Sie und der Fahrenbach-Hof war noch immer etwas, was sie so recht nicht verstehen konnte, aber andererseits hätte sie weder das Weinkontor, noch das Chateau, noch die Villa gewollt. Also war doch der Fahrenbach-Hof keine so schlechte Alternative.
Nachdem sie sich vergebens bemüht hatte, Frieder und Grit zu treffen, packte sie kurzentschlossen ein paar Sachen zusammen, kündigte ihre Ankunft auf dem Hof an und fuhr los.
Am besten ließen sich die Schatten der Vergangenheit vertreiben, wenn man sich ihnen stellte.
Ihr Blick fiel auf die Innenseite ihres linken Handgelenks, wo unschwer, auch nach so vielen Jahren, die inzwischen vergangen waren, ein in die Haut geritztes T zu erkennen war.
Thomas…
Es war das erste Mal, daß sie ganz bewußt an ihn dachte, an Thomas, ihre erste große Liebe, vielleicht sogar an die einzige Liebe ihres Lebens.
Wen immer sie auch kennengelernt hatte, keiner der Männer hatte es geschafft, in ihrem Leben zu bleiben, weil sie sie alle wohl insgeheim oder unbewußt mit Thomas verglichen hatte.
Irgendwann war Thomas Sebelius mit seinen Eltern, sehr bekannten Künstlern, nach Fahrenbach gezogen. Und immer, wenn sie mit ihren Eltern und Geschwistern auf den Fahrenbach-Hof gekommen war, hatte sie sich wahnsinnig gefreut, Thomas zu sehen.
Sie hatten sich vom ersten Moment an verstanden, hatten sich geschrieben, stundenlang miteinander telefoniert, und irgendwann hatten sie sich unsterblich ineinander verliebt. Sie hatten Zukunftspläne geschmiedet, hatten gemeinsam studieren wollen. Von da an stand für Bettina fest, daß sie ihr Leben mit Thomas verbringen wollte und keinem anderen.
Sie hatte geglaubt, ihr Herz müsse stehenbleiben, als sie erfuhr, daß Thomas mit seinen Eltern nach Amerika gehen würde, weil sein Vater aus Kalifornien ein interessantes Angebot bekommen hatte.
Bei ihrem letzten Treffen hatten sie sich ewige Liebe geschworen und ewige Treue. Und zum Zeichen ihrer Liebe hatten sie sich gegenseitig die Anfangsbuchstaben ihrer Namen ins linke Handgelenk geritzt.
Ihr hatte es eine Entzündung und spätere Vernarbung eingebracht und Ärger mit ihrer Mutter.
Von Thomas hatte sie niemals mehr etwas gehört!
Die darauffolgenden Monate waren wohl die furchtbarsten ihres Lebens. Ihr Herz wollte es nicht wahrhaben, aber ihr Verstand mußte es akzeptieren. Sie verdrängte alle Erinnerungen an Thomas und war seither niemals mehr auf dem Fahrenbach-Hof gewesen. Auch als ihr Vater es sich so sehr wünschte, brachte sie es nicht übers Herz, ihn zu begleiten.
Und nun war sie auf dem Weg dorthin.
Es war zwangsläufig, daß sie unentwegt an Thomas denken mußte, und auch jetzt, seit mehr als zehn Jahren, klopfte ihr Herz wie wild bei der Erinnerung an ihn.
Alles, was sie sorgsam weggeschlossen hatte, kam hoch, und sie konnte sich all der Gedanken nicht erwehren, die sie anfielen wie wilde Tiere.
Aber vielleicht war es gut, daß sie anfing, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Sie mußte endlich frei werden von dieser idealisierten Liebe, die es ihr bislang unmöglich gemacht hatte, sich einem anderen Mann zuzuwenden.
Ihre Gedanken wanderten weiter zu dem Hof, den sie geerbt hatte. Hof war eigentlich untertrieben. Es war ein stattliches Anwesen, nach dem sogar der ganze Ort benannt worden war… Fahrenbach.
Daß sie den Hof gemieden hatte, war verständlich. Aber warum hatten ihre Geschwister sich eigentlich nicht dafür interessiert? Sie hatten doch viele wundervolle Ferien dort verbracht.
Vermutlich lag es an ihrer Mutter, die Fahrenbach gehaßt hatte und aus ihren Kindern Städter gemacht hatte.
Viele Gedanken überkamen sie, und Bettina merkte, wie aufgeregt sie auf einmal war.
Was würde sie vorfinden?
