Ben und Lasse - Agenten hinter Schloss und Riegel. Harry Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Harry Voß
Издательство: Bookwire
Серия: Ben und Lasse
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783955683146
Скачать книгу

      Neben mir hat Lasse seinen kleinen Rucksack geöffnet. Das meiste Gepäck trage ich in meinem großen Rucksack: Unsere Wäsche, unsere Kulturbeutel mit Zahnbürste und so weiter, unsere Hausschuhe. Außerdem ein Kartenspiel, ein Buch, ein Comicheft, Block und Stifte und natürlich Essen und Trinken für mich. Mama hat mir noch Briefmarken eingepackt, damit ich ihr eine Postkarte schreibe. Typisch Mama. In Lasses Rucksack befinden sich hauptsächlich sein Essen und Trinken, ein kleines Kissen zum Schlafen, sein Kuschel-Elefant und ein paar Playmobilfiguren. Seinen Geldbeutel mit zehn Euro Taschengeld hat er unter seinem Pullover um den Hals hängen. Mein Portmonee steckt im Rucksack. Mama hat mir 50 Euro mitgegeben, falls wir unterwegs etwas essen müssen oder aus anderen Gründen mal dringend Geld brauchen. Es raschelt in Lasses Rucksack. „Zuerst die Eier“, murmelt er vor sich hin. Dann beugt er sich zu mir rüber: „Oder was würdest du sagen, Ben?“

      „Ja, von mir aus. Die Eier.“

      Lasse beugt sich über den Rucksack, den er auf dem Boden zwischen seine Füße eingeklemmt hat. Raschel, wühl, krusch … dann ein Plopp, plumps, kuller … „Oh nein, jetzt ist mir die Trinkflasche weggerollt!“ Lasse kniet sich vor den Sitz und schaut darunter: „Oh Hilfe, jetzt rollt sie schon zwei Sitze weiter!“ Er springt auf und will den Gang entlanglaufen. Leider hat er sich mit seinen Füßen in den Trägern vom Rucksack verfangen. Er stolpert und schleift den Rucksack hinter sich her. Ein Playmobilauto rollt über den Boden, zwei Tomaten kullern aus einem Plastikbeutel, eine Tüte Gummibärchen purzelt in den Gang.

      Jetzt muss ich doch mal eingreifen: „Ach, Lasse, was machst du denn da?“ Ich beuge mich über den Boden, ziehe den Rucksack zurück und packe die Gummibärchen wieder ein. An die Tomaten komme ich nicht dran. Die rollen auf die andere Seite des Ganges und liegen jetzt beide direkt neben dem Schuh einer älteren Dame.

      Lasse krabbelt wie ein Tier den Gang auf und ab, zieht die Trinkflasche hinter den Füßen eines Mannes im Anzug hervor, sammelt sein Playmobilauto mitten im Gang ein und greift schließlich nach den entlaufenen Tomaten neben dem Damenschuh. In diesem Augenblick beginnt der Zug scharf zu bremsen, da wir in einen neuen Bahnhof einfahren. Es rappelt im Wagen, Lasse fällt nach vorne und kann sich gerade noch auffangen, indem er sich am Fuß der älteren Dame festhält. Die Frau schreit auf, hebt ihre Füße in die Luft, stampft sie wieder nach unten und tritt auf eine der beiden Tomaten. Es matscht und spritzt, die Dame hat rote Flecken auf dem Schuh. Sie schaut nach unten, als sei sie von einem Hund gebissen worden. „Was machst du da?“, japst sie.

      „Ich fange meine Tomaten wieder ein!“ Die zweite Tomate ist durch das Bremsen noch weiter nach vorne gerollt. Lasse springt hinterher und kann sie gerade noch auffangen, bevor sie zur Abteiltür nach draußen kullert. Lasse nimmt die Tomate, kommt zurück und setzt sich wieder. „Schade. Eine Tomate weniger.“

      Etliche Leute, die am Bahnhof aussteigen wollen, arbeiten sich durch den Gang.

      „Lasse, benimm dich!“, ermahne ich ihn streng.

      „Ja, Papa“, brummt er zurück und räumt alles wieder in seine Tasche. Er hat recht. Ich führe mich hier wirklich wie ein Papa auf. Aber wenn Lasse so weitermacht, bin ich mit den Nerven völlig am Ende, bis wir bei Oma angekommen sind.

      Der Zug rollt in einen Bahnhof ein, wird unter lautem Quietschen langsamer und bleibt schließlich stehen. Die Menschen drängen nach draußen. Lasse wühlt weiter in seinem Rucksack. „Willst du ein Gummibärchen?“ Er hält mir die geschlossene Tüte unter die Nase.

      „Nein. Lass die Tüte noch zu.“

      „Es ist meine Tüte. Ich mache sie auf, wann ich das will.“ Lasse zieht. Die Tüte reißt von oben bis unten ein. Mindestens fünfzig Gummibärchen purzeln auf den Boden. „Oh.“

      „Hab ich es nicht gesagt?“, blaffe ich ihn an.

