Mord am Jadebusen. Christiane Franke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christiane Franke
Издательство: Bookwire
Серия: Oda Wagner, Christine Cordes
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416470
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wie immer, wenn sie für einen Moment mit einem Toten allein in einem Raum war. Diesmal jedoch trug der eisige Windzug dazu bei, der durch die Ritzen der Fensterrahmen mit ihrer Einfachverglasung hereinkroch und einen Hauch von Wattenmeer und Salzwasser mit in den Raum blies. Die Kälte wanderte unangenehm ihren Rücken hinauf.

      Erneut betrachtete sie den nüchternen Raum. Beenke mit seiner Cordhose hätte eher in ein Zimmer voll englischer Möbel gepasst. Nicht in so viel Chrom, Glas und Schwarz. Christine beugte sich zu dem Foto vor. Zwei junge Erwachsene, denen man die Ähnlichkeit mit dem Verstorbenen ansah. Vom Alter her könnten es seine Kinder sein. Doch warum stand hier kein Foto von seiner Frau? Oda Wagner hatte doch gesagt, dass Dr. Beenke verheiratet war. Nun ja, das fehlende Bild sagte ja auch schon eine Menge über die Ehe aus.

      Allerdings stand auf Christines neuem Schreibtisch bislang auch noch kein Foto von Frank. Dabei liebte sie die Aufnahme, die sie von ihm bei ihrem Urlaub im vergangenen Jahr an der Mosel gemacht hatte. Darauf stand er unbeschwert lachend vor einem Weinstock. Bei all dem Trubel hatte sie noch keine Zeit gefunden, das Bild auszupacken. Sie nahm sich vor, es heute noch herauszusuchen und aufzustellen, als gutes Omen sozusagen.

      »Moin.« Zwei schwarz gekleidete Mitarbeiter eines Bestattungsunternehmens betraten den Raum, zwischen sich eine Trage mit einem dunkelblauen Kunststoffsack.

      »Wir sollen den Toten mitnehmen. Können wir?« Der vordere Mann sah sie fragend an.

      Christine nickte, stieß sich von der eisigen Fensterbank ab und machte einen Schritt in den Raum hinein. Nein, Geheimnisse gab es hier wohl nicht, dafür aber den Widerspruch zwischen dem Erscheinungsbild des Museumsdirektors, das gediegene Gemütlichkeit ausstrahlte, und seinem nüchternen Büro.

      Gab es diese Widersprüche auch in Beenkes Privatleben?

      ***

      Oda hatte die Putzfrau bereits vernommen und nach Hause geschickt. Sie saß hinter dem Schreibtisch der Sekretärin, Ina Nienhauer, die ihrerseits auf dem Besucherstuhl Platz genommen hatte. Sie kauerte dort wie ein Häuflein Elend.

      »Guten Morgen.« Christine Cordes betrat das Büro und streckte Frau Nienhauer zur Begrüßung die Hand entgegen. »Mein Name ist Cordes, ich leite die Ermittlungen in diesem Fall.« Sie setzte sich auf den anderen Besucherstuhl. Neben Ina Nienhauer.

      Was war das denn? Ich leite die Ermittlungen? Nee, wenn die glaubte, Oda einfach in die zweite Reihe abschieben zu können, dann hatte sie sich getäuscht. Oda würde ihr diesen Fall nicht überlassen, und das sollte sie auch gleich merken. Sie hätte ja nicht noch in Beenkes Büro bleiben müssen. Wäre sie mitgekommen, hätte sie die Chance auf den einzig richtigen Platz in einer Vernehmungssituation gehabt. Nein. Oda korrigierte sich. Auch dann hätte sie den Platz hinter dem Schreibtisch für sich in Anspruch genommen.

      Nun gut, dachte sie, wollen wir der Tussi aus Hannover mal zeigen, wie hier der Hase läuft.

      »Frau Nienhauer«, begann Oda, »von Frau Schneider wissen wir bereits, dass die Nebentür heute früh nicht verschlossen und die Alarmanlage nicht eingeschaltet war. Das sei sehr ungewöhnlich, hat sie gesagt. Wann sind Sie denn gestern gegangen? Und wer war fürs Abschließen und Aktivieren der Anlage zuständig?«

      »Wir beide, also … Dr. Beenke und ich. Eben wer als Letzter ging. Gestern hab ich um sechs Feierabend gemacht. Da lebte Dr. Beenke noch. Ich wollte zu meinen Eltern, meine Mutter feierte ihren achtundsiebzigsten Geburtstag und hatte die Familie zum Abendessen in die Antonslust eingeladen.« Ina Nienhauer rieb sich verlegen die Hände. Oda registrierte, dass sie keinen Ehering, sondern nur einen kleinen Goldring mit Brillantsplittern trug. Demnach war sie nicht verheiratet. Gehörte sie, ebenso wie Oda, in die Riege der geschiedenen Frauen?

      Egal. Oda schätzte sie auf Ende vierzig. Sie war modern gekleidet, mit Jeans und weißer Bluse. Die mittelbraunen Haare waren kurz geschnitten und mit Gel in Form gezupft. Insgesamt machte Ina Nienhauer einen zuverlässigen und kompetenten Eindruck. Eben den einer guten Sekretärin. Dass sie ein wenig durcheinander zu sein schien, war unter den gegebenen Umständen verständlich.

