Man trifft sich stets zweimal (Teil 2). Mila Roth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mila Roth
Издательство: Bookwire
Серия: Spionin wider Willen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783967110357
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der alten, bunt angemalten Grubenbahn, die weiter hinten im Freizeitpark als Spielplatz diente. Als kleines Mädchen hatte sie darin mit ihrem älteren Bruder und ihrer jüngeren Schwester oft Verstecken gespielt oder so getan, als würden sie eine gekaperte Eisenbahn vor Räubern retten.

      Allmählich wurde ihr wieder flau im Magen. Was in aller Welt führte das Institut im Schilde? Weshalb waren Melanie und Alexa hier? Hatte man sie zu Jannas Schutz abgestellt oder hatten sie eine andere Aufgabe zu erfüllen? Und was würde sie bei der Grubenbahn erwarten? Walter Bernstein vermutlich, der sich noch immer nicht bei ihr gemeldet hatte. Doch wozu diese Schnitzeljagd? Hätte dieser Peter Schneider ihr nicht einfach klipp und klar sagen können, wohin sie gehen sollte? Stattdessen hatte er ihr mit seinem Auftauchen beinahe einen Herzanfall versetzt und sie mit seinem geheimnisvollen Getue und dem Foto vollkommen aus dem Gleichgewicht gebracht. Überhaupt, hätte das Institut nicht einfach einen anderen Agenten zu ihr schicken können? Einen, den sie kannte? Diesen Schneider hatte sie nie zuvor gesehen. Nie zuvor ...

      Janna runzelte die Stirn; im nächsten Moment wurde ihr heiß und kalt zugleich. Ihr Herzschlag beschleunigte sich und für einen Augenblick wurde ihr regelrecht schwindelig. Erneut blickte sie auf das Bild der alten Grubenbahn, dann sah sie sich vorsichtig um und ging los, langsam, zögernd. Sie hoffte, es würde so aussehen, als schlendere sie einfach nur gemütlich durch den Park, vorbei an den Kindern, die trotz des tristen Wetters unter der Aufsicht ihrer Eltern im Bach planschten, auf einer Wiese Frisbee oder Fußball spielten oder auf einem der Klettergerüste herumturnten.

      Mütter saßen auf den Bänken am Wegesrand, einige lasen, andere plauderten oder spielten mit ihren Smartphones herum. Väter fingen ihren Nachwuchs auf, wenn dieser rasant eine lange Rutsche hinab gesaust kam, standen in Grüppchen beieinander und fachsimpelten über Autos oder die Vorteile von Gas- gegenüber Holzkohlegrills oder trugen Kleinkinder auf den Schultern, die vor Begeisterung quietschten.

      All diese Eindrücke nahm Janna eigentümlich deutlich wahr, doch in ihrem Kopf hatte nur ein Gedanke Platz: Sie hatte diesen Peter Schneider schon einmal gesehen, damals auf dem Rhein bei Bingen. Sie hatte ihn gefilmt, wie er eine Taube hatte fliegen lassen ... von der Yacht aus, die nur wenige Minuten später explodiert war. Er hatte sein Aussehen mit dem Dreitagebart verändert, doch an seiner linken Schläfe befand sich ein ovales Muttermal, das ihn eindeutig identifizierte. Es fiel ihr jetzt erst wieder ein und vielleicht hätte sie es gar nicht bemerkt, wenn sie nicht, nachdem sie im Mai nach der Explosion das Videomaterial im Institut abgegeben hatte, dabei zugesehen hätte, wie der zuständige Agent, Murat Coskun, die Daten vergrößert auf einem Bildschirm bearbeitete.

      Nein, das konnte nicht sein. Jannas Herz raste mittlerweile und immer noch überliefen sie abwechselnd kalte und heiße Schauder. Dieser Peter Schneider konnte unmöglich Lennart Bischoff sein, der ehemalige BKA-Mann, der zu der kriminellen Organisation übergelaufen war, die für die Explosion verantwortlich gemacht wurde. Denn wenn er es war, und er noch lebte, würde das bedeuten ...

      Ihr wurde übel. Bischoff war zusammen mit Markus auf diesem Boot ums Leben gekommen. Die Explosion war so heftig gewesen, dass man keine menschlichen Überreste mehr hatte bergen können. Allein der Gedanke ließ ihren Magen schmerzen und die Erinnerung an das Entsetzen wieder in ihr hochsteigen.

      Sie musste sich irren. Dieser große, braunhaarige Mann sah Bischoff vielleicht nur zufällig ähnlich. Aber das Muttermal war so ungewöhnlich geformt, so etwas gab es doch nicht zweimal, oder? Außerdem gehörte er zum BKA, das hatte er selbst gesagt. Sein Ausweis hatte echt ausgesehen. Peter Schneider, vielleicht war das nur ein Deckname? So allgemein und sicherlich tausendfach in Deutschland vorkommend. Peter Schneider – Lennart Bischoff. In Jannas Kopf drehten sich die Gedanken wild umeinander. Sie schrak auf, als sie plötzlich vor der Grubenbahn stand. Zwei etwa elf- oder zwölfjährige Jungs turnten auf der rot lackierten und mit Graffiti beschmierten Druckluft-Grubenlok herum, hinter der sich mehrere blau und rot lackierte Waggons anschlossen.

