Schuld ist nur das Publikum. Georg Markus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Markus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902998484
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1564 in Stratford-on-Avon als Sohn eines Handschuhmachers geborenes Universalgenie, war Dichter und Schauspieler. Er selbst wies seine Kollegen Taylor und Lowin, die als erste seinen Hamlet und seinen Heinrich VIII. verkörperten, in ihre Rollen ein. Die Leseproben fanden im Wirtshaus statt, die Aufführungen in dem von seiner Truppe gegründeten Globe Theatre in London. Die Zeit der Commedia dell’arte und ihre Stegreifspiele gehörte der Vergangenheit an, Shakespeares realistische Figuren eroberten die Bühnen in aller Welt.

      Anfangs freilich ohne jeden literarischen Anspruch. Die Kunde von Shakespeares Dramen sprach sich unter den Theaterleuten anderer Länder zwar schnell herum, doch sollten seine Texte noch lange nicht über den Kanal gelangen. So wurden die Inhalte von Romeo und Julia, König Richard III., Der Kaufmann von Venedig, Ein Sommernachtstraum oder Was ihr wollt in freiem Spiel und ohne Nennung des Autors »nachempfunden«, unter anderen auch von der Truppe des berühmten »Kursächsischen Hofkomödianten« Magister Johannes Velten. Es muß schrecklich gewesen sein!

      Dafür kann Velten (1640 bis 1693), der »Stammvater der deutschen Berufsschauspieler«, für sich das Verdienst in Anspruch nehmen, als erster Molière in korrekter Übersetzung auf deutschen Bühnen aufgeführt zu haben. Er war es auch, der Frauenrollen ausschließlich von Frauen interpretieren ließ (was damals noch gar nicht selbstverständlich war). Freilich saß er auch an der Quelle: Seine Ehefrau und deren Schwester gehörten dem Ensemble an.

      Als Othello im 18. Jahrhundert dann in der ersten deutschen Übersetzung des Originals aufgeführt wurde, fielen die Hamburgerinnen reihenweise in Ohnmacht, und König Lears Flüche, die auf seine Töchter niederprasselten, verursachten mehrere Fehlgeburten. Man mußte sich mit der neuen Form der dramatischen Kunst erst vertraut machen.

      »Ich bitte Sie, um Himmels willen,

      lachen Sie über mich!«

       Warum das Publikum schuld ist

      Sechsundzwanzig Jahre alt war er damals, der Herr von Goethe, als er in Weimar eine Dilettantenbühne gründete, die sich bald zur Wirkungsstätte von Berufs- und Hofschauspielern entwickeltn sollte. Herr von Schiller unterstützte ihn als Dramaturg, wobei die Dichterfürsten gegenseitig die Werke des jeweils anderen inszenierten.

      Während der Generalprobe von Shakespeares Macbeth in der Bearbeitung von Schiller müssen die beiden Herren feststellen, daß Heinrich Voß, der Darsteller der Titelrolle, seinen Text mehr als mangelhaft beherrscht. Während Goethe zornig aus seiner Loge »Der Mann kann ja kein Wort von seinem Text« brüllt, versucht Schiller einzulenken. Überraschenderweise geht die Premiere anderntags, man schreibt den 14. Mai 1800, gut über die Bühne, worauf Schiller zu seinem Regisseur Anton Genast sagt: »Sehen Sie, Genast, ich habe recht gehabt. Er hat zwar ganz andere Verse gesprochen, als ich geschrieben habe, aber er ist vortrefflich!«

      Goethe ließ seinen treuen Helfer Johann Peter Eckermann später in 91 Paragraphen »Regeln für Schauspieler« niederschreiben, in denen er auf die Beherrschung der Sprache und der Bewegung (§ 1) ebensolchen Wert legt wie auf »gesteigerte Rezitation« (§ 20) und »Körperhaltung: Brust herausgekehrt, die obere Hälfte der Arme bis an die Ellbogen etwas an den Leib geschlossen« (§ 37). Um schließlich zusammenzufassen: »Alle diese technischgrammatischen Vorschriften mache man sich zu eigen nach ihrem Sinne und übe sie stets aus, daß sie zur Gewohnheit werden. Das Steife muß verschwinden und die Regel nur die geheime Grundlinie des lebendigen Handelns werden.« Wer gegen Goethes Regeln verstieß, mußte in Weimar mit drakonischen Strafen rechnen. Bei Zuwiderhandeln gab es für Schauspieler Stubenarrest, dessen Einhaltung von einer vor der Haustüre postierten Schildwache überprüft wurde!

