Ich war nicht, wie meine ältere Schwester Lenore, auf eine politische Karriere hin erzogen worden. Nachdem sie ihr Jurastudium an der Harvard Uni als Beste ihres Jahrgangs abgeschlossen haben würde, würde sie die nächste Senatorin oder politische Repräsentantin unserer Familie werden.
Ich war mehr das hübsche Gesicht, dessen leiser Charme mehr wie Jackie Kennedy war als Hillary Clinton. In den Augen meiner Eltern sollte mein Lebensziel sein, gut zu heiraten und die politische Karriere meines Ehemanns zu unterstützen.
Während sie schon immer meine wahren Talente unterschätzten, hatte ich diese still und heimlich weiterverfolgt. Nachdem ich mit einer guten Note in Bio graduiert hatte, schockte ich meine Eltern damit, mich für Veterinärmedizin eingeschrieben zu haben. Die Uni in Virginia hatte mich zwar angenommen und ich hatte die Vorlesungen dort begonnen, doch es juckte mich in den Fingern, die Flügel auszubreiten und unabhängiger zu werden. Zuerst wollten meine Eltern überhaupt nichts dergleichen hören. Ich hatte sie nur dazu bringen können, meine weitere Ausbildung zu finanzieren, indem ich auf die Texas A&M Uni ging. Dabei spielte es keine Rolle, dass diese Uni zu den Top-Unis des Landes für Veterinärmedizin gehörte. Nein, es ging ihnen nur darum, dass Texas ein politisch wichtiger Staat war.
Als ich ins Auto stieg, klingelte mein Handy. Ich warf einen Blick auf das Display und stöhnte. „Wenn man vom Teufel spricht“, murmelte ich. Es war die eine Person, die meine innere Zufriedenheit ganz sicher runterziehen konnte.
„Hi, Mutter.“ Ich zwang mich dazu, erfreut zu klingen.
„Hallo, Liebling. Ich wollte mich nur mal nach dir erkundigen. Daddy und ich fragen uns, wie Texas dich behandelt.“
Trotz der Entfernung zwischen uns konnte ich das falsche Interesse in der Stimme meiner Mutter hören. Zwar schuldete sie mir noch den Pflichtanruf nach meinem Umzug, doch ich wusste, dass sie noch aus einem selbstsüchtigeren Grund anrief – der mit meinen Plänen für heute Abend zu tun hatte.
„Damit willst du sagen, dass du nur wissen willst, ob ich auch wirklich mit Preston Bradford ausgehen werde.“
Das hohe Lachen meiner Mutter ging mir auf die Nerven. „Okay, gut, du hast mich durchschaut. Ich sterbe vor Neugier, ob das Date noch steht.“
Meine Eltern und ihre engen Freunde, die Bradfords, die in Houston lebten, ergötzten sich an der Fantasievorstellung, dass Preston und ich einmal heiraten würden. Nicht nur, um zwei politisch mächtige Familien zu vereinen, sondern auch, um den zukünftigen Präsidenten und seine First Lady zu produzieren. Ich war nicht sicher, wie sie den Quantensprung hinbekommen hatten, aus einer simplen Unterhaltung von Preston und mir Hochzeitsglocken zu machen, doch wenn es sie mir eine Weile vom Hals hielt, gönnte ich es ihnen.
„Ja. Er holt mich um sieben ab.“
„Das ist absolut wunderbar. Ich wusste doch, dass es auf der Feier zum vierten Juli zwischen euch gefunkt hat.“
Ich schnaubte. „Den einzigen Funken gab es, als er aus Versehen meinen Kaftan in Brand gesetzt hat.“
Sollte Preston je Präsident werden, würde er mit Sicherheit Gerald Ford in puncto Tollpatschigkeit übertreffen. Es war noch viel zu früh auf der Party gewesen, um als Ausrede zu benutzen, betrunken zu sein. Er konnte nur sich selbst die Schuld dafür geben, über einen Stuhl gestolpert und auf einen Tisch gefallen zu sein, wobei eine Kerze umfiel und meinen Kaftan anzündete, den ich über dem Bikini trug. Der einzige Grund, warum ich ihn nicht sofort abgeschrieben hatte, war der Umstand, dass er sich so aufrichtig entschuldigt und den Rest der Party rührend um mich gekümmert hatte.