Arno und Leni Dunkel würden da sein, die sich, soweit Bettina zurückdenken konnte, um den Hof kümmerten.
Und da war auch noch Toni Greiner. Er war als junger Bursche zufällig auf den Hof gekommen und lebte noch immer dort, um sich um den Garten, die wenigen, noch verbleibenden Tiere zu kümmern und um kleine Reparaturarbeiten auszuführen.
Ihr Vater hatte alle drei in seinem Testament großzügig bedacht und ihnen neben einem Geldbetrag auch lebenslanges Wohnrecht zugesichert.
Bettina fand das absolut in Ordnung.
Sie mochte alle drei und freute sich sehr auf das Wiedersehen mit ihnen.
Ob sie sich sehr verändert hatten?
Bestimmt, denn auch an ihr war die Zeit nicht spurlos vorüber gegangen. Sie war nicht mehr das junge, schwärmerische Mädchen von damals, sondern eine nachdenkliche Frau geworden, die in diesem Sommer ihren achtundzwanzigsten Geburtstag feiern würde.
Eigentlich hatte sie in diesem Alter schon mehrere Kinder haben wollen, und jetzt war noch nicht einmal ein Ehemann in Sicht, weil ihr Herz noch immer an dem Phantom Thomas hing, der sich wahrscheinlich an sie überhaupt nicht mehr erinnern konnte.
Bettina seufzte und fuhr ein Rasthaus an. Sie wollte einen Kaffee trinken und sich wenigstens etwas frisch machen, denn wenn es gutging, würde sie in einer knappen Stunde den Fahrenbach-Hof erreicht haben.
Als sie im grellen Neonlicht des Waschraums in den Spiegel schaute, hätte sie am liebsten die Augen geschlossen.
Bettina haßte diese grellerleuchteten, weiß gefliesten Räume, in denen man nur krank und verhärmt aussah, wenn man sich im Spiegel betrachtete.
Sie legte etwas Rouge auf, zog ihre Lippen nach und tuschte sich die Wimpern.
Zumindest sah sie jetzt etwas frischer aus. Jetzt noch etwas von ihrem Lieblingsparfüm, dann kämmte sie ihr halblanges dunkelblondes Haar.
Im Gegensatz zu ihren Geschwistern, die allesamt braunhaarig waren und braune Augen hatten, glich sie ihrem Vater. Sie hatte seine blonden Haare, auch seine blauen Augen sowie sein schmales Gesicht geerbt.
»Schrecklich, so typisch Fahrenbach«, hatte ihre Mutter immer gesagt, und das hatte nicht unbedingt freundlich geklungen.
Ihre Eltern hatten sich nicht besonders gut verstanden. Ihr Vater war bodenständig, ihre Mutter lebenslustig und gern gesehener Mittelpunkt einer jeden Gesellschaft.
Eigentlich war es vorauszusehen gewesen, daß sie ihren Mann irgendwann verlassen würde. Daß es dann auf beinahe tragische Weise geschah, war für ihren Vater sehr bitter gewesen.
Als ihm ein Weingut in Argentinien angeboten worden war, hatte er sich zwar dagegen entschieden, aber ihre Mutter hatte bei der Gelegenheit einen steinreichen Geschäftsmann kennengelernt und für ihn ohne zu zögern, ihre Familie verlassen. Als Carla Aranchez de Moreira lebte sie nun ein Leben in Saus und Braus in Buenos Aires, wenn sie sich nicht an Plätzen aufhielt, an denen sich der internationale Jet Set tummelte.
Den Kontakt zu ihren Kindern hatte sie abgebrochen.
Sie erfuhren etwas über sie eigentlich nur aus Klatschblättern und Hochglanzmagazinen.
Glücklicherweise hatte Bettina sich von jeher immer besser mit ihrem Vater als mit ihrer Mutter verstanden, vielleicht, weil sie ihm in vielem so ähnlich war.
Für ihre Geschwister war es schon schwerer gewesen, insbesondere für Frieder, der der auserkorene Liebling seiner Mutter gewesen war.
Es war schon merkwürdig, daß er sich eine Frau gesucht hatte, die sich auch nur für Mode, Schönheit, Oberflächlichkeit interessierte.
Bettina warf einen letzten Blick in den Spiegel, ehe sie sich abwandte, um ihre Fahrt fortzusetzen.
*
Fahrenbach lag eingebettet in eine sanfte Hügellandschaft mit saftigen Wiesen, die am Horizont in einen Mischwald mündeten. Es
gab