Und nun war sie seine Gefangene, vielleicht auf lange Zeit, und konnte nicht einmal wünschen, dass es nicht so wäre. Das war kein Abenteuer, in das sie ein Spiel des Zufalls verwickelte, das war Schicksalsfügung, der sie sich mit stiller Erwartung des Kommenden willenlos ergab.
Achtes Kapitel.
Anders als in Graf Albrechts Gemach sah es in dem Zimmer seines jungfräulichen Gastes aus. Und das war Siegfrieds Werk. Alles, was er unter dem Rat und Beistand oder auch trotz der Abwehr der alten Ursula an Hausrat und vermeintlichem Schmuck und Zier aus den vergessensten Räumen der weiten Burg herschleppen konnte, das brachte er während Odas Abwesenheit in ihrem Zimmer an, so dass dieses zwar einen ganz wohnlichen Anstrich gewann, aber auch in einer etwas bunt zusammengewürfelten Ausstattung prangte.
Teppiche lagen auf dem Fußboden, Teppiche mit stark verschossenen Heiligenbildern hingen an den Wänden. Auf einem Schranke standen zwischen alten Tongefäßen ein ausgestopfter Auerhahn und eine holzgeschnitzte Mutter Gottes. Mit gepresstem Leder bezogene Stühle und gestickte Fußbänkchen hatte Siegfried herbeigeschafft, hatte sogar einen zierlich gearbeiteten Frauenpanzer aufgestöbert und über dem Kamine aufgehängt, hatte über einen viereckigen und einen runden Tisch farbig benähte Linnen breiten lassen und den kleinen Metallspiegel der seligen Mutter rings mit Pfauenfedern umsteckt. Auf die Tische hatte er eine Laute und eine schon vergilbte, aber sauber geschriebene Ausgabe des Reinhart Fuchs von Heinrich dem Glichesäre gelegt.
Oda lächelte und Eilika lachte, als sie diese Anstalten, ihnen die Gefangenschaft möglichst bequem zu machen, gewahrten. Sie wussten auch, von wem sie herrührten, denn sie hatten Siegfried zwischen den einzelnen Gebäuden der Burg mehrmals hin und her gehen und sich mit den aufgestapelten Dingen wie noch mit allerhand seltsamem Gerümpel tragen sehen, das glücklicherweise nicht alles Platz gefunden hatte. Aber Siegfrieds freundliche Fürsorge rührte Oda, und sie nahm sich vor, dem jungen Ritter dafür zu danken.
Eines Tages musste Graf Albrecht nach seiner Burg Botfeld bei Elbigerode verreiten, ich Oda blieb mit Siegfried allein. Er frug sie, ob sie sich das Regensteiner Felsennest nicht endlich einmal ansehen wollte; er würde sie gern führen und ihr alles zeigen. Diesen Vorschlag nahm sie freudig an, und sie gingen beide hinaus und erstiegen die oberste Platte des Felsens, von der man die Feste in ihrem ganzen Umkreise übersehen konnte.
Der breite Rücken des Berges, der eigentlich nur ein ungeheuerer, teils bewaldeter, teils wild zerklüfteter Felsblock war, nach Norden und Westen steil abfallend, von Süden und Osten sanfter ansteigend, bestand aus mehreren höher und tiefer gelegenen Flächen, die durch Felsentreppen miteinander verbunden und groß genug waren, um jede für sich eine stattliche Burg zu tragen. Es hatte auch wirklich jede einzelne derselben ihre eigene sehr starke Befestigung, die ebenso wie die dazu gehörigen Gebäude zum Teil aus dem gewachsenen Felsen heraus oder in ihn hinein gearbeitet waren. Gänge, Wölbungen, Hallen und Gemächer waren aus lebendigem Stein, und im Innern der Häuser schlossen sich die gemauerten Räume unmittelbar an die aus dem Felsen gehöhlten und fanden in ihnen ihre Fortsetzung und Ergänzung. Der höchstbelegene und wichtigste Teil der Feste bestand sogar nur aus natürlichem Felsen und enthielt in mehreren Geschossen übereinander geräumige Hallen und Kammern mit klafterdicken Wänden und rund ausgemeißelten Türen und Fensterbögen. Das ganze aber, das mit seinen bald vorgeschobenen, bald versteckt zurücktretenden Werken, Türmen, Ecken und mächtigen Felsbauten, seinen Häusern, Gärten und Gehöften dem hier nicht Heimischen planlos kraus und darum noch abenteuerlicher und größer erschien, als es schon an und für sich in hohem Grade war, dieses großartige, die kühnsten Vorstellungen übersteigende Ganze war in unregelmäßigen Zickzack- und Bogenlinien, je nach Umriss und Gestalt des hohen Felsenberges von unerklimmbaren künstlichen und natürlichen Steinmauern umgürtet, und seine Umschreitung nahm beträchtliche Zeit in Anspruch.