      Janna blieb stehen, sah sich suchend um. Außer den zwei Jungen und einer Frau mit zwei Kleinkindern war hier niemand zu entdecken. Langsam setzte Janna sich erneut in Bewegung, unsicher und verstört.

      Ein Stück hinter der Grubenbahn gab es einen weiteren Zugang zum Freizeitpark, der in einer unauffälligen Straße mit Einfamilienhäusern lag. Ein einfaches Tor im Zaun, das halb offenstand. Ein heftiger Stich durchfuhr sie; ihr stockte der Atem. Magen und Herz krampften sich beim Anblick der großen, dunkel gekleideten Gestalt zusammen, die hinter dem Tor am Steuer eines silbernen VW Passats nicht allzu neuen Baujahrs saß. Als er sie erblickte, stieg er langsam aus dem Wagen, ging um ihn herum und lehnte sich wie abwartend mit dem Rücken gegen die Beifahrertür.

      Die Übelkeit, die sie ergriff, steigerte sich mit jedem Schritt, den sie auf den Mann zu machte. Ihr Atem ging in schweren, angestrengten Zügen, als sie das Tor durchquerte.

      Dicht vor ihm blieb sie stehen, starrte ihn ungläubig an. Zorn stieg in ihr auf, ballte sich wie ein Feuerball in ihr zusammen.

      »Du Arschloch.« Sie staunte, dass ihre Stimme nicht versagte. Ehe sie nachdenken konnte, hatte sie bereits ausgeholt und schlug ihm so heftig ins Gesicht, dass sein Kopf zur Seite flog.

      ***

      Markus Neumann war kein Mann, der sich leicht verunsichern ließ. Er war siebenunddreißig Jahre alt, mehr als fünfzehn Jahre davon arbeitete er nun für das Institut, war ein guter Agent, womöglich einer der besten. Er stand mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen, tat grundsätzlich nur das, was er für richtig hielt, und hatte zeit seines Lebens erfolgreich emotionale Bindungen gemieden. Sein Leben hatte ihm so gefallen, es war einfach gewesen. Einfach perfekt. Bis jetzt.

      Vor drei Monaten hatte er zum ersten Mal in seiner Laufbahn etwas tun müssen, womit er nicht einverstanden gewesen war. Nein, schlimmer noch – er verachtete sich für das, was zu tun er gezwungen gewesen war. Wochenlang hatte er sich mit der Frage gequält, ob es nicht einen anderen, weniger hartherzigen, weniger schmerzhaften Weg gegeben hätte. Doch die Entscheidung hatte nicht bei ihm gelegen. Er hatte handeln müssen ... und war gestorben. Zumindest, was die Welt betraf. Die Welt und Janna.

      Als er sie langsam, wachsam, argwöhnisch auf sich zukommen sah, wäre er zum ersten Mal in seinem Leben am liebsten weggelaufen. Vor ihr, vor sich selbst – einfach wieder in den Wagen gestiegen und davongebraust. Je näher sie kam, desto deutlicher waren ihre Gesichtszüge zu erkennen – und die Tatsache, dass sie zornig war. Sehr zornig. Sie hatte vermutlich schon irgendwo auf dem Weg zwischen ihrem Zuhause und hier begriffen, welch grausames Spiel das Institut mir ihr gespielt hatte.

      Markus konnte ihre Wut nachempfinden. Er hatte ihr vorgemacht, er sei an jenem Tag auf dem Boot gestorben. Dass er in dem Moment keine andere Wahl gehabt hatte, spielte keine Rolle. Er hatte sie belogen, im Stich gelassen. Sie hatte ihm vertraut, und er war sich alles andere als sicher, ob sie das jemals wieder tun würde.

      Das ungläubige Entsetzen in ihren Augen, als ihre Blicke sich trafen, verursachte ihm Übelkeit. Er hasste sich für das nichtssagende Lächeln, das er automatisch aufsetzte, doch was in aller Welt sollte er sonst tun? Es gab keine Entschuldigung für das, was er ihr angetan hatte.

      Als sie langsam, sichtlich aufgewühlt und schwer atmend durch das halb offene Tor trat und schließlich dicht vor ihm stehen blieb, schwieg er, weil ihm keine passende Begrüßung einfallen wollte. Bloß dieses beschissene Lächeln.

      »Du Arschloch.« Die Bewegung, mit der sie ausholte, war so flink, dass er sie beinahe zu spät kommen sah, um sich zu wappnen. Er wich ihr nicht aus. Der Schlag traf ihn hart – und verdient.

      Janna ließ die Hand wieder sinken, atmete schwer, starrte ihn immer noch voller Entsetzen an. »Du mieses Arschloch.« Diesmal wankte ihre Stimme leicht. Sie holte erneut aus, doch diesmal fing er ihre Hand ab.

      Sie setzte sich zur Wehr, außer sich vor gerechtem Zorn. »Lass mich los, Markus. Du ... hast ... mich ... Du warst tot!«

      »Janna ...« Er hatte Mühe, sie davon abzuhalten, ihn erneut zu schlagen. Sie wich zurück, als er sie an der Schulter berühren wollte, riss sich los, lief ein paar Schritte von ihm weg, kehrte um und ging erneut zum Angriff über. Er konnte gerade noch ihre linke