Im Schatten des Allmächtigen. Elisabeth Elliot. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisabeth Elliot
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783775174930
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einem dünnen, an einem Ende schwarzen Stäbchen. Dann sahen sie angestrengt auf diese Zeichen und sprachen die Worte nach, die die Ureinwohner gesagt hatten. Untereinander aber gaben sie nur sonderbare Laute von sich – es waren doch nicht Worte? Doch wahrscheinlich schon – gegenseitig schienen sie sich zu verstehen, zu unterhalten. Doch es war nicht »hörbar«. Und warum antworteten sie nicht, wenn man mit ihnen redete?

      Das junge Mädchen entdeckte, dass die Oberfläche des Ayamu glatt war; sie war wie – nein, sie war anders als alles, was das Mädchen kannte. Wie sollte man das den anderen zu Hause beschreiben? Wie ein Platanenblatt? Ja, aber ein Platanenblatt war nicht so groß und fest. Verzückt rieb sie ihren Körper an dem glatten Rumpf.

      Und wie vor allem konnte dieses Wesen fliegen? »George« musste es herausbekommen. Er guckte in seinen Kopf, dann in seinen Bauch. Mit den Flügeln schlagen konnte es nicht. Wie konnte es sich bewegen? Mit Gebärden und Geplapper überzeugte er den Piloten, dass er sich nicht fürchte, dass er fliegen wolle. Höher, immer höher stiegen sie hinauf mit beängstigendem Krachen, bis weit über die Bäume. Wie fremd schien die Welt seinen kurzsichtigen Augen – denn der Urwaldbewohner weiß nichts von weiten Räumen, fernen Horizonten. Er kennt nur den braunen Schlamm zu seinen Füßen, die Höhe eines Baumes, die kurze Strecke eines Flusses bis zur nächsten Biegung. Vielleicht hat er schon mal einen Baum erklettert und über das grüne Blättermeer gespäht, um nach dem Rauch zu suchen, der ihm die Lage eines Hauses anzeigt, aber niemals hat er etwas Ähnliches gesehen wie diese weite Fläche, die sich jetzt endlos unter ihm ausdehnte.

      Plötzlich fiel sein Blick auf eine Stelle, wo der Schauplatz sich veränderte – Leute, winzig kleine Leute liefen dort umher. Sie sahen so klein aus wie die weißen Männer früher, wenn sie über ihn hinweggeflogen waren. Ja, das mussten seine Leute sein. Das Flugzeug kreiste niedriger. Ja, natürlich – dort war sein Bruder, sein Vater, seine alte Großmutter. Aufgeregt schrie er ihnen etwas zu, und sie beobachteten ihn staunend. Jetzt schraubte sich das Flugzeug wieder höher. Er war so außer sich vor Freude, dass er immer weiter schrie, auch auf dem ganzen Rückflug bis zum Fluss, wo sich plötzlich unter ihm der glatte, weiße Sandplatz dehnte und ihm dann entgegenstieg. Mit einem Knirschen, das durch Mark und Bein ging, traf das Flugzeug auf den Boden, hüpfte eine Strecke weiter, dann blieben die Bäume schließlich stehen. Da waren auch wieder die zwei Frauen. Wie sollte er den beiden schildern, was er zu sehen bekommen hatte?

      Am späten Nachmittag kam das junge Mädchen zu der Überzeugung, dass es Zeit sei, diese fremden Leute, die anscheinend kein Verlangen nach ihr hatten, zu verlassen. Sie ging den Sandstrand entlang und entfernte sich. »George« rief ihr nach, aber nein, sie blieb entschlossen. Schließlich, als sie im Wald verschwand, folgte er ihr. Später ging auch die ältere Frau, und über die steilen Hügel und durch die sumpfigen Niederungen eilten sie zu ihrem Dorf, um atemlos von ihren Erlebnissen zu berichten. Doch hinten im Halbdunkel sah man alte Häupter mit verfilztem schwarzem Haar, die sich schweigend, aber ablehnend hin und her bewegten, als sie die Erzählung hörten. Zwischen den Holzpflöcken, die sie in den Ohrläppchen trugen, schmiedeten sie finstere Pläne.

      Am Ufer das Curaray warteten am nächsten Tag die fünf Männer voller Spannung, dass ihre Freunde wiederkämen. Wie am Tag vorher gingen sie am Strand auf und ab und riefen die wenigen Sätze, die sie von der Aussprache gelernt hatten; sie hatten sie herausbekommen von einer Waorani-Frau, die von ihrem Stamm geflohen war und jetzt auf einer Farm in der Nähe der Missionsstation lebte. Doch auf die Rufe folgte nur das Schweigen des Urwaldes, der den gewundenen Fluss auf beiden Seiten säumte. Einmal fiel ein Baum, und das Krachen steigerte die Spannung. Aber nichts geschah. Schließlich sah Jim Elliot auf seine Uhr.

