100 Jahre Österreich. Johannes Kunz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Kunz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783903083790
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und Stellvertreter Paul von Hindenburgs war, und sagt: »Ich wusste gar nicht, dass Sie Jude sind, Herr General!«

       Karl Farkas, der brillante Blitzdichter, soll Anfang der 1930er-Jahre im Winter im »Simpl« einen Reim auf das von einem Besucher zugerufene Schimpfwort »Judenbengel« machen. Und das gelingt ihm famos. Farkas nimmt eine Rose aus einer Vase auf einem Publikumstisch und sagt:

       »Das ist die Rose,

       Hier ist der Stängel,

       Ich bin der Jud

       Und dort sitzt der Bengel.«

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      Der christlich-soziale Politiker Carl Vaugoin ist in den 1920er-Jahren Heeresminister, nachdem zuvor der Sozialdemokrat Julius Deutsch für das Militär zuständig war. Nun ist Deutsch Chef des Republikanischen Schutzbundes. Vaugoin, ein Reserveoffizier aus dem kleinen niederösterreichischen Städtchen Scheibbs, der im Ersten Weltkrieg gedient hat, ist das Ziel ständiger Angriffe der Sozialdemokraten, die ihm vorwerfen, aus dem Bundesheer eine christlich-soziale Parteiarmee zu machen. Die »Arbeiter-Zeitung« veröffentlicht unter Anspielung auf den italienischen Faschistenführer Benito Mussolini unter dem Titel »Vaugoins Kriegslied oder der Mussolini von Scheibbs« dieses Gedicht:

       Hoch zu Roß mit Schwert und Tschako

      Zieh ich aus zum Kampf, per Bacco,

      Wie der Duce von Italia,

      Denn es naht der Tag der Wahl ja.

      Nicht im Land der Makkaroni,

      Sondern an der Donau wohn i,

      Trink nicht feurigen Chianti,

       Bin doch auf die Sozi granti!

      Stamm ich auch nicht aus Milano,

       Mach ich’s doch und besser a no

      Wie der große Mussolini,

      Ich, der Carlo Vaugoini.

      Saß einst auf dem Bock der Kutsche,

      Mach jetzt wie der Duce Putsche.

      Wenn ich noch a bissel warte,

       Bring ich es zum Bonaparte!

      Die politische Radikalisierung erfasst jetzt auch die Hochschulen. Das folgende Gedicht aus den 1920er-Jahren ist eine Persiflage auf »Die Universität«, den Refrain eines Revolutionsliedes aus dem Jahr 1848, in dem die liberale Gesinnung der Studentenschaft gefeiert wird:

      Was kommt heran mit Gummiknüppeln?

      Der Schlagring blinkt, die Fahne weht.

       Es naht mit Schrei’n und Fäusteschütteln –

      Die Universität.

       Des Ruhmes Gipfel ist erklommen

      Und Gnade wird umsonst erfleht,

       Wenn über einen fünfzig kommen –

      Die Universität.

      Die Knüppel hoch, das Wissen nieder,

       Dass es im Sturme abwärts geht!

       Der neue Geist fasst Haupt und Glieder –

      Die Universität.

      Als Erster war ein Jud gefallen,

      Im Freiheitskampfe hingemäht.

       Ein »Vivant sequens« lässt erschallen –

      Die Universität.

       Was wird einst die Geschichte künden?

       Wer weiß, was dort zu lesen steht

       Von Ruhmestaten und von Sünden –

      Der Universität.

      Bisher kennt man in Österreich zweierlei Arten von strafbaren Ehrenbeleidigungen: die wörtlichen und die tätlichen. Nunmehr soll eine dritte Kategorie dieses Deliktes hinzukommen: die universitätliche.

      Dazu passt diese satirische Nachricht: Der Vollzugsauschuss der Deutschen Studentenschaft an den Wiener Hochschulen hat den Beschluss gefasst, von nun an bei ihren Kommersen den Text des altehrwürdigen Eröffnungsliedes wie folgt abzuändern: »Haudeamus igitur, juvenes dumm sumus!«

      Auch dieser Reim spricht Bände:

      Bei Versammlungen in früherer Zeit,

      Da wart beraten und beschlossen.

      So reaktionär ist man nimmer heut,

      Jetzt wird ganz einfach geschossen.

      Zwei Buben unterhalten sich:

      »Hörst, mei Vata hat ma heut a Watschen geb’n!«

      »Schieß’n nieda!«

      Übermut und Überreizung gibt eine gefährliche Hakenkreuzung. Das zeigt sich immer mehr, denn die Nationalsozialisten entfalten längst auch in Österreich politische Aktivitäten, ausgehend von den Universitäten. Viele meinen, man sollte über die Bubenstücke der Hakenkreuzler nicht den Stab brechen – lieber sie damit durchhauen.

      Den Unterschied zwischen einem Fass und der nationalsozialistischen Partei definiert man so: Dem Fass geben die Reifen, der Nazipartei die Unreifen den Halt.

      Als 1931 die Creditanstalt, Österreichs größte Bank, in eine existentielle Krise gerät, zahlungsunfähig wird und damit viele Banken in Mitteleuropa sowie die Realwirtschaft mitreißt, urteilt Karl Farkas: »Leute mit Plattfüß’ sind jetzt die glücklichsten. Sie sind die Einzigen, die ihre Einlagen herausnehmen können.«

      Kohns Geschäft in der Wiener Innenstadt muss angesichts der Wirtschaftskrise zusperren. Draußen an der Tür hängt ein Schild mit der Aufschrift »Wegen eines Todesfalls geschlossen.« Da erkundigt sich Blau teilnahmsvoll: »Wer ist denn gestorben?«

      »Die Kundschaft«, antwortete Kohn.

      Mandelbaum fragt Rosenblatt: »Sag’, ist’s wahr, dass Du in Konkurs bist?«

      »Ja, leider«, antwortete Rosenblatt.

      »Aber Deinen Besitz in der Steiermark hast Du noch?«

      »Nein, der ist weg.«

      Mandelbaum lässt nicht locker: »Aber das schöne Schiff in der Adria gehört Dir noch?«

      »Nein, das ist auch weg.«

      Mandelbaum kommt zu diesem Schluss: »Also Du bist nicht in Konkurs, Du bist pleite!«

      Karl Farkas liefert immer wieder Bonmots zum Thema Geld: »Wer Geld hat, kommt nach Österreich. Wer keines hat, ist schon hier geboren.« Oder: »Es genügt nicht, dass man reich ist, man muss auch Geld haben.« Und Peter Altenberg sagt: »Es gibt dreierlei Menschen, die kein Geld haben: die Verschwender, die Geizigen und die Armen.«

      Zwei Schusterbuben begegnen einander und unterhalten sich über alles Mögliche. Trotz der tristen Verhältnisse in Österreich geht es ihnen relativ gut, da sie beide Beschäftigung haben.

      Da sagt der eine: »Hast du g’hört, der Professor Schubert hat Selbstmord begangen!«

      Darauf der andere: »Recht g’schieht ihm, wieso hat er nix g’lernt?«

      Das bürgerliche Lager tut sich schwer mit den neuen gesellschaftlichen Verhältnissen, wie dieses Gedicht zeigt: