Tröstend legte Erika einen Arm um die Schultern ihrer Nichte. »Sag das nicht, Sophie. Du bist noch so jung. Ich bin sicher, daß dir eines Tages die Liebe wiederbegegnen wird.«
*
Völlig aufgelöst kam Gerda Rauh zu Dr. Daniel in die Sprechstunde.
»Ich habe meine Tage bekommen«, stieß sie hervor, dann brach sie in Tränen aus. »Muß ich das Ganze denn jetzt noch mal über mich ergehen lassen?« Verzweifelt sah sie Dr. Daniel an. »Die künstliche Befruchtung an sich wäre ja gar nicht so schlimm, aber das schreckliche Warten hinterher…«
Dr. Daniel nickte verständnisvoll. »Ich kann mir vorstellen, wie belastend das ist, und ich will auch ganz ehrlich sein: Bei dem geringen Anteil an Samenfäden, über die Ihr Mann verfügt, halte ich einen weiteren Versuch fast für aussichtslos.« Er schwieg kurz. »Wissen Sie, bei der Untersuchung wurde das zwar nicht so deutlich, aber an den drei Tagen, an denen wir die künstliche Befruchtung durchgeführt haben… beim letzten Mal war es tatsächlich so wenig Sperma, daß ich schon dachte, ich könnte die dritte Befruchtung gar nicht mehr vornehmen.«
Mit einer fahrigen Handbewegung strich Gerda ihr dichtes Haar zurück. »Das heißt, daß wir sowieso aufgeben müssen.«
Dr. Daniel zögerte und betrachtete die junge Frau vor sich sehr genau. Konnte er es wagen, ihr seinen Vorschlag zu unterbreiten?
»Es gäbe noch eine Möglichkeit«, erklärte er schließlich. »Allerdings wäre die Wartezeit dabei nicht weniger belastend – die Chance einer Schwangerschaft jedoch weitaus höher. Das Verfahren wurde in Austrahlien entwickelt, und es gibt nicht viele Kliniken, die nach dieser Methode arbeiten, aber mein Freund und Kollege Dr. Georg Sommer führt diese Art der Befruchtung in seiner Klinik durch.«
Neugierig sah Gerda den Arzt an. »Was ist das für ein Verfahren?«
»Man bezeichnet es als Tubal Sperm-Egg Transfer, abgekürzt TSET. Dabei bekommt die Frau Medikamente, die die Eireifung stimulieren, damit mehrere Ei-bläschen heranreifen. Unter Vollnarkose werden mit Hilfe einer Laparoskopie… einer Bauchspiegelung die Eier angesagt und mit den Spermien im Eileiter zusammengebracht. Im Prinzip ähnelt dieses Verfahren einer Befruchtung in der Retorte… also im Reagenzglas, nur mit dem Unterschied, daß die Eier nicht außerhalb des Körpers befruchtet werden, sondern wie bei einer normalen Empfängnis im Eileiter.«
Nachdenklich blickte Gerda vor sich hin, dann sah sie Dr. Daniel an. »Und Sie glauben, das könnte bei mir funktionieren?«
»Sagen wir mal so, einen Versuch wäre es zumindest wert. Allerdings sollten Sie schon vorher wissen, daß Sie dabei auch mit einer Mehrlingsschwangerschaft rechnen müssen – das bedeutet, daß Sie bei dieser Methode durchaus Zwillinge oder sogar Drillinge bekommen könnten.«
Im ersten Moment erschrak Gerda, doch dann freundete sie sich mit dem Gedanken an.
»Wir wollten ja eigentlich mehr Kinder… wenn auch nicht auf einmal«, meinte sie. »Aber da es für mich ohnehin so schwierig ist, schwanger zu werden, wäre eine solche Lösung wohl nicht einmal die schlechteste.«
Dr. Daniel nickte. »Im übrigen müssen Sie das natürlich nicht hier und jetzt entscheiden. Unterhalten Sie sich in Ruhe mit Ihrem Mann darüber. Ich bin auch gern bereit, mit Ihnen beiden das Ganze noch einmal zu besprechen.«
Gerda nickte. »Ich werde mit Ferdinand reden, und falls wir Fragen haben, werden wir uns an Sie wenden.«
»Tun Sie das.« Dr. Daniel reichte ihr die Hand und lächelte sie an. »Ich glaube, mit dieser Methode wäre Ihnen mehr gedient als mit einer weiteren künstlichen Befruchtung.«
*
Der ungewöhnlich laue
Herbstabend lud zu einem Spaziergang ein. Langsam schlenderte Sophie durch den Klinikpark hinunter zum Waldsee, der im Licht der tiefstehenden Sonne zwischen den Bäumen glitzerte, als wäre er mit Diamanten übersät.
