Als Roberta ihr von dem Besuch einer Freundin und deren kleinem Sohn erzählte, erwachte in Pia eine winzige Spur von Interesse. Doch das hielt nicht lange an, dann machte sich in Pia wieder diese Traurigkeit breit, die sie meistens umgab. Roberta konnte so gut nachfühlen, wie sich das anfühlte, wenn eine dicke schwarze und schwere Wolke nicht nur über einem schwebte, sondern wenn man von ihr auch eingehüllt wurde und abgeschlossen war von der Welt ringsum, auch wenn es eine Welt war, die es gut mit einem meinte. Sie würde Pia so gern helfen, aus diesem unsäglichen Tief herauszukommen. Doch sie wusste, dass man Zeit und Geduld haben musste oder auf ein Wunder hoffen. Ein Wunder konnte man sich weder herbeiwünschten noch es sich erarbeiten, wenn überhaupt, geschah es von selbst.
Roberta, Alma und Pia saßen gerade noch beim Frühstück, als Trixi und der kleine Philip eintrafen, und schon war es mit der Ruhe vorbei.
Es gab eine herzliche Begrüßung, es war ganz erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit der Kleine alles wieder in Besitz nahm und alles sofort wieder erkannte. Kinder hatten wirklich ein ganz erstaunliches Gedächtnis.
Pia ließ alles stumm und steif über sich ergehen. Erst als der kleine Philip Pia ganz interessiert anblickte und sich erkundigte: »Bist du neu hier?«, erschien auf Pias Gesicht so etwas wie der Anflug eines kleinen Lächelns. Es störte ihn nicht, dass sie nicht antwortete, denn er plapperte munter weiter: »Ich war schon mal hier, aber da war ich noch ganz klein.«
Klein war er noch immer, doch wenn man es mit damals verglich, dann traf es schon ein wenig zu. Philip hatte einen unglaublichen Schuss gemacht, nicht nur, dass er ein Stück gewachsen war, sondern der Aufenthalt in einem fremden Land, in dem auch noch eine ganz andere Sprache gesprochen wurde, hatte ihn selbstständiger gemacht.
Da sie bereits unterwegs gefrühstückt hatten, wollten Mutter und Sohn nichts mehr essen. Trixi nahm das Angebot, einen Kaffee zu trinken, sehr gern an. Philip war nicht einmal für einen Becher Kakao zu begeistern, mit dem man ihn normalerweise immer locken konnte. Er interessierte sich ganz offensichtlich für Pia, und das schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen.
»Ich zeig dir, wo ich gewohnt habe«, schlug Philip vor, ergriff ganz vertrauensvoll Pias Hand und zog sie mit sich fort. Und die ließ es geschehen, man wurde den Eindruck nicht los, dass Pia die Gesellschaft des kleinen Jungen lieber war als die der Erwachsenen. Mit der Frau Doktor und Alma war es gegangen, das Zusammentreffen mit Trixi hatte sie schon wieder verunsichert.
Als sie sicher sein konnte, dass ihr Gespräch nicht belauscht wurde, sagte Trixi: »Ein sympathisches junges Mädchen, aber man spürt sofort ihre Abwehr, die da ist, wenn sie mit einer Situation konfrontiert wird, die aus der kleinen Zone der Sicherheit hinausgeht, die sie sich aufgebaut hat. Selbst wenn ganz unbedrohliche Fremde auftauchen, fährt sie die Krallen aus oder versinkt in eine Art von Apathie.«
»Aber bei Philip ist sie ganz anders«, bemerkte Alma, »mit dem scheint sie einen guten Draht zu haben, mit dem ist sie mitgegangen.«
»Weil er ihr weniger bedrohlich erscheint und weil sie uns entfliehen konnte.«
Alma seufzte.
»Es ist alles ganz schön kompliziert, dabei wollen wir Pia doch nur helfen.«
»Ihr tut es am besten, wenn ihr sie nicht bedrängt. Lasst sie eure Liebe spüren, gebt ihr das Gefühl, dass ihr immer für sie da seid. Der Umgang mit traumatisierten Menschen muss ein ganz behutsamer sein, und ich bin auch der Meinung, dass Pia unbedingt professionelle Hilfe bekommen sollte. Und das am besten von jemandem, der auf die Arbeit mit Jugendlichen konzentriert ist, die Pias Hintergrund haben.«
»Erst einmal weiß ich nicht, ob es einen solchen Spezialisten hier in der näheren Umgebung gibt, und wenn, weißt du eigentliche, welche Wartezeiten da man in Kauf nehmen muss? Es gibt viele, viele Menschen, die dringend Hilfe benötigen, aber zu wenige Therapeuten, die ihnen die Hilfe geben können.«
Das musste Trixi bestätigen, doch sie versprach, sich umzuhören und dann von Kollege zu Kollege etwas auszumachen.
