Ben und Lasse - Agenten hinter Schloss und Riegel. Harry Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Harry Voß
Издательство: Bookwire
Серия: Ben und Lasse
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783955683146
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den Rest Tomate in den Mund, wische mir mit dem Ärmel über das Kinn und schaue aus dem Fenster. „Das darfst du nicht, wenn Mama es verboten hat“, quakt Lasse noch hinterher.

      „Na und?“

      Ich habe keine Lust, mich ausgerechnet von meinem naseweisen Bruder belehren zu lassen, was ich darf und was nicht. Natürlich kann ich mich noch an die Diskussion mit Mama erinnern. Vor ein paar Tagen habe ich gehört, wie sich Mama und Papa über den Ring unterhalten haben. Mama hatte ihn sich vor einiger Zeit bei Oma ausgeliehen. Sie hatte ihn bei einer Hochzeit oder irgendeiner anderen Feier getragen. Danach wollte sie ihn wieder zurückbringen, aber weil Oma so weit weg wohnt, kommen wir so selten zu ihr. Da hat Papa zu Mama gesagt, wenn Lasse und ich jetzt sowieso nach Hasewinkel zu Oma fahren, dann könnte ich ihr den Ring doch mitbringen. „Das kommt überhaupt nicht infrage“, hat Mama gesagt, „der Ring ist mehrere Hundert Euro wert. Wenn der verloren geht, dann gibt das riesigen Ärger!“ „Wieso soll der denn verloren gehen“, hat Papa gefragt, „wenn Ben ihn doch in seinen Rucksack steckt?“ Da habe ich mich in das Gespräch eingemischt und gesagt, ich bin doch ein Agent und ich will Polizist werden, natürlich kann ich auf einen Ring aufpassen und ihn ohne Schaden von hier nach dort bringen. Aber Mama ist dabei geblieben: „Ich bin schon froh, wenn die Kinder heil bei Oma ankommen. Da müssen wir ihnen nicht auch noch solche Wertgegenstände mitgeben. Stell dir mal vor, die Kinder werden überfallen oder sie bekommen ihre Sachen geklaut!“ Dann haben Mama und Papa darüber gestritten, wie viel oder wenig sie uns zutrauen und wie hoch wohl die Wahrscheinlichkeit ist, dass wir überfallen oder bestohlen werden und so weiter. Jedenfalls ist mir die Sache danach nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Es hat mich schon ein bisschen gekränkt, dass Mama mir nicht zutraut, dass ich einen Ring zu Oma bringen kann. Es ist Omas Ring. Und ich bin ein guter Agent. Ich kann beschatten, ich kann beobachten, ich kann beschützen. Also ist es doch nur logisch, dass es mir gelingt, Omas Ring zurückzubringen. Darum habe ich gestern, als wir unsere Sachen gepackt haben, heimlich den Ring samt Kästchen aus Mamas Schlafzimmer genommen. Ich habe mir gedacht: Ich werde Mama beweisen, dass ich nicht mehr der kleine, dumme Junge bin, für den sie mich hält. Ich bin schon groß. Ich bin fast erwachsen. Ich gehe nicht mehr in die Grundschule. Und wenn ich schließlich den Ring wohlbehütet zu Oma gebracht habe und sie sieht, dass ich es geschafft habe, dann wird sie ihre Meinung vielleicht ändern und stolz auf ihren Agenten-Sohn sein. Aber dass mein Bruder Lasse diesen Ring findet und mir oberlehrerhafte Vorträge dazu hält, das habe ich natürlich nicht mit eingeplant.

      „Dann hast du den Ring ja geklaut!“, reißt Lasse mich aus meinen Gedanken.

      „Was?“ Ich schaue meinen Bruder böse an. „Spinnst du? Ich hab nichts geklaut! Im Gegenteil! Ich bringe diesen Ring seiner rechtmäßigen Besitzerin zurück! Klar? Der Ring gehört Oma und ich bringe ihn Oma! Was ist daran geklaut? Ich bin Agent und ich kann Schmuck vor Dieben schützen! Und wenn du auch ein Agent sein willst, dann solltest du nicht so laut davon reden, sondern lieber mithelfen, dass der Ring heil bei Oma ankommt! Kapiert?“

      „Aber Mama hat gesagt …“

      „Es ist mir egal, was Mama gesagt hat!“, platzt es aus mir raus. „Du solltest dich so langsam mal an den Gedanken gewöhnen, dass Mamas nicht immer nur recht haben! Manchmal muss man den Mamas nämlich zeigen, dass viel mehr in einem steckt, als sie denken!“

      Lasse reißt die Augen auf. „Es ist dir egal, was Mama sagt?“

      „Nein!“ Puh, was hab ich da bloß gesagt? Ich versuche, mich wieder zu beruhigen. „Nein. Das war dumm. Das hab ich nicht so gemeint. Es ist mir nicht egal, was Mama sagt. Hörst du? Ich meinte nur, ich finde, wir sollten Mama beweisen, dass wir gute Agenten sind, auf die sie stolz sein kann. Verstehst du das?“

      Lasse nickt. Aber seine Augen sind immer noch weit aufgerissen.

