Mein Onkel der Leopardenmann. Kurt Arbeiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kurt Arbeiter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783702236472
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wollten, war sie noch im „Salon“, einer Bretterbude in einer staubigen Straße von Limete, um sich ihr Haarteil anheften zu lassen, einen verwegenen Dutt, der ein wenig an einen Bandkeramikbecher aus schwarzem Plastik erinnert. Dann hat sie drei ihrer Pagnes1 probiert, nur um sich schließlich für einen einzigartig unspektakulären Minihosenrock zu entscheiden, der ihre Hüften zur Geltung bringt. Vorteilhaft? – Fragen Sie nicht. Hendryks vorwurfsvolle Blicke bringen sie nicht im Geringsten in Verlegenheit. Im Gegenteil, Arlette lacht. „Das habt ihr jetzt von eurer Hetzerei. Das ist ein kongolesisches Mittagessen!“

      „Das ist gar kein Mittagessen“, maule ich.

      Arlette lächelt weiter: „Wir sind die Ersten.“

      Balu der Bär ist der Erste von uns, der sich wieder fängt. L’ours Balou ist der Spitzname von Philippe, dem französischen Fallschirmpionier. (Sachen gibt’s in der französischen Armee!) Philippe probierts mit Gemütlichkeit, die sich auch einstellt, als nach einer gefühlten halben Stunde eine Kellnerin aus dem Haus schlurft. Ihr Gang sagt deutlich, dass es hart ist, am Teich der Toten Karpfen zu leben. Aber schließlich kredenzt sie uns doch eine Runde Bier.

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      „Cool, Moninga!“

      Jetzt fehlt nur noch die Modeschau. Leider lässt es sich die veranstaltende Agentur nicht nehmen, zuerst ihre anderen Künstler zu präsentieren. Das Programm beginnt mit einem Komödianten, der uns zwanzig Minuten lang mit einem Monolog bearbeitet, der nach einer wüsten Schimpftirade klingt, die wir nicht verstehen, und die niemand lustig findet. Ich an seiner Stelle hätte mich nach spätestens zehn Minuten im Pool ersäuft. Er aber ist völlig schmerzfrei. „Wie war ich?“, fragt er mich nach seinem von allen heiß ersehnten Abgang. „Kitoko mingi – Spitzenklasse“, antworte ich. Ich muss mich einmal erkundigen, was „Schleimer“ auf Lingala heißt.

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      Am Catwalk von Limete

      Wie auch immer, selbst Balu der Bär drängt mittlerweile zum Aufbruch. Ich muss meine Freunde mit einer weiteren Runde Bier zum Bleiben zwingen. Eine lohnende Investition, zeigt sich gegen zweiundzwanzig Uhr. Denn die Modeschau auf den geborstenen Fliesen rund um den Weiher der Verzweifelten Welse reißt alle vom Hocker, die sich von diesem Abend nicht mehr viel erwartet haben. Die natürliche Anmut, mit der sich die Models aus der Gosse von Limete bewegen, ist atemberaubend.

      Noch während die Rufe nach Zugabe über den Pool wogen, geselle ich mich zur Chefin der Agentur, die aus dem Hintergrund heraus zufrieden ihren Erfolg belauert. Madame Carine ist von einer etwas unheimlichen Schönheit; ein ehemaliges Topmodel, sagt sie. Ich bin geneigt, ihr aufs Wort zu glauben. Ihre sanfte, tiefe Stimme ist berückend. „Tanz, Gesang, Sprache, Auftreten, das ist es, was wir unseren Künstlern vermitteln. Unser Traum …“, ihr Blick scheint sich kurz in einer smaragdenen Zukunft zu verlieren, „… unser Traum ist, dass vielleicht einer von ihnen einmal ein echter Filmstar wird.“

      Recht so, Madame Carine! Wo wären wir ohne unsere Träume!

      „Wir wollen diesen jungen Menschen von der Straße helfen, es im Leben zu etwas zu bringen.“

      Großartig, Madame, ich bewundere Sie!

      „Freilich sind unsere Mittel begrenzt.“ – Oh, oh, das Gespräch nimmt eine beunruhigende Wendung. Plötzlich bin ich es, den Madame belauert. Ich bin Beute, wird mir klar, denn ich bin ein Mundele. Und die Mundele kommen gemeinhin nicht in den Kongo, um sich zu amüsieren (was man daran erkennt, dass sie 1. nicht tanzen können und 2. die kongolesische Rumba nicht zu schätzen wissen). Nein, die Mundele kommen, um zu helfen. Auf gut Lingala: um Hinz und Kunz Geld in den Rachen zu stopfen. Also warum nicht auch jungen, künftigen Filmstars aus dem Guesthouse Melissa?

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      Madame Carine

      „Wir haben noch nicht einmal eigene Proberäumlichkeiten“, schnurrt Madame Carine.

      „Echt schlimm. Aber das wird schon. Bon courage, Madame.“ Ich weiche einen halben Schritt zurück.

      Aber die Mutter Teresa von Limete gibt nicht auf. Ihre schläfrigen Augen weiten sich, und ich muss plötzlich an die Schlange Kaa denken. Ich werfe einen hilfesuchenden Blick hinüber zu Balu dem Bären, aber der ist gerade beim Zahlen. Ich werde weich. „Na ja, ich kenne natürlich schon ein paar Leute, die immer wieder große Feste geben.“

      „Wunderbar. Wir vermitteln auch Musiker und Servierkräfte.“

      Warum eigentlich nicht? Warum sollte ich mich nicht ein wenig engagieren als Vermittler zwischen den Welten, um den Kassenmagneten von morgen aus der Patsche zu helfen. Wer weiß, vielleicht hat ja auch eine Halle Berry einmal am Fischteich angefangen. Ich bin drauf und dran, Madame Carine meine Visitenkarte zu übergeben.

      „Natürlich stellen wir auch Komödianten.“

      Nein, um Himmels willen! Der Bann ist gebrochen. „Ein unvergesslicher Bursche, Madame. Ich werde darüber nachdenken. Es war sehr schön, au revoir!“ Ich reiße mich los und haste meinen Kameraden nach, die sich anschicken, den Hof zu verlassen. Ehe ich das Tor erreiche, schleudert mir Madame Carine ihren letzten Trumpf nach: „Babysitter! Wir vermitteln auch Babysitter!“

      Am Weg zum Auto laufe ich dem Burschen mit der Pelzjacke in die Arme, den ich am Nachmittag fotografiert habe. „Wie wär’s mit einem kleinen Bier, Moninga?“, ruft er.

      1Pagnes: die farbenfrohen, gemusterten Kleider der zentralafrikanischen Frauen

      2„A votre soif“: „Auf euren Durst.“

      3Mundele: die Weißen

      4Moninga, lingala: Kumpel, „brother“

      5Fou-fou: Knödel aus Maniokmehl,