      Lasse beginnt, die Gummibärchen aufzusammeln. Ich helfe ihm. „Die kann man nicht mehr essen!“, sage ich, während wir mit den Köpfen unter dem Sitz stecken und nach den Gummibärchen greifen.

      „Klar!“, sagt Lasse. „Die haben auf dem dreckigen Boden gelegen!“

      „Der Boden ist nicht dreckig!“

      „Und ob der dreckig ist! Da haben wahrscheinlich schon Hunde hingepinkelt!“

      Lasse kichert los. „Hunde haben in den Zug gepinkelt? Du spinnst ja!“ Trotzdem riecht er sofort an einem der Gummibärchen. „Riecht ganz normal.“ Er steckt es in den Mund. „Schmeckt auch ganz normal.“

      Wir sammeln weiter. Die Tüte ist komplett eingerissen. Immer wieder kullern neue Gummibärchen heraus.

      „Entschuldigung“, hören wir plötzlich eine Männerstimme über uns. Wir schauen nach oben. „Dieser Platz ist reserviert.“

      „Ja“, sage ich schnell. „Für uns.“

      „Nein“, belehrt uns ein alter Mann im langen, schwarzen Mantel mit einem schwarzen Hut auf dem Kopf. „Platz 251. Das ist mein Sitz.“

      „Das kann nicht sein“, sage ich. „Wir haben Platz 251! Das weiß ich ganz genau!“

      „Darf ich mal die Reservierungsbestätigung sehen?“

      Ich gebe Lasse die Gummibärchen, die ich gerade in der Hand halte. Lasse schüttet sie in die Tüte, und sofort fallen sie wieder auf den Boden. Ich öffne hektisch die Seitentasche meines Rucksacks und suche nach den Zetteln, die Mama mir gegeben hat. Endlich. Zehnmal zusammengeknickt, aber alles beisammen: Fahrkarte, Reiseroute, Platzreservierung. Ich halte ihm den Zettel hin: „Sehen Sie? Platz 251 und 252.“

      „Ja, ja“, sagt der Mann und studiert aufmerksam das Blatt. „Aber Wagen fünf. Dies hier ist Wagen sieben.“

      Ich spüre, wie mir alle Kraft aus dem Gesicht fällt. „Wagen sieben?“ Ich fühle mich wie ein Trottel. „Wieso sieben?“

      „Euer Platz ist in Wagen fünf“, erklärt der alte Mann ruhig. „Und dies hier ist Wagen sieben.“

      Ich schaue mich entsetzt im Abteil um. „Und woher weiß ich, wo Wagen fünf und wo Wagen sieben ist?“

      Der Mann zeigt auf ein Schild ganz am Ende des Abteils direkt neben der Tür. Darauf steht eine Sieben.

      „Oha.“ Mir bricht der Schweiß aus. „Äh … Entschuldigung.“ Ich nehme die Papiere wieder an mich und stopfe sie notdürftig in eins der offenen Fächer im Rucksack. „Lasse, wir sind hier falsch.“

      „Was?“ Lasse hält immer noch die aufgerissene Tüte in der Hand und rechts und links fallen ihm Gummibärchen auf den Boden.

      „Wir müssen hier weg!“

      „Wieso?“

      Ich erkläre ihm kurz die Lage, wir verstauen so schnell wie möglich Lasses Trinkflasche und all die anderen verlorenen Sachen im Rucksack und gehen in den Gang zurück. Immer noch liegen unzählige Gummibärchen vor Lasses Sitz, aber die heben wir jetzt nicht mehr auf. Wir haben unsere Rucksäcke wieder auf den Rücken gehoben, Lasse trägt die offene Gummibärchentüte in beiden Händen und versucht, sie so zu halten, dass jetzt keins mehr rausfällt.

      Der Mann legt seine Tasche in das Gepäcknetz über dem Sitz und setzt sich hin.

      „Entschuldigung“, sage ich noch einmal.

      Lasse hält ihm seine Tüte hin. „Möchten Sie ein Gummibärchen?“

      Der Mann verzieht keine Miene, als er sagt: „Nein, danke.“

      Wieder quetschen wir uns durch das Abteil bis zum Ende, ziehen die Tür auf und gehen ins nächste. Auf dem Boden direkt an der Tür sitzt mit angezogenen Beinen der dunkelhaarige Mann, der vorhin auf unserem Platz saß. Das heißt – vermutlich saß er wirklich auf seinem eigenen Platz. Denn wenn er Platz 252 reserviert hatte, dann wird mir nachträglich klar, was er verzweifelt versucht hat, uns zu erklären. Als wir uns an ihm vorbeidrängen, sieht er uns an und erkennt uns wieder. Ich bemerke, dass er sich wundert, uns hier zu sehen. „Entschuldigung“, sage