Hüpfer wirbelte herum und setzte zum Sprung an … „Die eineinhalbfache Drehung“, rief Lena bewundernd und umarmte ihren Bruder.
Jetzt gab es kein Halten mehr. Innerhalb einer Stunde wurde alles organisiert. Die Nachbarn waren so begeistert von der Idee, dass sie sich spontan bereit erklärten, etwas zu spenden. Und so kamen vier bis an den Rand gefüllte Bollerwagen zusammen, die von einigen Helfern in die Innenstadt gezogen wurden.
„Springer! Springeeeer!“, brüllte Hüpfer, als er den Bettler erkannte, und raste freudestrahlend auf ihn zu. Dieses Mal bremste er aber gerade noch rechtzeitig ab.
„Na, das ist ja eine Überraschung“, sagte der Mann und wischte sich eine Freudenträne aus dem Auge. Die Helfer stellten die Bollerwagen ab und begannen, die Leckereien an die Armen zu verteilen. Immer mehr Menschen kamen zu ihnen und freuten sich über die Gaben. Mama schenkte fleißig Tee und Kaffee aus. Lena spielte auf ihrer Blockflöte Weihnachtslieder. Hüpfer wunderte sich, dass es so viele arme Menschen in seiner Stadt gab, und kuschelte sich irritiert an seine Mama. „Ich weiß, es ist traurig zu sehen, dass es dieses Elend gibt“, erklärte sie sanft, „ihr habt jedoch etwas gemacht, auf das ihr sehr stolz sein könnt!“
„Was denn?“
„Ihr habt die Augen nicht verschlossen“, lächelte Mama weise.
„Dann würde ich ja auch nix mehr sehen!“
„Genauso ist das, mein Kind. Und nun lauf“, sagte sie, als sie den winkenden Herrn Wurstbrot entdeckte. Überglücklich beobachtete sie ihren Jungen, wie er dem Mann seine eineinhalbfache Drehung präsentierte.
„Jetzt bist du auch ein Meister der Sprünge“, jubelte Herr Wurstbrot und sprang mit Hüpfer um die Wette. Es wurde ein ausgelassenes Fest, das noch bis in die Abendstunden andauerte. Und als Hüpfer und Lena später unter dem Tannenbaum saßen, um die Geschenke auszupacken, fragte Hüpfer: „Wie Herr Wurstbrot wohl gerade feiert?“
Mama und Papa sahen sich lange an, dann sprach Papa: „Ich habe noch eine Überraschung für euch!“
Im Türrahmen stand Springer, also Herr Wurstbrot, und hielt zwei Weidenkörbe in den Händen. In beiden lagen leckere Mohrrüben und Äpfel. „Ich dachte, Knusper und Müsli brauchen auch noch ein Weihnachtsgeschenk“, sagte er und zwinkerte Mama zu.
Hüpfer machte einen Freudensprung und Lena fiel dem alten Mann in die Arme. „Das ist das tollste Fest aller Zeiten!“, rief er. Und während Knusper und Müsli ihr Futter verschlangen, feierte die Familie mit dem Meister der Sprünge das Fest der Liebe …
Britta Ahrens wurde als Novemberkind des Jahres 1978 geboren. Mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern lebt sie in Lunestedt, einem kleinen Dorf nahe der Weser. Sie schreibt seit ihrer Kindheit und konnte bereits einige ihrer Geschichten veröffentlichen.
*
Der Apfelbaum, der ein Weihnachtsbaum sein wollte
Es war einmal ein kleiner Apfelbaum, der wuchs langsam und mühsam im Schatten einer großen Tanne heran. Langsam und mühsam war das Wachsen, weil die große Tanne ihm nicht viel Wasser und Sonne übrig ließ, da sie alles für sich selbst brauchte. Doch der kleine Apfelbaum war zäh und wuchs stetig jedes Jahr ein bisschen. Eines Tages war er dann alt genug, um sprechen zu können. Doch weil er so schwach war, verstand er nur die Sprache der Bäume, die Sprachen der Tiere des Waldes blieben ihm unverständlich. Vor allem die zweibeinigen Tiere, die sich Menschen nannten, redeten viel zu schnell, als dass der kleine Apfelbaum auch nur ein Wort vom anderen hätte unterscheiden können.
Der kleine Apfelbaum aber war froh, endlich zumindest die Sprache der Bäume zu sprechen, und sobald er die Kraft dazu fand, sprach er die große Tanne an: „Du, Tanne“, fragte er, „hörst du mich?“ Die Tanne nickte knapp mit ihren Zweigen. Der kleine Apfelbaum freute sich so sehr, dass er vergaß weiterzusprechen.
„Nun mach schon“, drängte die große Tanne, „ich habe keine Lust, mit dir kleinem Pimpf zu sprechen.“
„Aber wieso denn nicht?“, fragte der kleine Apfelbaum verwirrt.
„Warum sollte ich mich mit einem wie dir abgeben“, erklärte die Tanne, „du wirst doch eh bald sterben.“
Der kleine Apfelbaum war entsetzt.
„Schau dich doch einmal an“, sprach die Tanne weiter, „wie mickrig du dort unten in meinem Schatten stehst. Du wirst niemals groß werden. Und weil Bäume nun aber einmal dafür gemacht sind, groß zu werden, sterben die, die es nicht können, irgendwann. So einfach ist das.“
„Aber das will ich nicht!“, rief der kleine Apfelbaum und schüttelte sich vor Angst.
„Da wirst du keine andere Wahl haben. Wenn du eine Tanne so wie ich wärst, dann sähe die Sache schon anders aus. Dann würdest du entweder so schön und groß wie ich sein oder von einer Menschenfamilie mitgenommen werden, die dich in ihre Stube holt, dir Lichter, bunte Kugeln und Zimtsterne ansteckt, so wie es jetzt der Brauch ist. Aber das gilt eben nur für Tannen. Ein Apfelbaum ist als Weihnachtsbaum nicht geeignet. Und nun schweige still und lass mich meine Wipfel im Wind schaukeln!“
Der kleine Apfelbaum hatte auch gar keine Lust mehr zu reden. Was sollte denn nur aus ihm werden? Er hatte sich so darauf gefreut, groß zu werden, und nun sollte er das nie erleben? Und alles nur, weil er keine Tanne war? Er dachte an Kugeln, Lichter und vor allem an Zimtsterne, die er sich besonders schön vorstellte. Und mit diesen Gedanken fiel er in einen unruhigen, aber tiefen Schlaf. So merkte er gar nicht, wie der erste Schnee des Winters langsam vom Himmel zu fallen begann.
Klara hingegen blickte begeistert aus dem Fenster der kleinen Wohnstube ihrer Eltern, die im oberen Geschoss eines großen, alten Bauernhofes lag. „Schau nur, Vater“, rief sie. „Der Schnee kommt, nun können wir einen Weihnachtsbaum aussuchen, ja?“
„Aber Klara“, sagte der Vater, „wir brauchen hier oben doch keinen eigenen Weihnachtsbaum, weil wir doch Weihnachten unten bei Großvater und Großmutter auf der großen Diele feiern werden.“
„Ich hätte aber so gerne einen eigenen Weihnachtsbaum!“ Klara schaute mit glänzenden Augen zu ihrem Vater auf.
Nun kam aus dem Nebenzimmer auch Klaras Mutter hinzu. „Erfüll ihr doch den Wunsch!“, raunte die Mutter dem Vater zu. Klara war den ganzen Herbst sehr krank gewesen und keiner hatte gewusst, ob sie Weihnachten überhaupt noch erleben würde. Nun jedoch ging es ihr viel besser und weder Mutter noch Vater, weder Großmutter noch Großvater und auch die Knechte und Mägde, die auf dem Hof arbeiteten, konnten ihr einen Wunsch abschlagen.
„In Ordnung, Klara, lass uns in den Wald gehen und einen Baum aussuchen.“
„Oh, ja!“, rief Klara. „Einen ganz großen!“
„Na, aber ein ganz großer passt doch gar nicht in unsere Stube!“, erklärte Vater.
Klara überlegte kurz. „Dann nehmen wir einen ganz besonders besonderen!“, beschloss sie. Und schon machten sich Vater und Klara auf, um einen ganz besonderen Weihnachtsbaum zu finden.
Mittlerweile hatte es so viel geschneit, dass im Wald eine dünne Schneedecke lag. „Schau nur, Klara, wir machen feine Fußspuren. Wenn es nicht zu viel schneit, müssen wir nicht fürchten, uns zu verirren“, sagte Vater.
Aber Klara hatte sowieso nie Angst davor, sich im Wald zu verlaufen, denn sie hatte eine besondere Gabe: Sie konnte die Sprache der Bäume verstehen. Auch jetzt lauschte Klara den vielen Stimmen. Alle begrüßten sie mit fröhlichem Hurra, denn auch die Bäume hatten große Angst um Klara gehabt