Schuld ist nur das Publikum. Georg Markus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Markus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902998484
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      Da kannte die Großmama kein Pardon, auch wenn die Enkelin längst zu den Großen dieser Welt zählte, für sie war sie »nur Filmschauspielerin«. Was sie als schade empfand, »denn ich halte sie für ungeheuer begabt. Je mehr sie sich auszieht, desto mehr Reiz hat das fürs Publikum, aber mit Kunst hat das nichts zu tun. Ich meine, daß die Arbeit für Film und Fernsehen mit der am Theater nicht zu vergleichen ist. Im Theater herrscht die Kunst, beim Film die Technik, da fällt das Gefühl unter den Tisch.«

      Es war natürlich die Meinung einer Frau, die aus einer anderen Zeit in die unsere gekommen war, und dennoch machte sie auf mich in keinem Moment den Eindruck, in ihren Ansichten altmodisch oder gar verstaubt zu sein. Sie wirkte mit ihrem ungeheuren Charme, und wenn sie mich mit ihren listigen Augen ansah – ich wage es kaum zu sagen –: da wirkte die Einhundertundzweijährige geradezu jung.

      Auch sie war in ihrem langen Leben nicht so gesund, wie man dies bei jemandem vermuten würde, der dieses biblische Alter erreichte. »Ich habe sechzig Jahre lang unter einem Magengeschwür gelitten, bis es im vergangenen Frühling zum Durchbruch kam.«

      Zumal meine Gesprächspartnerin nicht nur ein kulturhistorisches, sondern zweifellos auch ein medizinisches Phänomen darstellte, wandte ich mich nach unserem Gespräch (und mit Rosa Albach-Rettys Einverständnis) an den sie behandelnden Arzt, Primarius Erich Amann aus Baden, der mir erklärte: »Als ich ihr im vorigen April eröffnete, daß ihr Magengeschwür sofort operiert werden müsse, lehnte sie zunächst ab. Erst, als ich ganz offen sagte, daß dann sehr bald ihre letzte Stunde schlagen würde, willigte sie ein. Es konnte dann gar nicht schnell genug gehen. Der ungeheure Lebenswille ist es auch, der diese Frau in Würde und in bester Verfassung so alt werden ließ.« Dabei unterstrich der Primarius, »daß eine so schwere Magenoperation auch bei halb so alten Menschen nicht ungefährlich« sei. »Aber sie hatte eine blanke Wundheilung wie eine Vierzigjährige.« Und ein knappes halbes Jahr später, als ich ihr gegenübersaß, war sie nach Aussage des Arztes »vollkommen wiederhergestellt«.

      Zurück auf die Terrasse des Kurhotels Bad Goisern. Sie erzählte noch von ihrer Audienz bei Kaiser Franz Joseph, »zu der man nicht gebeten, sondern befohlen wurde. Mein langes, schwarzes Audienzkleid war vom Salon Drecoll am Kohlmarkt angefertigt worden. Der Kaiser, ein wirklich feiner Herr, damals schon über achtzig, stand, als ich den Audienzsaal betrat, an seinem Stehpult. Er kam mir entgegen, reichte mir die Hand und sagte: ›Es tut mir leid, daß ich Sie noch nie auf der Bühne gesehen habe. Ich komm’ halt gar nicht mehr ins Theater. Aber meine Tochter Valerie hat Sie schon oft bewundert und mir davon berichtet.‹« Er nahm Rosa Albach-Rettys Dank für die Ernennung zur Hofschauspielerin entgegen, und schon war die Audienz wieder beendet.

      »Es ist ja köstlich, sagte sie dann noch, daß meine Enkelin in mehreren Filmen ausgerechnet die Frau jenes Mannes spielte, dem ich damals begegnet bin. Und wie sich die Zeiten geändert haben: Romy ist vor ein paar Jahren zufällig im selben Flugzeug gesessen wie Otto von Habsburg. Als sie in Madrid landeten, wurden sie von einer riesigen Menschenmenge empfangen. Romy dachte: Die warten sicher alle auf den Sohn des letzten Kaisers von Österreich. Aber nein, sie jubelten ihr zu, die die Kaiserin Sisi nur gespielt hatte.«

