13 Wochen. Harry Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Harry Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783955683092
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für Tag sehen konnte, wie es heller wurde und der Sommer näher kam. Simon mochte den Sommer und er hasste den Winter. Er hasste auch den Frühling. Dass es wieder grün wurde, war das einzig Gute am Frühling. Aber der Rest war totaler Mist. Alle hatten schlechte Laune: die Lehrer, die Schüler, die Eltern, alle. Jeder hatte die Nase voll von dem dunklen Winter. Jeder wartete nur darauf, endlich wieder im T-Shirt in die Schule gehen zu können. Seit gestern war nun endlich April und alles deutete darauf hin, dass es wieder hell und grün wurde. Und so ein Gewitter wie dieses schien der ganzen Welt mit aller Macht zeigen zu wollen, dass auch das zum April gehörte: schlechtes Wetter.

      Simon ließ den Gurt vom Rollo wieder los. Nein. Nur wegen eines blöden Gewitters würde er nicht das Rollo runterlassen. Simon war ein Sieger und er würde sich nicht verstecken. Nicht hinter einem runtergelassenen Rollo, nicht unter seiner Bettdecke, und erst recht nicht bei seiner Mama. Er stand nah am Fenster und schaute in die Nacht hinaus. Blitze zuckten über den Dächern der Stadt. Der Regen prasselte mit einer Lautstärke gegen die Scheibe und auf sein Fensterbrett, als ginge die Welt unter. Simon kniff die Augen zu einem Spalt zusammen und versuchte, durch die Regenwand hindurch irgendetwas zu erkennen. Sein Zimmer lag im Erdgeschoss. Wenn das Licht in seinem Zimmer aus war, konnte er auch im Dunkeln die Umrisse der Bäume und Büsche im Garten erkennen, auch Teile des kleinen Holzhäuschens mit den Gartengeräten. Wenn allerdings das Licht im Zimmer an und es draußen dunkel war, so wie jetzt, dann erkannte er draußen nichts, es sei denn, irgendetwas würde direkt vor seinem Fenster stehen. Umgekehrt wusste er, wenn jemand draußen stehen würde, könnte der alles erkennen, was Simon hier drinnen tat. Wenn er sich abends vor dem Schlafengehen auszog, stellte er sich manchmal vor, wie Nadja zufällig vorbeikommen und ihn beobachten würde. Allein die Vorstellung daran ließ sein Herz schneller klopfen. Natürlich wusste er, dass das niemals passieren würde. Der Garten war von einer großen Hecke umsäumt. Und die Straße dahinter war weit genug weg. Selbst wenn jemand die Straße entlanggehen würde, könnte der sicher nichts erkennen. Außer natürlich, Simon würde sich direkt vor dem Fenster ausziehen. Aber das tat er selbstverständlich nicht.

      Es blitzte wieder. Simon zählte. Fünfundzwanzig, sechsundzwanzig. Ein Donner. Harmlos. Weit weg. Kein Grund mehr zum Zusammenzucken. Auch der Regen ließ nach. Simon beschloss ins Bett zu gehen. Es war inzwischen nach Mitternacht. Eigentlich schon Montag. Zweiter April. Er hatte am Nachmittag mit Jan so lange am PC gezockt, dass er erst nach 10:00 Uhr abends zu Hause angekommen war. Das hatte ganz schönen Stress mit seinen Eltern gegeben, denn die wollten, dass er um zehn längst im Bett lag. Aber das war ja wohl lächerlich. Simon war immerhin keine zwölf mehr. Meistens ließ er seine Eltern in dem Glauben, er würde ins Bett gehen und chattete dann noch bis nachts um eins oder zwei mit seinen WhatsApp-Freunden oder er zockte Internetspiele. Natürlich mit Kopfhörern. Aber jetzt war er müde. Kurz vor halb eins war ein guter Zeitpunkt, um ins Bett zu gehen. Weiterhin seinen Blick auf das Dunkel des Fensters gerichtet, zog er sein T-Shirt aus.

      Ein weiterer Vorteil, wenn das Licht an und es draußen dunkel war, bestand darin, dass er sein Fenster als Spiegel benutzen konnte. Simon hatte keinen Spiegel in seinem Zimmer. Aber manchmal wollte er seinen Körper eben doch auch mal kritisch begutachten. Für seinen Geschmack war Simon viel zu dünn. Dünne Arme, dünner Bauch, Hühnerbrust. Manchmal überkam es ihn und er machte tagelang so viele Situps und Liegestütze, dass er sich vor Muskelkater kaum bewegen konnte. Danach gab er es wieder für mehrere Wochen auf. Aber so was wie ein Sixpack ließ sich auf seinem Bauch nicht blicken. Da gab es manche in seiner Klasse, die sahen jetzt schon aus wie die Jungs aus den Vampirfilmen, die anscheinend schon mit Sixpack auf die Welt gekommen waren. Wie die das hinbekamen, war ihm schleierhaft, aber er fragte natürlich nicht nach. Unfair war es trotzdem. Auch mit seinem Gesicht war Simon nicht wirklich zufrieden. Viel zu weiche Gesichtszüge. Hart und kantig wäre ihm lieber. Irgendwie männlicher. Manche hielten ihn noch für einen Achtklässler, obwohl er schon in der neunten Klasse war. Wenigstens hatte er keine Pickel. Wenn er an Leon dachte − puh, der sah manchmal aus wie ein Streuselkuchen. Furchtbar!

