Der neue Sonnenwinkel Box 9 – Familienroman. Michaela Dornberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michaela Dornberg
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Sonnenwinkel Box
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740970222
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Tochter eine schöne Zeit, auch Philip hat keinen Schaden genommen, für ihn war es wohl eher so etwas wie ein längerer Urlaub. Tja, und nun wollen wir mal sehen, wie alles sich fügt.«

      Ehe Alma oder Roberta etwas dazu sagen konnten, kam Philip in den Raum.

      »Wo hast du Pia gelassen?«, erkundigte Alma sich sofort ganz besorgt.

      Philip erzählte, dass die in die andere Wohnung gegangen sei, um Papier und Stifte zu holen und dass sie dann gemeinsam malen wollten.

      »Ich mag die Pia«, sagte er. Dann war ihm anzusehen, dass er noch etwas auf dem Herzen hatte. Er überlegte, dann platzte es aus ihm heraus. »Die Pia und ich, wir haben ein Geheimnis. Ich verrate euch jetzt nicht, dass die Pia auf der Straße gewohnt hat.«

      Davon war er noch so beeindruckt, dass ihm überhaupt nicht bewusst geworden war, dass er das Geheimnis gerade verraten hatte.

      Die Erwachsenen sagten nichts dazu, und wenig später kam Pia zurück, Philip rannte ihr begeistert entgegen, er hatte Pia in sein Herz geschlossen, und auch sie mochte den Kleinen, denn sie lächelte ihn an.

      »Komm, Philip, wir malen draußen. Wir gehen auf die Terrasse, es ist ein so wunderschöner Tag. Wir können die Vögel zwitschern hören, und wenn wir viel Glück haben, dann sehen wir den schwarzen Kater, der draußen herumstreicht. Es ist ein wildes Tier, das nirgendwo ein Zuhause hat. Doch wenn wir uns ganz still verhalten, dann kommt er sogar auf die Terrasse, und er wird von Tag zu Tag zutraulicher und kommt immer ein kleines Stückchen näher, um auszutesten, wie weit er gehen darf. Doch wenn man sich auch nur ein ganz kleines bisschen bewegt, dann läuft er davon. Also, wenn wir ihn sehen, dann dürfen wir nicht reden und uns auch nicht bewegen, ja?«

      Der kleine Philip nickte ganz heftig und versprach alles, was Pia wollte. Er war voller grenzenloser Bewunderung für sie.

      Dass sie jetzt nach draußen gingen, das hatte überhaupt nichts damit zu tun, dass Pia auf der Straße gelebt hatte und mit einem Leben draußen vertraut war, es vermisste, weil sie sich draußen einfach wohler fühlte. Das war eine Romantik, die gewiss keiner der Obdachlosen verspürte, die raue Wirklichkeit bedeutete vielmehr, dass es ein täglicher Überlebenskampf war.

      Dass sie nach draußen gingen, hatte einzig und allein damit zu tun, dass Pia mit den Gepflogenheiten im Doktorhaus noch nicht vertraut war, sie sich alles allmählich erobern musste. Die Terrasse war so etwas wie ein freier Raum, und deswegen hielt sie sich dort sehr gern auf, und sie liebte die alte, ein wenig verwitterte Bank. Und das hatte sie mit Roberta gemeinsam. Sie hatte ja als Erinnerung an die Zeit mit Lars im Haus am See die Bank mitgenommen, ehe man dort alles dem Boden gleichgemacht hatte, um der Natur zurückzugeben, was man ihr weggenommen hatte. Auf der Bank fühlte sie sich Lars ganz nahe, weil sie auf der oft gesessen hatten, um den Sonnenuntergang zu beobachten oder einfach nur, um sich nahe zu sein.

      Und manchmal dachte Roberta auch an Kay, denn die Bank hatte es schon zu seiner Seit gegeben. Die Zeit mit ihm war schön gewesen, denn er hatte sie nach ihrer unerfreulichen Scheidung aufgemuntert, sie hatten miteinander gelacht, aber geliebt …, das hatte sie nur einen einzigen Mann, und das würde auch für immer so bleiben …, ihren Lars Magnusson mit seinen unglaublich blauen Augen.

      Die Erwachsenen blickten Pia und Philip nach, und dann waren sie zu Tränen gerührt, als sie etwas ganz Unglaubliches sahen. Ehe Pia und der Kleine sich hinsetzten, umarmte er sie und schmiegte sich fest an sie, liebevoll und vertrauensvoll. Das war nicht nur ein unglaublich rührender Anblick, sondern auch ein Zeichen dafür, dass Pia reinen Herzens war, so etwas spürten Kinder, weil sie noch unverdorben waren.

      Es war wirklich allerliebst, wie Pia und Philip miteinander umgingen, doch dann verloren die drei Frauen das Interesse an den beiden, sie hatten sich eine ganze Menge zu erzählen, und die Zeit war knapp. Es war ja leider so, dass man das Gefühl hatte, dass die Zeit besonders schnell verflog, wenn es besonders schön war.