Alma hatte sich die ganze Zeit still verhalten. Jetzt sagte auch sie etwas dazu: »Trixi, du redest halt wie eine Fachfrau, die ihr Gebiet verteidigt, auf dem sie sich auskennt. Meine unmaßgebliche Meinung ist, dass wir Pia einfach in Ruhe lassen, zu sich zu finden. Hört, sie lacht gerade mit Philip, der scheint für Pia besser zu sein als der beste Therapeut. Wenn wir sie zu einem solchen schicken, dann machen wir sie doch erst recht darauf aufmerksam, dass mit ihr etwas nicht stimmt. So, das ist meine Meinung.«
Beinahe trotzig richtete sie sich ein wenig auf, schaute ihre Chefin und die Besucherin an, die sie übrigens sehr gern mochte.
»Alma, wir müssen uns jetzt wirklich nicht ereifern, Trixi hat gesagt, welchen Weg sie gehen würde, es muss nicht unserer sein. Warten wir einfach ab. Eines steht doch auf jeden Fall fest, wir wollen für Pia beide nur das Allerbeste, und was das ist, das wird sich zeigen. Und ich denke, wir sollten jetzt damit aufhören. Trixi und Philip sind gerade erst angekommen, vielleicht ergibt sich was an diesem Wochenende, das wir, das wünsche ich mir auf jeden Fall, unbeschwert und fröhlich genießen sollten. Man sieht Philip, und im Herzen geht die Sonne auf. Ach, Trixi, um dieses Kind bist du wirklich zu beneiden.«
Trixi begann zu strahlen.
»Das stimmt, Philip ist wirklich das Beste, was mir in meinem Leben passieren konnte, und auch wenn es nicht ganz einfach ist, als allein erziehende Mutter durchs Leben zu gehen, so überdeckte das Schöne doch bei Weitem das Negative, was man leider immer wieder hat. Für mich scheint es jetzt wirklich aufwärts zu gehen, aber das Tal der Tränen kann man ja auch nicht immer durchschreiten. Jetzt an der Uni ist man von meinen Fähigkeiten überzeugt, mein Prof ist ganz auf meiner Seite, lässt mir alle Freiheiten, die ich mir nur wünsche, und man sieht Philip nicht als einen Stein auf meinem Weg, der meine Karriere behindern könnte. Es gibt einen fantastisch ausgestatteten Kindergarten, den haben wir uns bereits angesehen, und Philip freut sich darauf, den besuchen zu dürfen.«
»Das hört sich sehr gut an, es ist wirklich unglaublich, wie Philip auf andere Menschen zugeht und wie er die Veränderungen in seinem Leben wegsteckt. Ich bin überzeugt davon, dass es daran liegt, dass du der feste Anker in seinem Leben bist, dass er sich auf dich verlassen kann, nur du allein bist wichtig für ihn, und solange du da bist, ist seine kleine Welt in Ordnung, alles andere sind nur Nebenschauplätze.«
Trixi errötete, doch ehe sie etwas dazu sagen konnte, wollte Alma wissen: »Du bist so freudig nach Paris gereist, wieso konnte es scheitern?«
Alma durfte das fragen, denn sie war ehrlich um Trixi besorgt, und sie waren sich damals sehr nahe gekommen, als dieser Psychopath Trixi attackieren wollte und dabei die Falsche erwischt hatte.
»Am Alltag«, antwortete Trixi sofort. »Als wir uns in Amerika bei diesem Forschungsprojekt kennenlernten, waren wir in erster Linie beseelt von unserer Arbeit, und über die sind wir uns nähergekommen, es passte alles, und dann entdeckten wir unsere Zuneigung zueinander. Ich kann Jean nichts vorwerfen, er ist wirklich ein großartiger Mensch, aber auch er hat seine Gewohnheiten, und er hatte einen Heimvorteil. Er ist in seinen Alltag zurückgekehrt, in sein gewohntes Leben, für Philip und mich war alles neu. Anfangs ließ sich alles durch Gefühle, und die waren ja da, ausgleichen, später tat sich immer mehr eine Kluft auf. Früher musste ich immer lachen, wenn gesagt wurde, nach den Werbewochen habe sich alles verändert. Heute kann ich dem nur zustimmen. Das, was uns ursprünglich verband, das war sehr schnell aufgebraucht. Und mir kam es nicht auf ein Nebeneinander an, sondern auf ein Miteinander. Und ich wollte auch keinen Mann an meiner Seite haben, bei dem ich versorgt bin, sondern jemanden, der mir genug Freiraum lässt, damit ich mich entwickeln kann. Das hat es nicht gegeben, und so habe ich halt die Reißleine gezogen und