      Naturgemäß ist die Schauspielkunst in jeder Generation neuen Strömungen unterworfen. Einst zählte es zu den edelsten Pflichten des Mimen, sich »durch Verleugnen des eigenen Ichs« der Kunst des Dichters zu unterwerfen. Für den Komödianten und Theaterdirektor Friedrich Haase galt vor hundert Jahren als Kennzeichen des guten Schauspielers, »so weit hinter der Rolle verborgen zu bleiben, daß man oft minutenlang den Spieler nicht erkennt«. Und der Burgschauspieler Josef Lewinsky meinte am Beginn unseres Jahrhunderts: »Wir dürfen nie vergessen, daß wir nur die Diener der Dichter sind, deren Gestalten wir darzustellen haben!«

      Ganz anders Max Reinhardt, fündfundzwanzig Jahre später: »Das Heil kann nur vom Schauspieler kommen, denn ihm und keinem anderen gehört das Theater.«

      Daß die Stimmen Albert Bassermanns oder Alexander Moissis, auf Platte konserviert, in ihrem übertriebenen Pathos heute schwer verständlich sind, ist nicht deren »Schuld«, sondern liegt an den Strömungen ihrer und unserer Zeit. Lebte Josef Kainz heute, wäre er selbstverständlich modern, knapper, sachlicher, schlichter, würde er »unsere Sprache sprechen«.

      »Die Probe hat angefangen«, soll ein Inspizient des alten Burgtheaters einmal gesagt haben, »und schon wird unnatürlich geredet.« Heute wird an Schauspielschulen gelehrt: »Man deklamiert nicht, man rezitiert nicht – man spricht!«

      Wien hatte sein erstes »Comödi-Haus« bereits 1651 in der Himmelpfortgasse (auf dem Platz, an dem das Winterpalais des Prinzen Eugen, das heutige Finanzministerium, steht), weitere »Ballhäuser« am Franziskanerplatz und in der Teinfaltstraße folgten. Sie alle waren sehr unsicher gebaut, so daß sich die Stadt Wien 1708 entschloß, am Kärntnertor einen richtigen Theaterbau für Komödianten zu errichten. Josef Anton Stranitzky war sein erster Schauspieler und Prinzipal, dessen berühmte Maxime lautete: »Die Bühne ist so heilig wie der Altar, die Probe wie die Sakristei.«

      Weniger »heilig« waren die lasziven Stegreifburlesken, die er aufführte. In die Geschichte der Schauspielkunst ging der von ihm geschaffene Hanswurst ein, der seine Wurzeln im Harlekin der Commedia dell’arte hat. War Stranitzkys Hanswurst noch eine bäuerliche Volkstype, so wurde diese unter seinem Schüler und Nachfolger Gottfried Prehauser zutiefst wienerisch. Seit 1752 in Wien das Extemporieren staatlich verboten wurde – offensichtlich weil man der »frechen« Schauspieler überdrüssig war –, mußten Bühnentexte Wort für Wort niedergeschrieben und von der Zensur »abgenommen« werden. In den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts wurden das Theater in der Leopoldstadt, das Theater an der Wien und das Theater in der Josefstadt gegründet, an denen die Wiener Lokalposse entstehen konnte. Ferdinand Raimund und Johann Nestroy waren deren wichtigste Schöpfer und Interpreten. Im Mittelpunkt ihrer Stücke – typisch wienerisch: der Komiker.

      Apropos: In der Hierarchie des Theaters gibt es den Ersten und den Zweiten Helden, die Intriganten und jugendlichen Liebhaber, den Bösewicht, die Bonvivants, Offiziere und Aristokraten, die Mütter, Salondamen und Töchter, die Soubrette und die Naive . . ., die allesamt mit unterschiedlichem Status agieren. Vielfach unterschätzt wird aber der Komiker – manchmal gar despektierlich als Vertreter des »Charleytantismus« bezeichnet. Und das, obwohl gerade sein Geschäft, das Publikum zum Lachen zu bringen, zum schwierigsten gehört. »Hanswurst« Prehauser warf sich, als das Publikum am Kärntnertor einmal auf seine Scherze nicht reagierte, auf die Knie und flehte es inständig an: »Ich bitte Sie, um Himmels willen, lachen Sie über mich!« Von einem anderen Komiker, der nicht ankam, sind die Worte überliefert: »Herrschaften, lacht’s bitte. Es hat doch alles so viel gekostet!«

      Sind Schauspieler »nur« reproduzierende Künstler oder – wie die Dichter – nicht auch produzierende? Immerhin steht fest, daß der Mime die vom Dichter erfundenen Figuren in seiner Interpretation neu schafft. Wenn drei Schauspieler den Hamlet spielen, dann bringen sie drei grundverschiedene Hamlets auf die Bühne. Oder, wie der dichtende Physiker Georg Christoph Lichtenberg es formulierte: »Wer gut nachahmen kann, ahmt nicht nach!«

      In einem Streitgespräch versuchten Josef Kainz und der Schriftsteller Leo Feld (der uns diesen Dialog hinterlassen hat) dieser Frage nachzugehen.

      KAINZ: »Die Schauspielkunst ist die edelste Kunst, sie arbeitet mit dem edelsten Instrument, mit dem Menschen!«

      FELD: »Der Schauspieler ist an das Wort gebunden, daher ist seine Kunst eine unfreie Kunst.«

      KAINZ: »Der Dichter ist auch unfrei. Er ist an die Natur gebunden.«

      FELD: »Sie sind