      „So“, sage ich mit einem Großer-Bruder-Lächeln und stupse Lasse an, „und jetzt lass uns was spielen, damit wir wieder auf bessere Gedanken kommen.“

      Lasse nickt und grinst breit. Wir spielen eine Weile „Ich sehe was, was du nicht siehst“, bis Lasse unseren kleinen Streit wieder vergessen hat. Dann futtern wir die übrigen Gummibärchen aus Lasses aufgerissener Tüte und schließlich liest jeder von uns in seinem eigenen Comic-Heft.

      „Wie weit ist es noch?“, fragt mich Lasse irgendwann.

      „Ich glaube, nicht mehr so weit. Bald müssten wir in Köln sein.“

      „Mir ist langweilig.“

      „Wie gesagt: Bald müssen wir umsteigen.“

      „Darf ich ein Spiel auf deinem Handy spielen?“

      „Nein.“

      „Warum nicht?“

      „Weil es mein Handy ist.“

      „Och, bitte. Du spielst doch gar nicht auf deinem Handy, sondern liest nur in deinem langweiligen Comic.“

      Ich seufze. „Na schön. Aber bring mir nicht wieder alle Einstellungen durcheinander.“

      Lasse strahlt: „Mach ich nicht!“

      Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche und gebe es meinem Bruder. Er freut sich wie ein Geburtstagskind. Bevor er zu spielen beginnt, betrachtet er stolz die Rückseite des Handys, auf der in voller Pracht meine Handyhülle zu bewundern ist. Ein fettes rotes Herz ist darauf zu sehen. Eigentlich ist mir diese Handyhülle total peinlich. Wenn ich in der Schule mein Handy brauche, halte ich es immer so, dass das Herz nicht zu sehen ist. Lasse hat die Handyhülle von seinem eigenen Taschengeld gekauft und mir zum Geburtstag geschenkt. Ich habe zuerst einen Schrecken bekommen, als ich sie ausgepackt habe. Aber Lasse hat übers ganze Gesicht gestrahlt und sofort erklärt: „Ein dickes Herz, weil du mein Bruder bist und ich dich so dicke lieb habe wie das Herz auf der Hülle dick ist! Das ist cool, was?“ Am liebsten hätte ich so etwas gesagt wie: „Nein, das ist nicht cool, das ist peinlich.“ Aber weil er sich beim Aussuchen so viel Mühe gegeben hat und beim Schenken so gestrahlt hat, habe ich gesagt: „Ja, das ist cool.“ Und dann habe ich ihn in den Arm genommen und war wirklich etwas gerührt über die süße Liebeserklärung meines Bruders. Dann habe ich die Hülle natürlich um mein Handy gezogen und seitdem trägt mein Handy ein fettes Herz auf der Rückseite. Wie gesagt: In der Schule versuche ich es ein bisschen zu verstecken. Aber ich würde es nie fertigbringen, die Hülle abzumachen. Das wäre, als würde ich Lasses Liebesbeweis wegwerfen.

      Jetzt sitzt Lasse also im Zug, fährt mit dem Finger liebevoll über das aufgedruckte Herz und freut sich. Dann schaut er mich an und strahlt wie an dem Tag, als er mir die Hülle geschenkt hat. Ich lächle zurück.

      „Ich hab dich lieb“, kommt es plötzlich unangekündigt von ihm.

      Automatisch schiele ich ein bisschen in der Gegend herum, ob das jemand hier im Zug gehört hat. Dies ist kein Gespräch, das Jungen in meinem Alter führen sollten, finde ich. Da sich aber niemand für uns interessiert, gebe ich leise zurück: „Ich dich auch.“ Dabei lächle ich meinen Bruder herzlich an.

      Er lehnt seinen Kopf zurück: „Und ich freu mich, dass wir zusammen das Abenteuer Oma bestehen.“

      „Ich mich auch.“

      „Und cool, dass wir jetzt schon wieder einen Agentenfall haben.“

      Ich runzle die Stirn. „Welchen denn?“

      „Na, das weißt du doch! Omas Ring heil und ohne Schaden bei Oma abzuliefern!“

      „Ach so, ja.“ Ich muss schmunzeln. So eine große Schwierigkeit dürfte das ja nicht sein. Aber schön, wenn Lasse aus allem ein Spiel oder ein großes Abenteuer machen kann.

      Bald darauf sitzt Lasse voller Eifer vor meinem Handy, tippt und jauchzt, lacht und stöhnt. Ich kann mich nicht mehr wirklich auf meinen Comic konzentrieren. Also schiele ich immer mal heimlich zu ihm rüber, um zu überprüfen, wie er sich schlägt. Passenderweise spielt er das Spiel, bei dem er einem gezeichneten Männchen helfen muss, als U-Bahn-Springer auf fahrenden Zügen zu laufen und dabei über Hindernisse