondern die Verbindung zwischen