      Noch einmal auf ihre Audienz bei Kaiser Franz Joseph zurückkommend, sagte Rosa Albach-Retty: »Man vergißt so eine Begegnung nie mehr, man trägt diesen Eindruck ein Leben lang in sich.«

      Ich verabschiedete mich von der Hofschauspielerin und unternahm, tief bewegt von dem soeben geführten Gespräch, mit Tante Hilda einen kleinen Spaziergang durch den Kurpark. Plötzlich, nach ein paar Minuten, stand uns Rosa Albach-Retty noch einmal gegenüber. Sie setzte sich auf eine Bank und lud uns ein, ihr Gesellschaft zu leisten. »Hier, auf dieser Bank«, sagte sie lachend, »habe ich meinen letzten Heiratsantrag bekommen. Das ist schon lange her, ich war damals neunzig.«

      Ich wunderte mich, daß es der bislang letzte war und hörte fasziniert zu, wie sie jetzt, fast übermütig, weitererzählte, von Kainz, »der sehr intelligent und seiner Zeit um Dezennien voraus war«, und von einer besonders bösartigen Zeitungskritik, die irgendwann zur Jahrhundertwende über eine damals schon etwas ältliche Kollegin erschienen war. Die Überschrift hatte gelautet: »Die Burgruine – in der Titelrolle: Stella Hohenfels.«

      Ich fuhr zurück nach Wien. Als im darauffolgenden Jahr die Autobiografie Rosa Albach-Rettys erschien, ersuchte der Verlag den Fotografen, der mich nach Goisern begleitet hatte, um ein Foto, das in dem Buch auch tatsächlich abgedruckt wurde. Die Frau Hofschauspielerin, so erzählte man mir später, schlug ihre Memoiren auf, sah das Bild und rief entsetzt aus: »Um Himmels willen, auf dem Foto schau’ ich ja nicht wie eine Hundertjährige aus, sondern wie eine Zweihundertjährige!« Es mußte auf ihren Wunsch in der zweiten Auflage ausgetauscht werden.

      Rosa Albach-Retty starb am 26. August 1980, drei Jahre nach unserem Interviewtermin, in Baden bei Wien. Sie stand im einhundertundsechsten Lebensjahr.

      Und mir bleibt die wunderbare Erinnerung an ein Gespräch, ähnlich wie es ihr wohl nach der Audienz beim Kaiser ergangen war: Man vergißt so eine Begegnung nie mehr, man trägt diesen Eindruck ein Leben lang in sich.

      Er hat für uns gespielt

       Wie ich Paul Hörbigers Memoiren-Schreiber wurde

      Es muß in den frühen Sommertagen des Jahres 1978 gewesen sein, da läutete bei mir zu Hause das Telefon. Ich glaubte meinen Ohren nicht trauen zu können, als sich eine markante Stimme mit den Worten »Hier spricht Paul Hörbiger« meldete. Wäre der Anruf des Filmstars bei einem damals noch jungen und unbekannten Reporter nicht schon außergewöhnlich genug gewesen, so folgte die eigentliche Überraschung erst danach. Als er mich nämlich fragte, ob ich nicht mit ihm gemeinsam seine Memoiren schreiben wollte.

      Paul Hörbiger. Vierundachtzig war er damals und selbstverständlich längst eine Legende. Seit vielen Jahren hatten sich prominente Autoren und große Verlage um die Veröffentlichung der Lebenserinnerungen eines der letzten lebenden Filmstars im deutschen Sprachraum bemüht. Und dieser große alte Mann rief jetzt ausgerechnet bei mir zu Hause an.

      Natürlich gab es eine Vorgeschichte. Ein bekannter Verlag hatte einen noch bekannteren deutschen Schriftsteller als »Ghostwriter« für Paul Hörbigers Memoiren engagiert. Nach Jahrzehnten beharrlichen Schweigens war der Liebling mehrerer Generationen endlich bereit gewesen, aus seinem bewegten Leben zu erzählen. Doch die Sache ging nicht gut aus. Dem bekannten Schriftsteller kann man vielleicht gar keinen Vorwurf machen: Paul Hörbiger war – wie ich bald erfahren sollte – sicher kein einfacher Partner für ein so schwieriges Projekt. Es gab immer wieder Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden, zum Bruch kam es aber erst, als der Autor dem Schauspieler die ersten Manuskriptseiten für das geplante Buch vorlegte.

      Das Urbild des Wiener