Im Schatten des Allmächtigen. Elisabeth Elliot. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisabeth Elliot
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783775174930
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      »Ich war Schulhofwart, das heißt, wenn alle Schüler da waren, hatte ich den Fahrradschuppen abzuschließen. Auf Jim musste ich immer warten. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er jeden Morgen, wenn es schellte, angerast kam – erst die 80. Straße herunter, dann fegte er um die Ecke an der Adventistenkirche, rutschte über den Kies des Kirchplatzes und überquerte schließlich in voller Fahrt den Schulhof, bis er mit starkem Bremsen und in einer großen Staubwolke vor dem Fahrradschuppen stoppte, vom Rad heruntersprang, etwas murmelte, dass er sich verspätet habe, und sich bedankte, um dann in die Schule zu entschwinden. Das war während eines ganzen Jahres alles, was ich von diesem Ausbund an Eile, Ungestüm und Unbekümmertheit kennenlernte.«

       [ Zum Inhaltsverzeichnis ]

      REDNER UND ALTWARENSAMMLER

      Als Jim auf die Polytechnische Oberschule in Bensan kam, wählte er als Hauptfach architektonisches Zeichnen. Die Schulzeitung war durchsetzt von seinen Leitartikeln, auch von Berichten über sein Auftreten als Star in verschiedenen Schulaufführungen. Ein Lehrer, der bei einer dieser Aufführungen Regie führte, sagte: »Einen so begabten Amateurschauspieler habe ich noch nie gehabt. Nach der Aufführung haben einige der anderen Lehrer mir zugeredet, ich müsse Jim unbedingt dazu ermutigen, zum Theater zu gehen.«

      Er stand auch in dem Ruf, der beste Redner von Bensan zu sein. Anlässlich von Präsident Roosevelts Tod bekam er wenige Stunden vorher die Mitteilung, er solle eine Rede vorbereiten für eine besondere Versammlung, die für den Nachmittag anberaumt war. Einer seiner Lehrer erklärte nachher: »Er hielt die beste Rede, die ich von einem Schüler je gehört habe – und eine der besten, die ich überhaupt von irgendjemandem gehört habe.«

      Auch Jims Volksschulkamerad Dick Fisher war auf die Schule in Bensan gekommen. Über seine Eindrücke von Jim erzählt er Folgendes:

      »Ich selbst war lang und dünn. Jim war etwas kleiner, hatte aber eine gute Figur und braunes Haar und sah gut aus – die Mädchen schauten ihn immer zweimal an. Was ich am meisten an ihm bewunderte, war sein scharfer Verstand. Er begriff äußerst rasch, sowohl im Unterricht als auch sonst, während ich immer einen Kilometer hinter ihm zurückblieb.

      Er versuchte dann, mir die Dinge in ganz einfachen Ausdrücken zu erklären …

      Nach der Physikstunde hatten wir Zeichnen, und das Klassenzimmer war ungefähr fünf Häuserblocks entfernt. Mitten durch die Schule zu kurven auf überfüllten Korridoren, und zwar in den fünf Minuten bis zum nächsten Schellen, war nicht einfach. Ich sehe Jim noch vor mir, wie er sich schiebend und drängend seinen Weg bahnte mit vorgestrecktem Kinn, ein Bild an Zielstrebigkeit.

      Auf seinen Schulbüchern hatte er obenauf meistens eine kleine Bibel liegen, und es brauchte nur zwei oder drei Zuhörer, damit er sie aufschlug und zu reden anfing. Vor dem Mittagessen betete er immer, und er ließ keine Gelegenheit verstreichen, mit mir über Jesus Christus zu sprechen und ob ich an den Himmel, die Hölle, das künftige Leben glaube und so weiter. Wenn er für eine Zusammenkunft eine Rede vorbereiten musste, zog er mich in ein leeres Zimmer, trug mir seine Rede vor und verlangte von mir ein kritisches Urteil. Anfangs lachte ich so sehr, dass er außer sich geriet, doch im Laufe der Zeit entwickelte er die richtige Vortragsweise, wuchtig und donnernd (sehr geeignet zum Wachhalten der Hörer).

      Als die Rationierungen der Kriegszeit sich auf die öffentlichen Verkehrsmittel auszuwirken begannen, gingen Jim und ich dazu über, beim Nachhauseweg von der Schule per Anhalter zu fahren. Wir sparten dadurch nicht nur täglich einen Groschen, sondern hatten auch mehr Zeit, uns zu unterhalten und die großen Dinge dieser Welt zu erörtern. Eines Abends erzählte Jim mir von seiner Absicht, Präsident zu werden – ein Gedanke, mit dem er sich eine Zeit lang ganz im Ernst befasste.

      Einmal nahm mich Jim nachmittags mit nach Hause zu seiner Familie. Bei diesem ersten Besuch fiel mir vor allem auf, wie viele Pflichten Jim zu Hause hatte und wie planvoll und methodisch er die Arbeiten erledigte. Er musste Hühner, Ziegen und Kaninchen füttern, die Heizung anzuwerfen, den Hof in Ordnung bringen, die eine oder andere Besorgung machen. Im Nu hatte er mich angewiesen, einen Teil der Arbeiten zu übernehmen; Jims Führerfähigkeiten machten immer weitere Fortschritte.