So war der Regenstein eine Felsenburg oder vielmehr ein Verband, eine Gesamtheit von Burgen, die in ihrer Vereinigung an Größe und Stärke, an sturmfreier Sicherheit sowohl wie an Schönheit der Lage wohl nirgends ihresgleichen hatte.
Siegfried führte Oda auf der freien Höhe des Felsens an den schwindelnden Absturz und fasste sie hier bei der Hand, die sie ihm willig überließ. »Seht, Fräulein,« sprach er, »der Felsen fällt hier mehr als achthundert Fuß lotrecht in die Tiefe hinab, und wenn dort unten auf dem Wege ein Mensch ginge, so würde er Euch kaum größer scheinen als eine Krähe. Hier sind wir gegen jeden Ansturm geschützt; was nicht fliegen kann, kommt hier nicht herauf und auch nicht lebendig hinab.«
Oda hielt sich fester an Siegfrieds Hand und blickte vom äußersten Rande in die jähe Tiefe hinab.
»Nun wendet Euch um,« sagte er. »Dort, von Blankenburg her ist es allein möglich, den Berg zu ersteigen; aber auch dort wehren Klippen und Felswände, noch durch feste Mauern verstärkt, den Vordringenden, und das doppelte Tor in dem Felsen-Engpaß mit der Zugbrücke über dem Graben, durch das Ihr eingeritten seid, bildet den einzigen Zugang. Habt Uhr schon je von einer Burg gehört, so unbezwinglich und unnahbar wie diese?«
»Niemals!« erwiderte Oda, über das, was sie sah, aufs höchste verwundert.
»Nicht wahr, Ihr fühlt Euch hier sicher und gut verwahrt?«
»O ja,« lächelte sie, »hier entwischt Euch keiner.«
»Nun sehet hier,« fuhr er fort, »hier an den Felsen gelehnt, von diesem selber zum Teil gebildet und von ihm überragt, ist der Palas mit dem Saalbau, dem Bergfried, dem Rüsthause und dem Marstall. Wir nennen es die Oberburg; da wohnen wir und unsere Gäste, wenn wir deren haben, und jene zwei Fenster dort, aus deren einem eben der Vorhang wie ein Fähnlein flattert, sind die Euren. Dort rechts aber, weiter unten, jenseits des Hofes und seitlich des großen Baumgartens ist die Vorburg, wo in starken Weichhäusern die Reisigen und Knechte liegen. Daran schließen sich die Ställe für die Gäule und das Vieh nebst Scheunen und Vorratsräumen. Da drüben links, wo sich der Berg mit zackigen Klippen hinabsenkt, sind zwischen Felsen versteckt wieder andere Weichhäuser, die beinahe ganz aus dem natürlichen Stein geschaffen sind. Dort haust unser treuester Mann, der Ritter Bock von Schlanstedt, dem wir's zu verdanken haben, dass Ihr hier seid, Gräfin Oda. Er hat sich die Felsenhöhle selber zur Kemenate ausgesucht und eingerichtet, und es sieht fast wunderlich bei ihm aus. Verrostete Waffen, befremdliche Beutestücke und zarte Liebespfänder, von denen allen er eine abenteuerliche oder rührende Geschichte zu erzählen weiß, bewahrt er dort zu ewigem Andenken auf wie zutage geförderte Schätze, mit denen er sich in seiner sorglosen Armut unermesslich reich dünkt.«
»Kann man das nicht einmal sehen?« frug Oda.
»O Ihr würdet ihn stolz machen, wenn Ihr ihn in seiner Klause einmal besuchtet,« erwiderte Siegfried. »Aber nun kommt, Gräfin Oda, nun will ich Euch das Beste zeigen.«
Aber sie bat: »Lasst uns noch weilen, Graf Siegfried, und des herrlichen Blickes genießen.«
Wunderbar freilich war der weite Rundblick von hier oben. Siegfried nannte der sich dem Genuss ganz Hingebenden alle von hier sichtbaren Städte und Dörfer, Schlösser und Burgen, die Gipfel des nahen Gebirges und die fernher schauenden Höhenzüge, und sie konnte sich kaum satt sehen an dem prächtigen Bilde.
»Und wie schön nimmt sich der Regenstein selber aus von allen Punkten, die wir hier sehen!« sprach Siegfried mit gerechtem Stolze. »Ihr möget auf dem Ballenstedter oder auf dem Quedlinburger Schloss, der Lauenburg, drüben auf den Harzbergen, oder fern da oben auf dem Kloster des Huys stehen, überall hebt sich seine Felsenmasse, den Blick anziehend