David Copperfield. Charles Dickens. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charles Dickens
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783961183173
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erste, was Miß Murdstone am Tage nach dem Begräbnisse tat, und nachdem die Läden wieder dem Lichte geöffnet waren, bestand darin, daß sie Peggotty binnen vier Wochen den Dienst kündigte. So sehr auch Peggotty der Dienst mißfallen mußte, so hätte sie ihn doch nur um meinetwillen lieber als den besten andern auf der Welt behalten. Sie sagte mir, daß wir uns trennen müßten, und teilte mir auch den Grund mit; und wir beklagten einander in aller Aufrichtigkeit.

      In bezug auf mich oder meine Zukunft wurde von Murdstones nichts gesprochen und nichts unternommen. Ich bin aber überzeugt, sie hätten sich glücklich geschätzt, wenn sie mich auch durch Kündigung auf Monatsfrist hätten fortschicken können. Einmal faßte ich mir ein Herz und fragte Miß Murdstone, wann ich wieder in die Schule gehen würde, und sie antwortete trocken, sie glaube nicht, daß ich überhaupt wieder hinkommen werde. Weiter erfuhr ich nichts. Ich hätte aber gar zu gern gewußt, was man mit mir vorhatte, und Peggotty hätte es auch gern gewußt; aber weder sie noch ich konnten das mindeste erkunden.

      Indessen hatte sich meine Lage in einer Weise verändert, die mir zwar die Gegenwart viel angenehmer machte, die mir aber, wenn ich ihre Bedeutung hätte gehörig ermessen können, für die Zukunft viele Sorgen hätte machen müssen. Und das kam daher. Der mir sonst auferlegte Zwang hatte ganz aufgehört. Anstatt mir zu befehlen, meinen tödlich langweiligen Platz in der Wohnstube einzunehmen, veranlaßte mich jetzt Miß Murdstones finsterer Blick mehr als einmal, das Zimmer zu verlassen, wenn ich es versucht hatte. Anstatt mir ebenso Peggottys Gesellschaft zu verbieten, fragte man niemals nach mir, wenn ich nur nicht Mr. Murdstone vor die Augen kam. Anfangs fürchtete ich an jedem Morgen, er oder Miß Murdstone würden mich wieder zu unterrichten anfangen; aber ich fand bald, daß diese Besorgnis ganz unbegründet war, und daß ich weiter nichts zu erwarten hatte als Vernachlässigung.

      Ich glaube nicht, daß mir diese Entdeckung damals viel Kummer verursachte. Ich war noch immer betäubt von dem Tode meiner Mutter und stand allen andern Dingen mit einer ziemlich gleichgültigen Dumpfheit gegenüber. Ich kann mich erinnern, daß mir zu Zeiten gar nichts mehr daran lag, überhaupt erzogen zu werden, daß ich wie ein Bummler, der sich im Dorfe herumtrieb, hätte aufwachsen mögen; oder ich dachte daran, diese Vorstellung los zu werden durch die andere: irgendwohin zu gehen und wie die Helden meiner Romane mein Glück zu versuchen. Aber das waren rasch vorübergehende Stimmungen, Träumereien mit wachen Augen, die wie Rauch= und Schattenbilder ihre Spuren auf die Wände meines Zimmers zeichneten, und dann wieder spurlos verschwunden waren. ...

      »Peggotty,« sagte ich gedankenvoll flüsternd eines Abends, als ich meine Hände am Küchenfeuer wärmte, »Mr. Murdstone hat mich noch weniger gern als früher. Er hat mich nie gern gehabt, Peggotty; aber jetzt möchte er mich am liebsten gar nicht sehen.«

      »Vielleicht ist's sein Gram«, sagte Peggotty und strich mir die Haare glatt.

      »Ich gräme mich gewiß auch, Peggotty«, erwiderte ich. »Wenn ich glaubte, es wäre sein Gram, so würde ich weiter gar nicht daran denken. Aber das ist's nicht, ach nein, das ist's nicht.«

      »Woher weißt du, daß es das nicht ist?« sagte Peggotty nach einer Pause.

      »Ach! sein Kummer ist etwas ganz, ganz anderes. Er grämt sich auch jetzt, wo er mit Miß Murdstone am Kamin sitzt; aber wenn ich hineinkäme, Peggotty, so würde er noch anders sein.«

      »Wie würde er sein?« fragte Peggotty.

      »Zornig«, antwortete ich und ahmte unwillkürlich seinen drohenden Blick nach. »Wenn er sich nur grämte, würde er mich nicht so ansehen, wie er es zu tun pflegt. Ich gräme mich auch, aber mich macht es nur freundlicher gegen andere.«

      Peggotty sagte für jetzt weiter nichts, und ich wärmte mir meine Hände, stumm wie sie.

      »Davy«, sagte sie endlich.