Sophie ließ sich am Ufer nieder und schlang ihre Arme um die angezogenen Beine. Als sie über den idyllischen See blickte, bekam sie Lust zu einem abendlichen Bad, doch mittlerweile wußte sie, daß das ein mehr als zweifelhaftes Vergnügen wäre, denn der Waldsee wurde von einer eisigen Bergquelle gespeist. Nicht einmal im Hochsommer stieg seine Wassertemperatur auf mehr als zehn Grad an.
Sophie schloß die Augen. Nur das leise Rauschen der Tannen drang an ihr Ohr, bevor es plötzlich von einem kläglichen Maunzen unterbrochen wurde.
Abrupt richtete sich Sophie auf und blickte sich um, doch sie konnte nichts entdecken. Angestrengt lauschte sie, und da hörte sie es wieder. Sophie stand auf und folgte dem eigentümlichen Geräusch. Es dauerte eine Weile, bis sie fand, wonach sie suchte. Das klägliche Maunzen erfolgte von einem kleinen Kätzchen, das am Fuß einer mächtigen Tanne im Moos lag.
Spontan bückte sich Sophie und streichelte über das struppige, getigerte Fell.
»Na, kleine Minka«, sprach sie das Kätzchen leise an. »Oder bist du womöglich ein Micky?«
Das Kätzchen miaute jämmerlich, und in diesem Moment entdeckte Sophie die vielen kleinen Verletzungen, die zum Teil sogar noch bluteten. Rasch, aber dennoch sehr vorsichtig, nahm sie das Kätzchen auf den Arm und eilte den Waldweg entlang bis zu Dr. Daniels Praxis. Sie erreichte den Arzt gerade noch, bevor er zur Waldsee-Klinik fuhr.
»Herr Doktor, ich habe dieses Kätzchen im Wald gefunden!« rief sie schon von weitem. »Es ist verletzt!«
Dr. Daniel lief ihr entgegen und betrachtete besorgt die teils verkrusteten, teils noch blutenden Wunden des kleinen Tierchens, dann zuckte er bedauernd die Schultern.
»Ich fürchte, damit bin ich überfordert«, gestand er. »Aber ich fahre Sie rasch zu Dr. Sattler.«
Es dauerte knapp zehn Minuten, bis sie die Tierarztpraxis am Ortsrand von Steinhausen erreichten.
»Soll ich mit hineingehen?« fragte Dr. Daniel. »Dr. Sattler ist manchmal ein wenig ruppig und unfreundlich.«
Doch Sophie schüttelte den Kopf. »Sie haben sicher noch genug andere Arbeit. ich werde mit dem Herrn schon klarkommen. Im übrigen soll er sich ja nicht um mich, sondern um das Kätzchen kümmern.« Sie lä-chelte Dr. Daniel an. »Danke fürs Herfahren.«
Dann stieg sie aus und ging raschen Schrittes zu der schweren Eingangstür aus dunklem Holz. Unwillkürlich zögerte Sophie, bevor sie auf den Klingelknopf drückte. Das ganze Haus machte irgendwie einen abweisenden, fast drohenden Eindruck auf sie. Sophie schüttelte diesen Gedanken ab. Wahrscheinlich rührte ihr ungutes Gefühl nur daher, daß Dr. Daniel diese Bemerkung über den Tierarzt gemacht hatte.
In diesem Moment wurde die Tür so heftig aufgerissen,
daß Sophie erschrocken einen Schritt zurückwich. Vor ihr stand ein großer, stattlicher Mann. Er sah umwerfend gut aus, doch der ernste Ausdruck auf dem markanten Gesicht wirkte nahezu furchteinflößend. Der eisige Blick jagte Sophie einen Schauer über den Rücken.
»Guten Abend«, stammelte sie unsicher. »Ich… ich habe dieses Kätzchen gefunden…«
Ohne ein Wort, aber mit erstaunlicher Behutsamkeit, nahm der Mann das verletzte Kätzchen auf den Arm.
»Na, mein Kleines, was hast du denn angestellt?« fragte er das Tierchen, und der sanfte Ton stand in krassem Gegensatz zu seinem noch immer ernsten Gesicht.
Fasziniert betrachtete Sophie ihn. Der krasse Gegensatz zwischen Aussehen und Wesen dieses Mannes zog sie unwillkürlich in seinen Bann.
Das Kätzchen, das zuvor noch ängstlich gemaunzt hatte, war jetzt still. Es schien zu spüren, daß dieser Mann seinem bedrohlichen Äußeren zum Trotz ein durch und durch guter Mensch war.
Mit leiser Bewunderung sah Sophie zu, wie der junge Tierarzt rasch und geschickt die Verletzungen des Kätzchens versorgte, dann legte er es wieder in ihre Arme.
»Kommen