      Jim und Dutch (Werner Durtschi) interessierten sich für Fußball, und nach längeren Diskussionen brachten sie auch mich dazu, mitzumachen. Jim spielte als Verteidiger. Im Fußballdress, kommt mir immer vor, habe ich nie etwas derart Komisches gesehen wie ihn. Er erinnerte mich an einen großen Elch mit X-Beinen, der gerade aus dem Wasser kommt. Der einzige Ruhm, auf den er in der Mannschaft Anspruch erheben konnte, war, dass er viel mehr Dreck auf seinem Gesicht anzusammeln verstand als alle anderen.

      Jim wollte unbedingt mit Dutch und mir eine Zelttour machen. Nach verschiedenen Gängen zu den Altwarenhändlern am Hafen zwecks Einkauf von Ausrüstungsgegenständen fuhren wir an einem Freitagnachmittag nach der Schule per Anhalter los. Zu dritt sah man uns dastehen, Jim, Dutch und mich, jeder mit einem Gepäcksack und einer Flinte mit einer leeren Konservenbüchse obendrauf, um den Regen abzuhalten – für jeden Autofahrer eine verwegen aussehende Gesellschaft. Wir hielten immer eine Gebetsgemeinschaft, ehe wir auf eine Campingtour gingen, und ich dachte oft: Wenn wir einen Schutzengel hatten, dann musste er bei uns recht viel auf den Beinen sein, und sehr viel Schlaf bekam er nicht.

      Uns drei zusammen hätte keiner mitgenommen, deshalb versteckten zwei sich im Gebüsch, und der Dritte winkte. Einmal, als ein Wagen anhielt, liefen wir alle drei hin, und der Fahrer fragte: ›Wie viele sind es?‹, und wir sagten, dass wir nur zu dritt wären und außerdem sehr klein – wir brachten es auch fertig, uns noch hineinzuquetschen zu den vieren, die schon drinnen saßen.

      Am nächsten Tag, als wir an einem Golfplatz entlanggingen, hörten wir eine Ente quaken. Wir liefen über die kurz geschnittene Rasenbahn. Jim ging vornedraus, und als er die Ente sah, jagte er ihr eine Kugel in den Steiß, aber dann versagte seine Flinte. Dutch feuerte hinter meinem Rücken, die Kugel ging über die Ente hinweg. Den nächsten Schuss gab ich ab, und ich traf das Tier im Flug, sodass es etwa fünf Meter vom Ufer im See landete. Jim nahm einen Stock und versuchte, es herauszufischen, da hörten wir von hinten einen Schrei, und als wir uns umdrehten, sahen wir eine Frau, die wie wild mit den Armen fuchtelte und etwas schrie von einer Lieblingsente. Uns wurde ziemlich mulmig, aber Jim war entschlossen, unseren Siegespreis herauszuholen, was ihm schließlich auch gelang, obwohl er dabei ziemlich nass wurde. Bis wir uns aus dem Staub machen konnten, war die Frau schon ziemlich nah herangekommen, ganz außer sich schrie sie ›Mörder‹ und heulte, und so setzten wir uns schnell in Bewegung, liefen wieder über den Rasenstreifen und auf eine schützende Hügelwelle zu. Wir kamen uns ein wenig grausam vor, aber wir hatten uns gedacht, jede Ente, die fliegen könne, sei eine Wildente und somit ein jagdbares Wild für uns; die gute Dame allerdings in ihrer Verzweiflung tat uns leid, und wir baten den Herrn, sie zu trösten. Ein anderes Mal, als wir versuchten, über einen Stacheldraht zu kommen, um einen Bussard aus der Nähe anzuschauen, den ich geschossen hatte, kam ich aus Versehen an den Abzug meiner Flinte. Der Schuss ging durch Jims Haare. Das hat uns eine Zeit lang ziemlich gedämpft.«

      Jims älterer Bruder Bert betrieb ein einträgliches Geschäft als Altwarenhändler, bei dem sich Jim und Dick Fisher samstags beteiligten. Bert steuerte den Lastwagen, während die beiden Jüngeren oben auf der Ladung saßen und mit ausrangierten Neonröhren nach vorüberfliegenden Möwen schlugen oder die am Vormittag gesammelten Altwaren nach brauchbaren Dingen durchwühlten. Auf diese Weise brachten sie genügend Ziegelsteine zusammen, dass sie sich einen Bratrost im Freien bauen konnten, genügend alte Flaschen, um am Supermarkt für den Erlös eine stattliche Anzahl Fleischpasteten zu kaufen, und außerdem eine gut sortierte Kollektion von Gebrauchsgegenständen, unter anderem verschiedene Herde, ein Bett, Stühle, einen Bettvorleger aus einem kompletten Bärenfell mit Kopf und sogar eine Garnitur Leichensezierinstrumente, die Jim auf den Gedanken brachte, Unterricht im Ausstopfen zu nehmen. Unter seinen ersten ausgestopften Beutetieren befand sich eine Möwe, die er auf einer der Sammelfahrten zur Strecke gebracht hatte.

      Wenn die beiden, schwer bepackt mit ganzen Ladungen von Flaschen, den Supermarkt betraten, um