»Ich kann es nicht mit nach Hause nehmen«, entgegnete sie leise, dann blickte sie auf. »Ich wohne im Haus meiner Tante, mein kleiner Neffe hat eine Katzenhaarallergie.« Sie zögerte, weil es ihr schwerfiel, diesen unnahbar wirkenden Mann um etwas zu bitten. »Könnte das Kätzchen nicht hierblieben? Zumindest so lange, bis ich eine eigene Wohnung gefunden habe?«
»Ich habe hier kein Tierheim!« herrschte er sie an.
»Herr Dr. Sattler, bitte…«, begann Sophie, doch als der Mann einen Schritt in ihre Richtung machte, wich sie unwillkürlich zurück. Doch er nahm ihr nur das Kätzchen ab.
»Gehen Sie!« verlangte er barsch.
Sophie zögerte. Sie wollte fragen, ob sie das Kätzchen besuchen dürfte… ob sie es abholen könnte, wenn sie eine Wohnung gefunden hätte, doch sie wagte nicht, den Mann noch einmal anzusprechen.
»Danke«, murmelte sie nur, dann verließ sie die Tierarztpraxis. Draußen atmete sie erst einmal tief durch, und dabei fiel ihr ein, daß er für die Behandlung des Kätzchens gar nichts verlangt hatte. Sophie blickte zu der geschlossenen Tür zurück, doch allein der Gedanke, die Praxis noch einmal zu betreten, flößte ihr Angst ein.
Trotzdem ging ihr der junge Mann nicht mehr aus dem Kopf. Jede Bewegung, jedes Wort, das er gesprochen hatte, ließ sie in Gedanken noch einmal in sich nachklingen. Dr. Daniel hatte nicht übertrieben. Dieser Dr. Sattler war ruppig… nein, er war richtig grob gewesen – zu ihr. Das Kätzchen dagegen hatte er sanft und liebevoll behandelt.
»Was für ein faszinierender Mann«, murmelte Sophie vor sich hin, und dabei wurde ihr bewußt, daß sie seit Betreten der Tierarztpraxis nicht mehr an Peter gedacht hatte. Bisher hatte sie der Gedanke an ihn praktisch ständig begleitet – sogar bei der Arbeit. Doch die Begegnung mit Dr. Sattler war für sie ein so einschneidendes Erlebnis gewesen, daß für Peter kein Platz mehr in ihrem Kopf gewesen war.
Ohne genau zu wissen weshalb, lenkte Sophie ihre Schritte zu Dr. Daniels Praxis. Sein Auto stand vor der Garage, also mußte er in der Waldsee-Klinik schon fertig sein. Trotzdem zögerte Sophie, bevor sie auf den Klingelknopf drückte. Konnte sie den vielbeschäftigten Arzt um diese Zeit noch stören? Sicher, in den letzten Wochen hatten sie viele Gespräche miteinander geführt, dennoch war sie doch eigentlich nicht mehr als eine Patientin.
Schließlich drückte Sophie trotzdem den Klingelknopf neben dem Schildchen Privat, und es dauerte nur wenige Minuten, bis Dr. Daniel ihr öffnete. Er bedachte sie mit einem prüfenden Blick.
»Mir scheint, Dr. Sattler hat Sie ein wenig erschreckt«, stellte er fest.
»Nicht nur ein wenig«, gestand Sophie. »Er ist ein sehr… außergewöhnlicher Mensch.«
Dr. Daniel ließ Sophie eintreten. »Gehen wir in die Praxis, da können wir uns ungestört unterhalten.« Er wartete, bis die junge Frau im Sprechzimmer Platz genommen hatte. »Haymo hat Sie anscheinend nicht nur erschreckt, sondern auch fasziniert.«
»Haymo«, wiederholte Sophie gedankenvoll. Sie schwieg einen Moment, dann sah sie Dr. Daniel an. »Warum ist er so… so barsch und unfreundlich?«
»Er spricht nicht über seine Vergangenheit«, antwortete Dr. Daniel. »Aber ich fürchte, er hat eine Menge mitgemacht. Wahrscheinlich gibt er sich nur aus diesem Grund so unnahbar. Er scheint entsetzliche Angst davor zu haben, seine Gefühle zu zeigen.«
Sophie senkte den Kopf.
»Das ist sehr schade«, flüsterte sie und konnte sich dabei das eigenartige Gefühl, das sie bei dem Gedanken an Haymo Sattler ergriff, gar nicht so recht erklären.
*
Gerda und Ferdinand Rauh brauchten nur wenige Tage, um sich zu entscheiden.