      Nach einer ganzen Weile kam Philip zu ihnen, weil er etwas trinken wollte, keinen Kakao, noch immer nicht, sondern er wollte nur ein Wasser. Man konnte daran fühlen, dass er so schnell wie möglich wieder hinaus zu Pia wollte.

      Er trank gierig beinahe das ganze Glas leer, stellte es ab und wollte wieder zu Pia laufen, als seine Mutter etwas bemerkte.

      »Philip, was ist mit deiner rechten Hand los, warum hältst du die so verkrampft?«

      Philip blieb stehen, überlegte, ob und was er sagen sollte, dann flüsterte er beinahe: »Ich hab Sonnenstrahlen in meiner Hand.«

      »Sonnenstrahlen?«, wiederholte Trixi.

      Philip nickte ganz wichtig.

      »Pia hat mir gezeigt, wie man die fängt, und wenn man welche hat, dann kann man die auch an dunklen Tagen hervorholen oder wenn man traurig ist, und dann wird einem warm ums Herz. Ach, Mami, die Pia weiß alles, und sie kann so schöne Geschichten erzählen. Können wir die Pia nicht einfach mitnehmen?«

      Alma rief: »Aber da hätte ich etwas dagegen, mein Junge. Du kannst die Pia immer wieder besuchen kommen, das würde uns nämlich sehr freuen. Wir müssen keine Sonnenstrahlen fangen, denn der größte Sonnenstrahl bist du.«

      Das freute Philip, er lachte, dann lief er hinaus.

      Für einen Moment war es stumm, die Frauen mussten über das, was Philip gesagt hatte, nachdenken, dann sagte Alma leise, und sie war sehr gerührt: »Mit den Gedanken an die Sonnenstrahlen konnte sie überleben.«

      Das fanden Roberta und Trixi ebenfalls, und sie fanden noch etwas, dass Pia ein ganz besonderes Mädchen war, und es stand fest, da hatte der liebe Gott seine Hände im Spiel gehabt, dass alles so gekommen war. Die einstmals obdachlose Alma hatte die obdachlose Pia finden müssen, um für ihr Trauma einen versöhnlichen Abschluss zu finden und viel mehr noch, um Pia einen Weg in eine gute Zukunft zu eben. Und welche Rolle spielte Roberta dabei? Man musste nicht immer eine Rolle spielen. Ihr reichte es, für Pia da zu sein, und es machte sie schon glücklich, auf dem schmalen, für das Alter viel zu ernste Gesicht ein kleines Lächeln zu sehen. Denn das war ein Zeichen dafür, dass für Pia der Heilungsprozess begann.

      Philip kam erneut hereingepoltert.

      »Die Pia möchte auch etwas trinken«, sagte er ganz wichtig, dann fügte er hinzu: »Die Pia hat gesagt, dass ich die Sonnenstrahlen nicht immer in der Hand behalten muss, die Hand braucht man nur, um sie zu fangen. Danach soll man die Sonnenstrahlen in sein Herz lassen.« Er lachte. »Und da sind sie jetzt, und weißt du was, Mami? Mir ist jetzt ganz warm.«

      Alma erhob sich, strich dem Kleinen liebevoll übers Haar. »Ich bringe euch gleich was nach draußen, und was meinst du, soll ich auch ein paar Kekse mitbringen?«

      Er nickte heftig.

      »Das muss ich der Pia sagen, die wird sich bestimmt freuen«, rief er und stob davon.

      Roberta lachte.

      »Trixi, ich fürchte, in der nächsten Zeit wirst du es erst einmal schwer haben, denn Philip wird dich immer mit Pia vergleichen.«

      Trixi fiel in das Lachen ein.

      »Das fürchte ich auch, aber zum Glück habe ich einen Beruf, in dem man mit so was ­umgehen kann.«

      *

      Astrid Keppler hatte mittlerweile eingesehen, dass sie sich sehr töricht verhalten hatte, und jetzt schämte sie sich auch wegen der Selbstverletzungen, die sie sich zugefügt hatte. Damit löste man keine Probleme, und es blieb auch ein ganz schales Gefühl zurück, wenn man sich bewusst machte, dass man persönlich nichts erreicht hatte, sondern das etwas, was man getan hatte, glaubte, erreicht zu haben, nur den Umständen geschuldet war. Auch wenn es peinlich war, hatte Astrid begriffen, dass Oskar nicht gekommen war, weil er sie und Amelie liebte, sondern das Pflichtgefühl hatte ihn hergetrieben. Und so was fühlte sich nicht gut an.

      Die beiden Ärztinnen, Frau Dr. Müller und Frau Dr. Steinfeld, hatten ihr ins Gewissen geredet, ganz besonders Frau Dr. Müller, die es ja auch gewesen war, die sie auf die freie Stelle hingewiesen hatte. Und sie hatte sich auch sehr gefreut, als Astrid sich schließlich getraut hatte, sie anzurufen.