Der Raubgraf. Julius Wolff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julius Wolff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783961183517
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Ihr habt dort Euren Hafer liegen?«

      »Stiftshafer ist der beste weit und breit«, erwiderte Bock mit ganz unschuldig ernstem Gesicht.

      »Und billig!« meinte Florencius.

      Jetzt bekam der Stiftsschreiber einen jener bohrenden Blicke vom Ritter, auf die stillzuschweigen für einen nicht ganz Sattelfesten das geratenste war.

      Bald entspann sich zwischen den dreien ein lebhafter Meinungsaustausch über den Streit des Grafen von Regenstein mit der Stadt Quedlinburg um die Gerichtsbarkeit und über die Anmaßung des Bischofs, auf den der Ritter übel zu sprechen war.

      Bock von Schlanstedt verteidigte den in seinem Rechte Gekränkten auf das entschiedenste, denn für seinen Grafen ging er durchs Feuer. Überhaupt hing der seltsame, aus mancherlei Gegensätzen zusammengefügte Mensch an dem Regensteinschen Grafenhause mit einer grenzenlosen Hingebung. Er hatte die sechs Brüder wie auch den verstorbenen siebenten nicht nur unter seinen Augen aufwachsen sehen, sondern selber erziehen helfen, hatte sie alle auf Armen getragen und vor sich auf dem Pferde gehabt, war ihr Wärter und geduldiger Spielkamerad und dann ihr Lehrmeister im Reiten, Fechten und Stechen gewesen, auf welche Künste er sich wie einer verstand.

      Er war als junger Bursche seinem Vater, einem freien Bauern im Dorfe Schlanstedt, davongelaufen, weil er sich lieber als Reiterknecht durch die Welt schlagen, als hinter dem Pfluge hertreten wollte. Dicht bei Schlanstedt hatte nämlich die jungen Regensteiner eine Burg, bei deren Besatzung sich der junge, hoch aufgeschossene Bauernsohn durch manches ihr zugesteckte heimliche Beutestück aus seines Vaters Rauchfang sehr beliebt zu machen wusste. Von den Reisigen dort lernte er das Kriegshandwerk und fand so großen Gefallen daran, dass er nicht mehr davon lassen konnte und sich eines schönen Tages aus dem Staube machte. Er meldete sich auf dem Regenstein beim Grafen Ulrich, wo man ihn auf seine flehentliche Bitte in Dienst und Pflicht nahm und wo im Gang der Zeit aus dem Trossbuben auch wirklich ein tüchtiger Reiterknecht wurde, der sich durch Zuverlässigkeit und einen tollkühnen Mut allmählich die Gunst und das volle Vertrauen seines Herrn erwarb. In einer Fehde des Grafen Ulrich mit den edlen Herrn von Barby, die das Schnappen und Heckenreiten doch etwas zu arg und bin in den Harzgau hinein trieben, hatte sich Bock unter den Augen seines Herrn so glänzend hervorgetan, dass dieser ihm nach glücklich beendetem Strauß den Rittergurt verlieh.

      Diese große Auszeichnung erhöhte Bocks Selbstbewusstsein gewaltig, und er gewöhnte sich nach dem Vorbilde des Grafen ein ritterliches Benehmen an, ohne hoffärtig gegen das Gesinde und reisige Volk zu werden, mit dem er nach wir vor Mühen und Gefahren brüderlich teilte.

      Er hatte nichts. Sein Ross, sein Eisenkleid und Schwert und Schild waren und blieben, wie er es auffasste, des Grafen, von dem er sie bekommen hatte, und als dessen unbeschränktes, jeden Augenblick nach Belieben zu nutzendes oder wegzuwerfendes Eigentum betrachtete er auch sein Blut und Leben. Ein Mann des Grafen von Regenstein zu sein, war seine Ehre und sein Stolz, und mit gleicher Treue wie früher dem Vater diente er jetzt den Söhnen, von denen Albrecht sein Stern und Spiegel, Siegfried aber sein Herzensliebling war.

      Der Ritter hielt Stadt und Stift Quedlinburg streng voneinander getrennt. Der ersteren war er feindlich gesinnt, weil sie die Rechte seines Herrn schmälern wollte; in der Äbtissin dagegen erblickte er als Dienstmann ihres Schirmvogtes eine Fürstin, die auf die Kraft seiner Lanze einen ebenso begründeten Anspruch hatte wie seiner Meinung nach er selber und sein Ross auf ihr Bier und ihren Futterhafer.

      Als die Reiter auf dem Münchenhofe ankamen, stieg Bock vom Pferde und rief einem seiner Knechte zu: »Hängt ab, Nothnagel! wir bleiben hier.«

      Willekin und Florencius taten einen Stegreiftrunk von dem kräftigen Bier, das sie dem darreichenden Meier loben mussten, und setzten sich wieder in Bewegung.