»Wir möchten diese neue Methode, von der Sie gesprochen haben, versuchen«, erklärte Gerda, als sie und ihr Mann zu Dr. Daniel in die Sprechstunde kamen. Das junge Ehepaar tauschte einen Blick, dann fügte Gerda hinzu: »Das wird dann aber unser letzter Versuch sein. Wir wollen nicht, daß unsere Ehe in die Brüche geht, weil wir uns in dem Bemühen um ein eigenes Kind nicht mehr darauf besinnen können, daß es zwischen uns auch noch – Liebe gibt.«
Dr. Daniel nickte. »Das ist eine gute Einstellung, und ich habe Ihnen ja von Anfang an gesagt, daß Sie beide sich darüber einig sein müssen, wie weit Sie gehen wollen.«
»Wie groß ist das Risiko für meine Frau?« wollte Ferdinand wissen. »Ich meine… unter einer Bauchspiegelung kann ich mir nicht viel vorstellen.«
»Ein solcher Eingriff wird in Vollnarkose durchgeführt«, erklärte Dr. Daniel. »Es wird ein kleiner Schnitt direkt unterhalb des Bauchnabels gemacht, durch den über eine Hohlnadel Gas in den Bauch gepumpt wird. Dieses Gas ist vollkommen unschädlich und dient nur dazu, daß man über das Laparoskop die Organe besser sehen kann. Durch einen zweiten, noch kleineren Schnitt über der Schamhaargrenze werden die nötigen Instrumente eingeführt. Alles in allem ist das Risiko weitaus geringer als bei einer normalen Operation mit Bauchschnitt. Das übliche Restrisiko durch die Narkose bleibt natürlich bestehen, aber damit hatte Ihre Frau auch bei der Notoperation, die ich vor fast einem Jahr durchgeführt habe, keine Probleme. Ich glaube nicht, daß Sie sich allzu große Sorgen machen müssen.« Er wandte sich Gerda zu. »Für Sie werden die ersten Tage nach dem Eingriff natürlich beschwerlich sein, weil das Gas, das wir in Ihren Bauch pumpen, nur ganz allmählich entweichen kann. Sie werden also noch eine Weile Schmerzen in der Schulter haben, die mit einem starken Muskelkater vergleichbar sind.«
Gerda runzelte die Stirn. »Warum in der Schulter, wenn Sie im Bauch arbeiten?«
Dr. Daniel lächelte. »Das werde ich in diesem Zusammenhang fast immer gefragt.« Dann erklärte er Gerda sehr ausführlich, womit diese Beschwerden im einzelnen zusammenhingen.
»Sind nun alle Fragen geklärt, oder haben Sie noch etwas auf dem Herzen?« wollte er zum Abschluß wissen.
Gerda seufzte. »Ich glaube, wenn ich nicht mehr soviel frage, ist es besser für mich. Allmählich schwirrt mir tatsächlich schon der Kopf.«
»Das glaube ich Ihnen«, meinte Dr. Daniel, dann griff er nach dem Telefonhörer. »Ich werde jetzt gleich einen Termin mit Dr. Sommer vereinbaren.« Er wählte eine Münchener Nummer, wartete, bis die Verbindung hergestellt war, und ließ sich dann mit dem Chefarzt verbinden.
»Grüß dich, Schorsch, ich bin’s«, gab er sich zu erkennen, als sich Dr. Georg Sommer gemeldet hatte.
»Robert, altes Haus!« rief sein Freund erfreut. »Na, wie fühlt man sich als Ehemann und Vater einer Fünfjährigen?«
»Blendend«, antwortete Dr. Daniel. Bei dem Gedanken an Manon und Tessa huschte ein zärtliches Lächeln über sein Gesicht, doch dann besann er sich wieder auf den eigentlichen Grund seines Anrufs. »So schwer es mir fällt, das einzugestehen, ich rufe nicht zu meinem Vergnügen an.«
»Das habe ich mir schon gedacht«, entgegnete Dr. Sommer trocken. »Wann hast mich jemals rein privat angerufen? Also, du Quälgeist, was willst du nun schon wieder von mir?«
»Ich habe hier ein Ehepaar, das bei dir einen TSET machen lassen möchte«, erklärte Dr. Daniel ohne Umschweife. »Wann hast du einen Termin frei?«
»Das kommt darauf an«, entgegnete Dr. Sommer. »Wann hatte die Frau zuletzt ihre Tage?«
Dr. Daniel nannte das Datum, dann fügte er hinzu: »Sie hat einen unregelmäßigen Eisprung.«
Eine Weile herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung, weil Dr. Sommer offenbar den günstigsten Zeitpunkt für die Durchführung des TSET berechnete.
»Deine Patientin kann nächsten Dienstag kommen«, erklärte er schließlich. »Ich nehme an, daß du ihr schon alles ausführlich erklärt hast.«
»Natürlich«, erwiderte Dr. Daniel, dann lächelte er das Ehepaar Rauh an. »Möglicherweise werden bis zum Termin allerdings noch ein paar neue Fragen auftauchen.«
»Das ist klar«, meinte Dr. Sommer. »Aber du kennst