»Ich werd’s schon überstehen«, entgegnete Gerda tapfer, griff dabei aber nach der Hand ihres Mannes.
»Ich bleibe bei dir, Liebes«, versprach Ferdinand sofort. »Deshalb habe ich mir ja Urlaub genommen.« Er schwieg einen Moment. »Wenn ich dir die Schmerzen auch nicht abnehmen kann, so will ich dir wenigstens seelischen Beistand leisten.«
Dr. Daniel beobachtete diese Szene und hoffte dabei inständig, daß dieser letzte Versuch nun endlich den ersehnten Erfolg für Gerda und Ferdinand bringen würde.
Dieser Gedanke beschäftigte auch das junge Ehepaar, doch zumindest für Gerda verblaßte er bald, denn Dr. Sommer hatte sie nicht grundlos vorgewarnt. Das Medikament, das die Eireifung stimulieren sollte, leistete wirklich ganze Arbeit. Gerda bekam entsetzliche Unterleibsschmerzen.
»Hätten Sie meiner Frau diese grauenhafte Tortur denn nicht ersparen können?« fragte Ferdinand, kaum daß Dr. Sommer das Zimmer betreten hatte.
Bedauernd schüttelte der den Kopf. »Tut mir leid, Herr Rauh, aber diese ›Eierernte‹, wie das Verfahren bezeichnet wird, ist unbedingt erforderlich. Allerdings muß Ihre Frau die Schmerzen jetzt nicht mehr lange aushalten. Noch heute werden wir die Befruchtung vornehmen.« Er warf einen Blick auf die Uhr, dann wandte er sich Gerda zu. »Ein bißchen Geduld müssen Sie noch haben. In spätestens einer Stunde werden Sie in den Operationssaal gebracht, und wenn Sie aus der Narkose erwachen, haben Sie das Schlimmste bereits überstanden.«
»Hoffentlich«, brachte Gerda hervor, während sie sich wieder vor Schmerzen krümmte. »Lange halte ich das nämlich nicht mehr aus.«
Das mußte sie auch nicht, denn schon eine knappe Stunde später wurde Gerda in den OP hinuntergefahren, und dann trat der Anästhesist zu ihr.
»Jetzt muß ich Ihnen ein bißchen weh tun«, gestand er, während er die Nadel, mit der die Infusionskanüle eingeführt wurde, bereits ansetzte.
»Schlimmer als meine Bauchschmerzen kann das gar nicht sein«, meinte Gerda, trotzdem zuckte sie vor Schmerz zusammen, als der Arzt die Nadel einstach.
»Schon vorbei«, erklärte er beruhigend, zog die Nadel zu-rück und schob gleichzeitig die Infusionskanüle weiter in die Vene vor.
»So, junge Frau, dann werden wir mal ein bißchen schlafen«, fuhr er fort, griff nach der von der Schwester vorbereiteten Spritze, setzte sie auf die gerade gelegte Infusionskanüle und preßte ihren Inhalt direkt in die Vene. Nahezu im selben Moment war Grda auch schon eingeschlafen.
»Na, dann wollen wir mal«, erklärte Dr. Sommer, während er an den OP-Tisch trat.
»Tubus ist drin«, meldete sich der Anästhesist. »Sie können anfangen, Herr Chefarzt.«
Die OP-Schwester reichte Dr. Sommer das Skalpell, dann setzte er den etwa zwei Zentimeter langen Schnitt unterhalb des Bauchnabels. Mit Hilfe einer Hohlnadel pumpte Dr. Daniel, der auf Dr. Sommers Bitte hin die Erste Assistenz übernommen hatte, Kohlensäuregas in den Bauch der Patientin, darauf führte der Chefarzt vorsichtig das Laparoskop ein.
»Wunderbar«, murmelte er zufrieden.
Währenddessen hatte Dr. Daniel den zweiten Schnitt über der Schamhaargrenze gesetzt, durch den Dr. Sommer nun eine Hohlnadel einführte, mit deren Hilfe er die von den Eierstocken produzierten Eibläschen ansaugte und sie zusammen mit dem Sperma von Ferdinand in den Eileiter einbrachte.
»Alles Weitere muß nun seinen normalen Gang gehen«, erklärte Dr. Sommer. Über das Laparoskop kontrollierte er noch einmal sehr genau, ob es während des Eingriffs zu irgendwelchen Verletzungen gekommen war, dann zog er das Gerät zurück. Die beiden kleinen Schnitte wurden geschlossen, dann sah Dr. Sommer seinen Freund an.
»Ich habe ein gutes Gefühl«, urteilte er spontan.