      »Er wollte noch bleiben«, fuhr Frau Nienhauer fort. »Er erwartete Besuch von Henner Diersen. Das ist der Vorsitzende des Kuratoriums. Als ich mit meiner Arbeit fertig war, habe ich ihm Tschüss gesagt und unten im Nebeneingang die Tür hinter mir ins Schloss fallen lassen. Die kriegt man ja von außen nicht auf. Von meinem Büro aus kann man einen Summer drücken, damit sich die Tür öffnen lässt. Von daher ist es also nicht schlimm, wenn der Nebeneingang unverschlossen ist.«

      »Wie war denn Dr. Beenkes Verhältnis zu Herrn Diersen? Wissen Sie, ob es Ärger zwischen den beiden gab?«, fragte Christine Cordes. Sie hatte einen in Leder gebundenen Block auf den Knien.

      Was für eine Wichtigtuerin, dachte Oda. Konnte die sich denn nichts merken? Sie verdrehte gelangweilt die Augen.

      Ina Nienhauer knetete ein Taschentuch zwischen den Händen. »Na ja, ich würde sagen, es war angespannt. Die beiden mochten sich nicht. Aber ob sie Ärger miteinander hatten, dazu kann ich nichts sagen.« Sie hörte auf zu kneten und schluchzte auf. »Wäre ich nicht … hätte ich nicht …«

      »Schon gut. Beruhigen Sie sich.« Oda fand Gefühlsaufwallungen fremder Leute peinlich. Man musste sich doch beherrschen können. »Ist Ihnen in der letzten Zeit irgendetwas an Dr. Beenke aufgefallen? War er anders als sonst? Fühlte er sich vielleicht bedroht?« Sie drehte einen Bleistift zwischen den Fingern. Im Gegensatz zu der Neuen brauchte Oda sich keine Notizen zu machen. Sie war stolz auf ihr gutes Gedächtnis. War außerdem einfacher, in einer der Hirnschubladen zu kramen, als in einer Zettelwirtschaft zu wühlen.

      »Nein«, antwortete Ina Nienhauer. »Soweit ich das beurteilen kann, hat er sich nicht bedroht gefühlt. Im Gegenteil. Er war überaus zufrieden. Er hat nämlich vor Kurzem das Prunkstück der künftigen Ausstellung ›Kirche, Kunst und Küste‹ erhalten. Nach diesem Bernstein-Petrus hatte er lange gesucht … Als er endlich hier eintraf, da war er der glücklichste Mensch der Welt.«

      Sie stand auf und holte ein Foto im DIN-A5-Format. »Das ist der Petrus.«

      Oda nahm das Bild in die Hand und runzelte die Stirn. Das sollte das Prunkstück einer Ausstellung werden? Sie schätzte die Skulptur auf schlappe zehn Zentimeter, aber da konnte sie sich natürlich täuschen. Der Bernstein war überwiegend klar mit einigen Einschlüssen, die jedoch nicht von der eigentlichen Figur ablenkten. Simon Petrus in sitzender Position mit kurzen, leicht gelockten Haaren, einem dichten Bart und langem Gewand. In der herunterhängenden linken Hand hielt er ein Netz, die rechte lag auf seinem Schoß und hielt einen Schlüssel.

      »Was ist an dem nun so besonders?« Oda sah zu Ina Nienhauer hoch, die neben ihr stehen geblieben war.

      »Na ja, die Skulptur stammt von dem niederländischen Bildhauer Adriaen de Vries. Bis vor einiger Zeit war nicht bekannt, dass es sie überhaupt gibt. De Vries war auf dem Weg zum Dänenkönig Christian IV., als er vor der Küste Hooksiels Schiffbruch erlitt. De Vries ist als Meister des Frühbarocks bekannt. Er hat nur ein einziges Mal mit Bernstein gearbeitet. Als Dankeschön für die Hooksieler für seine Rettung.« Die letzten Worte hauchte Ina Nienhauer fast andächtig.

      »Und weiter?« Oda verlor allmählich die Geduld.

      »John, ich meine Dr. Beenke, stieß bei seinen Vorbereitungen und Recherchen für die neue Ausstellung auf Unterlagen, aus denen hervorging, dass der Petrus lange als unbedeutende Reliquie in der Kirche zu Pakens gestanden hat. Während des Zweiten Weltkrieges verschwand er jedoch. Sein Wiederauftauchen wird eine Sensation für die Kunstwelt sein.«

      »Nun denn.« Oda versuchte sich beeindruckt zu zeigen, bezweifelte aber, dass ihr das gelang. »Ich nehme an, dieser Petrus ist sicher verwahrt?«

      »Selbstverständlich! Er befindet sich im Tresor. Und der ist unversehrt.«

      »Gut. Wie lange sind Sie denn schon Dr. Beenkes Sekretärin?« Christine Cordes mischte sich ein. Ihr Tonfall war so sanft, dass er in Oda beinahe einen Würgereiz auslöste. Spielte die Neue jetzt »Guter Bulle, böser Bulle« und wollte Oda in die Rolle des Bösen drängen? Da würde sie aber keineswegs mitspielen.

      Ina