      »Ja, Peggotty.«

      »Liebes Kind, ich habe auf alle Weise versucht, hier in Blunderstone einen passenden Dienst zu bekommen, aber es ist hier keiner zu finden.«

      »Und was gedenkst du nun zu tun, Peggotty?« sagte ich und sah sie forschend an. »Willst du fortgehen und dein Glück anderwärts versuchen?« »Ich glaube wohl, ich werde nach Yarmouth gehen und dort bleiben müssen«, erwiderte Peggotty.

      »Du hättest noch weiter fortgehen können und so gut wie verloren für mich sein,« sagte ich ein wenig erleichtert, »aber dort kann ich dich wenigstens manchmal besuchen, meine gute alte Peggotty. Du bist doch da nicht ganz am andern Ende der Welt, nicht wahr?«

      »Ganz das Gegenteil, will's Gott!« rief Peggotty mit großer Lebhaftigkeit. »Solange du hier bist, mein Goldkind, besuche ich dich jede Woche einmal, solange ich lebe – jede Woche einmal, solange ich lebe.«

      Dies Versprechen nahm mir eine wahre Last vom Herzen; aber selbst das war noch nicht alles, denn Peggotty fuhr fort:

      »Nun, siehst du, Davy, ich gehe erst auf vierzehn Tage zu meinem Bruder auf Besuch, damit ich mich ein bißchen umsehen und wieder ins alte Gleis kommen kann. Nun habe ich mir gedacht, da sie dich hier nicht brauchen, so lassen sie dich vielleicht mit mir gehen.«

      Wenn mir damals irgend etwas (abgesehen von einer gänzlichen Umgestaltung des Verhältnisses zu meiner Umgebung, mit Ausnahme von Peggotty) ein Gefühl der Freude einzuflößen vermocht hätte, so wäre es dieser Vorschlag gewesen. Der Gedanke, wieder von jenen ehrlichen Gesichtern umgeben zu sein, von ihnen herzlich empfangen zu werden, wieder einen so friedlich stillen Sonntagmorgen zu erleben, die Glocken klingen zu hören, die Steine plätschernd in das Wasser zu werfen und zu sehen, wie die schattenhaften Schiffe aus dem Nebel auftauchten. Wieder mit der kleinen Emily umherzuschweifen, ihr meine Leiden klagen zu können und Zaubermittel dagegen in den Muscheln und Steinen auf dem Strand zu suchen: das beruhigte mir wundersam das Herz. Doch diese Ruhe wurde im nächsten Augenblick durch den Zweifel gestört, ob Miß Murdstone ihre Erlaubnis dazu geben würde, allein selbst dieser wurde rasch beschwichtigt. Denn Miß Murdstone erschien sehr bald, während wir uns noch unterhielten, um eine nächtliche Untersuchung des Vorratsschrankes anzustellen, und Peggotty brachte die Sache mit einer mich in Staunen setzenden Kühnheit alsbald zur Sprache.

      »Der Junge wird dort freilich nur faulenzen,« sagte Miß Murdstone, indem sie in einen Krug mit sauer eingelegten Früchten guckte, »und Nichtstun ist die Wurzel alles Übels. Aber er wird hier ebensowenig etwas tun – hier und überall: das ist meine Meinung!«

      Auf Peggottys Lippen schwebte eine heftige Antwort; aber sie verschluckte sie meinetwegen und blieb stumm.

      »Hm!« sagte Miß Murdstone und guckte immer noch in den Krug mit dem Eingemachten hinein, »es ist jetzt von großer Wichtigkeit – von größerer sogar als alles andere, daß mein Bruder durchaus nicht gestört wird. Ich glaube daher, es ist besser, ich willige ein.«

      Ich dankte ihr, ohne Freude an den Tag zu legen, damit sie nicht etwa ihre Einwilligung zurückziehe. Und ich konnte nicht umhin, dies für klug zu halten, als sie mich jetzt wieder mit einem so sauern Gesicht ansah, als hätte sie mit ihren schwarzen Augen den ganzen Inhalt des Kruges mit sauerm Eingemachten verzehrt. Die Erlaubnis war jedoch erteilt und wurde nicht zurückgenommen; denn als der Monat vorüber war, waren Peggotty und ich zur Abreise bereit.

      Mr. Barkis kam ins Haus, um Peggottys Koffer abzuholen. Soviel ich weiß, hatte er noch nie die Schwelle der Gartentür überschritten, aber bei dieser Gelegenheit kam er bis ins Haus. Und als er den größten Koffer auf seine Schultern lud und hinausging, warf er mir einen vielsagenden Blick zu, wenn Mr. Barkis' Gesicht überhaupt jemals etwas sagen konnte.

      Peggotty war natürlich sehr betrübt über ihren Abschied von dem Orte, wo sie soviele Jahre heimisch gewesen war und wo die beiden stärksten Neigungen ihres Lebens – zu meiner Mutter und mir – entstanden waren. Sie war schon ganz früh auf dem Kirchhof gewesen; und als sie in den Wagen stieg und sich setzte, hielt sie das Taschentuch