      »Ich wünsche Euch einen gnädigen Empfang bei dem hochwürdigsten Herrn Bischof, Herr Stiftshauptmann!» höhnte ihnen der Ritter nach. »Aber ich sorge, Ihr werdet mit Eurer Botschaft so viel Mühe haben, als wenn Ihr einem Tauben ein Märlein erzähltet.«

      »Ich denke, er wird es in beide Ohren nehmen, was ich ihm zu sagen habe,« entgegnete Herr Willekin sich im Sattel umwendend.

      »Und Euch zum Dank dafür zu Gaste laden, nicht wahr?«

      »Wartet es ab, Herr Bock von Schlanstedt, wer die Zeche zu bezahlen haben wird.«

      »O, wir leben bei ihm auf Kreide,« rief Bock lachend.

      »Und sitzt tief genug drin, das weiß ich!« gab der Stiftshauptmann ebenso zurück.

      »Dann machen wir einen Strich durch – hiermit!« sagte Bock und schlug mit der Hand ans Schwert.

      Aber die Reiter waren schon zu entfernt, um die Worte des Zurückbleibenden noch verstehen zu können.

      »Dass dich der Bock stößt! mich will bedünken, Ihr lasst Euch in seltsam krumme Händel ein, Herr Willekin!« murrte der hagere Recke mit einem misstrauischen Blicke nach dem dahinreitenden Stiftshauptmann. »Wir zwei stehen nicht in einem Stall. – Weiter, Hasenbart!« sagte er dann zu einem anderen seiner Gesellen und hielt ihm den leeren Krug hin, um ihn wieder füllen zu lassen, »aber heute nicht mehr als drei für jeden! Bis wir die heruntergespült haben, sind die beiden Quedlinburgischen außer Sicht. Sie müssen denken, dass wir hier bleiben, darum sagte ich euch, ihr solltet abhängen. Nachher reiten wir ein bisschen scharf zu über Wegeleben und ziehen uns rechts an der Bode um Emersleben herum. Unsere Grafen kommen über Derenburg, und in der Gegend von Schwanebeck an der Holtemme sollten wir sie treffen; die von Crottorf und Schlanstedt kommen auch.«

      »Na, da werden wir's ja wohl schaffen!« brummte Nothnagel.

      »Eselskopf! schaffen!« sprach Bock, ehe er den frischen Krug an die Lippen setzte, »Graf Albrecht ist ja dabei und –« nach einem langen Zuge – »und wir sieben!«

      Sie tranken gemächlich und legten während des dritten Kruges die Sättel wieder auf.

      Eine Stunde vor Mittag trafen Willekin und Florencius vor dem Petershofe, der großen bischöflichen Burg in Halberstadt ein, die sich dem Dome gegenüber, hochgelegen und stark bewehrt, mit ihren Umfassungsmauern an die viertürmige Liebfrauenkirche lehnte.

      Der Stiftshauptmann sprach absitzend: »Bringe die Rösslein zu meinem werten Freunde, dem Domherrn Herbord Moor, Florencius, und melde mich und dich bei ihm zu Mittag an; sage ihm mit meinem Gruße, ich würde nicht lange auf mich warten lassen, er könnte mittlerweile mal in den tiefsten Winkel seines Kellers leuchten.«

      Der Schreiber griff nickend den Zügel des anderen Pferdes und ritt zur Kurie des Domherrn.

      Der Stiftshauptmann aber schritt durch das düstere Tor und wandte sich über den Schloßhof nach dem Portale der bischöflichen Residenz.

      Ein junger Kleriker führte den Stiftshauptmann über Treppen und durch steingraue Hallen in einen gewölbten, von einer Hängelampe nur matt erleuchteten Gang, an dessen Ende still und zurückgezogen die Wohngemächer des Bischofs lagen. Dort in einem geräumigen, üppig ausgestatteten Zimmer ließ er den Gast in Erwartung des Hausherrn allein, und Herr Willekin war nicht leicht zumute, als er nun unmittelbar und in einer ihn fremd anschauenden, seltsam befangenden Umgebung vor einer vielleicht verhängnisvollen Unterredung stand.

      Bald trat der Bischof ein, in bis auf die Füße reichendem violettem Gewand, eine jugendlich schlanke Gestalt mit bleichen, edel geformten Zügen, denen zwei große dunkle Augen einen vornehm gebietenden Ausdruck verliehen.

      Der Stiftshauptmann verneigte sich tief, und Bischof Albrecht redete ihn mit den Worten an: »Seid mir willkommen, Herr Stiftshauptmann! Wie geht es unserer gnädigen Frau von Quedlinburg?«

      »Sie sendet Euch durch Euren gehorsamen Diener ihren freundnachbarlichen Gruß, hochwürdigster Herr!« erwiderte der Stiftshauptmann mit einer neuen Verbeugung.

      »Und meldet mir ihr und ihrer hochgeborenen Damen erfreuliches Erscheinen am Tage meiner feierlichen Inthronisation,« sprach der Bischof, während ein zufriedenes Lächeln über sein Antlitz glitt.