      »Also, Brüder, ich gebe ihnen noch fünf Minuten. Wenn sie dann nicht auftauchen, gehe ich rüber!«

      Die Klugheit hielt ihn davon ab, seine Drohung auszuführen, doch auch den ganzen langen Nachmittag warteten sie umsonst.

      Die »Nachbarn« hielten offenbar noch Konferenzen ab – sollten sie wieder zu den weißen Männern gehen und sie einladen in ihr Dorf? Wer sollte hingehen? Sie konnten nicht wissen, mit welch gespannter Sehnsucht sie erwartet wurden.

      Der Sonntagmorgen dämmerte herauf mit wolkenlosem Himmel. Wieder hatte Gott die Gebete erhört. Der Fluss war nicht gestiegen, der schmale Landesstreifen nicht zerstört, und das Wetter war zum Fliegen günstig. Nate, der Pilot, stieg auf. Nachdem er eine Zeit lang über dem Ureinwohnerdorf gekreist war, entdeckte er etwa zehn Waorani, die sich am Fluss in Richtung der vier Fremdlinge bewegten.

      »Es ist so weit, Freunde!«, rief er aufgeregt, als das Flugzeug wieder auf dem Sandstrand landete. »Sie sind unterwegs!«

      Durch Funk wurde Nates Frau über die Begegnung informiert; um 16:30 Uhr sollte sie wieder am Apparat sein.

      Nach dem Mittagessen machten sich die Männer daran, auf dem Sand einen Miniatur-»Dschungel« und das Modell eines Hauses aufzubauen: Daran sollte den Wilden demonstriert werden, wie sie einen Landestreifen anlegen konnten, falls sie daran interessiert wären, dass die weißen Männer zu ihnen kämen und bei ihnen lebten. Dann sangen die fünf Missionare gemeinsam, wie sie das so oft getan hatten, freudig und spontan:

      »Wir vertrau’n auf Dich,

      du Schirmer und Beschützer,

      wir gehen nicht allein ins Feindesland.

      Du machst uns stark,

      wir sind in Dir geborgen und vertrau’n auf Dich!

      Du hast uns ausgesandt.

      In Deinem Namen, Retter und Befreier,

      der Du hoch über alle Namen bist,

      zieh’n wir hinaus;

      Du sich’re Burg und Feste,

      Du Herr des Himmels, Heiland Jesus Christ.

      Wir geh’n im Glauben,

      fühlen unsre Schwäche,

      wir brauchen Deine Gnade Tag für Tag.

      Wir preisen und anbeten Deine Liebe,

      von der uns keine Macht je trennen mag.

      Wir vertrau’n auf Dich,

      Du Schirmer und Beschützer!

      Dein ist die Schlacht,

      und Dein wird sein der Ruhm,

      wenn siegreich wir dereinst durch Perlentore

      einziehen dürfen in Dein Heiligtum.«

      Indem sie sich und alle ihre sorgsam ausgedachten Pläne in die Hände dessen gaben, der sie so unverkennbar bis hierher geführt hatte, warteten sie auf die Waorani.

      Am gleichen Nachmittag, noch vor 16:30 Uhr, strömten die stillen Wasser des Curaray über die Leichen der fünf Kameraden, erschlagen von den Menschen, deretwegen sie gekommen waren, um sie für Christus zu gewinnen.

      Die Welt sprach von einer grauenvollen, herzbeklemmenden Tragödie. Die Welt erkannte nicht die Wahrheit in Jim Elliots Glaubenssatz:

      »Der ist kein Tor, der hingibt, was er nicht behalten kann, auf dass er gewinne, was er nicht verlieren kann.«

       [ Zum Inhaltsverzeichnis ]

      Portland, Oregon 1927–1945

      STARKE WURZELN

      Die gepflanzt sind im Haus des Herrn, werden grünen in den Vorhöfen unseres Gottes.

      Psalm 92,14

      Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war das Buschwaldgebiet von Ontario zwischen Huron- und Eriesee noch ziemlich unberührt. Unter den vielen, die durch die Aussicht auf gutes, billiges Land dorthin gelockt wurden, befand sich auch die Familie Elliot aus dem südlichen Grenzgebiet Schottlands. Hundertfünfzig Kilometer westlich von Toronto siedelten sie sich bei Molesworth an, einem winzigen Dorf mit zwei Krämerläden,