      Simon musterte sich weiter von oben bis unten. Mit seinen blaugrauen Augen war er eigentlich ganz zufrieden, obwohl er fand, dass so richtig himmelblaue Augen noch besser bei den Mädchen ankommen würden. Einige Mädchen in seiner Klasse waren trotzdem hinter ihm her, und blaugrau war immer noch besser als so ein langweiliges Braun. Seine Haare waren auch ganz okay. Blond und kurz. Nichts Besonderes, aber auch besser als dieses Kack-Braun, womit manche aus seiner Klasse gestraft waren. Außerdem hatte er es raus, wie man sich die Haare so stylte, dass es richtig gut aussah. Wenn er morgens das Haus verließ, war er mit seinem Gesamtbild meistens recht zufrieden. Ein Siegertyp eben. Simon drehte sich seitlich zum Fenster und spannte die Bauchmuskeln an. Nein, da könnte er wirklich noch an sich arbeiten. Wenn in ein paar Monaten die Freibäder öffneten, musste das anders aussehen.

      Plötzlich geschah etwas, das Simon den Atem raubte. Sein Spiegelbild im Fenster teilte sich. Aus seinem Gesicht, das sich eben noch prüfend angeschaut hatte, trat ein zweites Gesicht daneben und gaffte mit großen Augen von außen durch sein Fenster hinein. Mit einem lauten Aufschrei krachte Simon auf den Boden, heftete seinen Blick aber weiterhin auf das Gesicht im Fenster. Kein Zweifel – da stand jemand zehn Zentimeter vor seiner Fensterscheibe und starrte hinein. Und wenn er nicht genau gewusst hätte, dass er hier gerade auf dem Boden saß, würde er sagen, er selbst stünde da draußen vor seinem eigenen Fenster und schaute rein. Sein Spiegelbild war lebendig geworden! Aber es konnte nicht sein Spiegelbild sein, denn der Typ da draußen trug einen Kapuzenpullover – Simons Kapuzenpulli! – und die Haare hingen ihm klatschnass vom Regen ins Gesicht. Obwohl Simon sich zusammenreißen wollte, schrie er noch einmal laut auf, krabbelte auf allen Vieren zur Tür, zog sich am Türgriff hoch und rannte aus seinem Zimmer. O nein, o nein, on nein! Jemand stand im Garten und schaute in sein Zimmer rein! Simon lehnte von außen an seiner Zimmertür und schnaufte wie nach einem 400-Meterlauf. Er fasste sich an sein Herz. Es pochte, als würde er jeden Augenblick ermordet. Wurde er ja vielleicht auch! Simon japste immer noch nach Luft. Ihm wurde schwindelig, so schnell atmete er ein und aus.

      Dann zwang er sich zur Ruhe. Erst mal nachdenken. Licht aus. Genau. Ohne sein Zimmer zu betreten, streckte er seine Hand durch den Türschlitz und tastete nach dem Lichtschalter. Klick. Aus. Jetzt war es im Zimmer wieder dunkler als draußen. Wenn jemand reinschauen wollte, würde er nichts mehr sehen. Aber Simon würde draußen jeden sehen können. Vorsichtig setzte Simon sich auf alle Viere und schob langsam die Tür so weit auf, dass er seinen Kopf gerade so eben durchstecken konnte. Er schaute zum Fenster. Niemand. Sofort stand er auf und schaute genauer hin. Niemand zu sehen. Er ging mit zwei Schritten bis direkt ans Fenster und presste die Nase an die Scheibe. Der Garten war leer. Das war doch unmöglich!

      Simon griff nach seinem Handy und schrieb an Jan: »Warst du gerade vor dem Fenster?«

      Antwort nach wenigen Sekunden: »Alter, ich schlafe!«

      In jede WhatsApp-Gruppe: »Ist von euch jemand bei mir und steht vor meinem Zimmer?«

      Einige Male: »Nein.«, »Spinnst du?«, »Lass mich schlafen.«

      Dann zog er sein Sweatshirt wieder an, schlüpfte in seine Turnschuhe und nahm sein Handy als Taschenlampe mit zur Haustür. »Simon, bist du das?«, rief seine Mutter von oben aus dem Wohnzimmer.

      »Alles gut!«, rief Simon nach oben. »Muss nur kurz was nachschauen!«

      Er schaltete die Taschenlampe an seinem Handy an. Die Haustür lehnte er an, sonst würde er nachher nicht mehr reinkommen. Dann ging er nach draußen und um das Haus herum. Es regnete immer noch, wenn auch nicht mehr so stark wie vorhin. Er spürte den Regen kaum − seine Gänsehaut unter dem Pullover fühlte sich an wie eine Schutzschicht aus Metall. Obwohl er sich selbst zwingen wollte ruhig zu bleiben, keuchte er wieder wie gerade eben, als er sich vor seinem eigenen Spiegelbild erschreckt hatte. Er bewegte sich langsam an der Hauswand entlang, um mit dem Schein der Lampe jeden Winkel ausleuchten zu können. Überall schien es zu rascheln und zu knacken, aber das war bei dem Regen ja kein Wunder. Bald war er einmal um das Haus herum gegangen, sodass er jetzt auf der Rückseite stand. Im Garten. Direkt vor seinem eigenen Zimmer. Es war niemand zu sehen. Simon ging einmal quer durch den Garten, vorbei an allen Büschen und Bäumen bis zur Hecke am Gartenrand. Da, war da was? Jetzt ärgerte er sich, dass er keine richtige Taschenlampe dabei hatte. Bis in