„Um Himmels willen, erwähne das heute Abend bloß nicht. Er wird von seiner Familie schon genug mit seiner Tollpatschigkeit aufgezogen. Es auch noch von seinem Date zu hören, ist das Letzte, was er brauchen kann.“
Ich verdrehte die Augen. „Das würde mir im Traum nicht einfallen, Mutter. Weißt du, ich bin in der Lage, eine inhaltvolle Unterhaltung mit einem Mann zu führen. Du hast mich schließlich auf eine Benimmschule geschickt, hast du das vergessen?“
„Ja, ja, ich weiß. Ich will nur nicht, dass du irgendwas sagst, was ihn abschrecken könnte. Er akzeptiert bereits, dass du planst, eine eigene Karriere zu haben.“
„Ich werde eine eigene Karriere haben“, korrigierte ich sie.
Das genervte Seufzen meiner Mutter signalisierte mir, dass sie genug von meinen Launen hatte, wie sie es nannte. „Okay, wie auch immer, ich wünsche viel Spaß. Okay?“
„Danke. Ich werde mich bemühen.“
„Und lass uns so schnell wie möglich wissen, wie es gelaufen ist.“
„Mutter, ich bin vierundzwanzig und keine sechzehn mehr.“
Ihre Stimme wurde eine Oktave höher. „Annabel – sei so gut, ja?“
„Gut, gut“, murmelte ich und spürte, wie die Kopfschmerzen einsetzten, die ich nach jedem Telefonat mit meiner Mutter bekam.
„Bis später dann.“
„Ja, bis später.“ Ich legte auf und warf das Handy auf den Sitz.
Ich schlug mich durch den Feierabendverkehr zu meinem Apartment und eilte hinein, um mich fertig zu machen.
Nach einer schnellen Dusche stand ich vor dem Kleiderschrank und versuchte zu entscheiden, was ich anziehen wollte. Normalerweise sollte es beim ersten Date etwas sein, das sexy war. Aber in diesem Fall glaubte ich nicht, dass Preston mit seinem übermäßig konservativen Hintergrund das begrüßen würde. Ich entschied mich für Jeans, ein edel wirkendes grünes Oberteil, Pumps und hatte soeben das Schminken und Frisieren erledigt, als es an der Tür klingelte.
Als ich die Tür aufriss, lächelte mich ein adretter und polierter Preston strahlend an. Er trug ein Poloshirt und kakifarbene Hosen.
„Annabel, es ist so schön, dich wiederzusehen.“
Ich erwiderte sein Lächeln. „Ich freue mich auch.“
Seine blauen Augen betrachteten mich vorsichtig. „Weißt du, nach unserem ersten katastrophalen Treffen bei meinen Eltern hatte ich befürchtet, dass du mich nie wieder sehen willst.“
Innerlich stöhnte ich, doch ich schaffte es, abwehrend die Hand zu heben. Ich fragte mich ernsthaft, wie sozial unfähig er war, das überhaupt zur Sprache zu bringen. „Ach was. Ich bin froh, dich besser kennenlernen zu können.“
Preston schien sich über meine gut durchdachte Antwort zu freuen. „Dann lass uns essen gehen. Ich dachte ans Pacey’s.“
Ich war über seine Wahl etwas erstaunt. Das Pacey’s war eine College-Bar und der Hotspot außerhalb des Campus. Es war nicht gerade romantisch dort, aber wahrscheinlich ein neutraler Ort fürs erste Date. Um den Campus herum kannte er sich aus, schließlich studierte er Politikwissenschaft.
„Klingt super.“
Im Pacey’s führte uns die Bedienung in eine etwas ruhigere Ecke. Als ich in die Speisekarte schaute, spürte ich plötzlich ein Prickeln im Genick, als ob mich jemand beobachtete. Als mein Blick zur Bar glitt, sah ich einen umwerfend gut aussehenden Mann. Sein rabenschwarzes Haar war kurz geschnitten, wodurch sein markantes Kinn gut zur Geltung kam, das von einem Dreitagebartschatten bedeckt war, und zu alldem besaß er noch volle, zum Küssen einladende Lippen. Obwohl er saß, sah man, dass er sehr groß war. Das erkannte ich daran, wie er die Beine unter dem Barhocker zusammenfalten musste. Unter dem weißen T-Shirt wölbten sich erstaunliche Brustmuskeln. Über dem T-Shirt trug er eine Lederweste. Ich glaubte, man nannte so etwas Kutte. Solche Männer hatte ich bisher nur im Fernsehen gesehen, noch nie persönlich. Die Kutte mit den aufgenähten Abzeichen gehörte definitiv zu einem Biker. Ehe ich mich beherrschen konnte, leckte ich mir über die Lippen. Daraufhin grinste