»Hoffentlich trügt es nicht«, meinte Dr. Daniel und sah zu, wie Gerda in den Aufwachraum gefahren wurde, dann warf er einen Blick auf die Uhr. »Ein bißchen Zeit habe ich noch. Ich könnte bei ihr bleiben, bis sie wieder aufwacht.«
Dr. Sommer grinste. »Du hast Zeit? Diese Nachricht sollte man in die Zeitung schreiben lassen.« Er runzelte die Stirn. »In den beinahe dreißig Jahren, die ich dich jetzt kenne, habe ich das bestenfalls dreimal erlebt.«
Dr. Daniel stieß ihn freundschaftlich an. »Du übertreibst mal wieder maßlos, Schorsch!«
»Na ja, ein bißchen vielleicht«, räumte Dr. Sommer ein. »Aber wenn du schon Zeit hast, dann darfst du dich selbstverständlich persönlich um deine Patientin kümmern. Ich sage inzwischen ihrem Mann Bescheid, daß alles gut verlaufen ist und daß er sie besuchen kann, sobald sie wieder auf der Station ist.«
Zusammen wuschen sich die Ärzte noch die Hände, dann machte sich Dr. Daniel auf den Weg in den Aufwachraum. Er kam gerade rechtzeitig, als Gerda zum ersten Mal die Augen öffnete. Als ihr Blick auf Dr. Daniels Gesicht fiel, wollte sie etwas sagen, doch die Stimme gehorchte ihr noch nicht wieder.
»Ich weiß schon, was Sie wissen wollen, Frau Rauh«, meinte Dr. Daniel. »Es ist alles gut verlaufen. Nun muß die Natur ih-ren eigenen Weg gehen.«
Ein erleichtertes Lächeln huschte über Gerdas Gesicht, dann fielen ihr die Augen wieder zu. Erst als sie zum zweiten Mal erwachte, konnte sie die Frage stellen, die ihr am wichtigsten war.
»Wann wissen wir, ob es geklappt hat?«
Dr. Daniel lächelte. »Wenn Ihre Tage ausbleiben.«
Gerda tastete nach der Hand des Arztes, dann lächelte sie ebenfalls und wiederholte unwissentlich die Worte von Dr. Sommer.
»Ich habe ein gutes Gefühl.«
*
Wie Haymo prophezeit hatte, war die Vermietung der Dachwohnung tatsächlich kein Problem. Überhaupt schien der Hausbesitzer die Einnahmen dieser Vermietung mehr als angenehmes Taschengeld zu betrachten; an dem Haus hatte er offenbar wirklich nur wenig Interesse. Anscheinend waren seine anderen Immobilien gewinnbringender.
Sophie war überglücklich, als sie am nächsten Ersten ihre eigenen vier Wände beziehen konnte. In der Zwischenzeit hatte sie sich auch schon das Nötigste an Mobiliar zugelegt, und obwohl die Wohnung noch nicht vollständig eingerichtet war, gelang es Sophie, bereits jetzt Ge-mütlichkeit zu verbreiten.
Das fiel auch Haymo auf, als er nach oben ging, um Sophie die kleine Minka zu bringen. In Wirklichkeit war das nur ein Vorwand, doch das wollte er sich nicht eingestehen, ebenso wie er den Wunsch verdrängte, sich auf dieses gemütliche Sofa unter der Dachschräge zu setzen und sich einfach wohlzufühlen – in Gesellschaft dieser bezaubernden jungen Frau, die wie ein Orkan in sein Herz gewirbelt war und dort für gehörige Unordnung sorgte.
»Nun können Sie sich ja selbst um Minka kümmern«, knurrte er. »Mir ist sie unten bloß im Weg.«
Das war eine glatte Lüge. Er wußte nämlich schon jetzt, daß ihm das sanfte Kätzchen, das ihm in den vergangenen Tagen wie ein Schatten gefolgt war, entsetzlich fehlen würde.
»Es tut mir leid, daß Sie sich so lange um Minka kümmern mußten«, entgegnete Sophie bedauernd. »Ich hätte sie längst zu mir genommen, aber Andi… mein kleiner Neffe…«
»Das haben Sie mir ja schon erklärt«, fiel Haymo ihr unwillig ins Wort. »Mein Gedächtnis funktioniert noch ganz gut.«
Sophie errötete. Warum war Haymo nur so unberechenbar. Mal war er höflich, fast sogar freundlich, dann wieder sprach er in einem Ton mit ihr, der ihr Angst einjagte.
»Das habe ich auch gar nicht bezweifelt«, meinte sie verlegen, während sie das Kätzchen auf ihrem Arm streichelte. Doch es dauerte nicht lange, bis Minka auf den Boden wollte. Vorsichtig setzte Sophie sie ab und beobachtete mit leisem Staunen, wie das Kätzchen schnurrend um Haymos Beine strich.