»Ich weiß nicht, was Herr Hammerdonk mit den Gemälden gemacht hat. In dem Hause ist alles so, wie ich es übernommen habe.«
Björn glaubte ihm kein Wort, obgleich er nicht erklären konnte, woher dieses Misstrauen kam. Ihm war Vaerland einfach unsympathisch.
Christinas Räume lagen im oberen Stockwerk. Sie waren stilvoll eingerichtet, zeugten von viel Geschmack, und auch der Staub, der hier aufwirbelte, minderte den Reiz nur wenig.
»Christina möchte ihre Fotoalben, ihre Tagebücher und ihren Schmuck haben«, sagte Björn. »Falls Sie Bedenken haben, dass ich diese Dinge an mich nehme, könnten wir eine Amtsperson hinzuziehen«, schlug Björn vor.
»Aber ich bitte Sie, Herr Dr. Reuwen, ich hege keinerlei Misstrauen gegen Sie«, sagte Dr. Vaerland mit einem süffisanten Lächeln. »Wenn etwas nicht stimmen sollte, würde es ohnehin ans Tageslicht kommen, wenn Christina hier erscheint. Ich fürchte nur, dass das arme Mädchen einiges durchstehen muss, das vieles wieder aufrührt.«
»Ich bin darauf bedacht, dies weitgehendst zu verhindern. Und daran werden Sie wohl auch im eigenen Interesse selbst interessiert sein, da ein Herumwühlen in der Vergangenheit auch Ihre Beziehungen zu Frau Hammerdonk wieder publik machen könnte.«
Das traf ins Schwarze. Vaerland wurde fahl im Gesicht. »Dummer Klatsch!«, brauste er auf. »Gegen solche Verleumdungen werde ich gerichtlich vorgehen.«
»Was der Vergangenheit angehört, sollte ruhen«, erwiderte Björn, »und deshalb möchte ich auch, dass alles, was Christina anbetrifft, ohne Aufsehen erledigt wird. Das betrifft selbstverständlich auch die Erbschaftsangelegenheit.«
Während er sprach, hatte er schon die Schränke geöffnet, die gefüllt waren mit Kleidungsstücken. Es schien nichts zu fehlen. Für eine Reise war Christina anscheinend nicht gerüstet.
In dem Sekretär fand er dann eine verschlossene, ziemlich abgegriffene Collegemappe, zwei Lederkassetten, die ebenfalls verschlossen waren, und eine ganze Anzahl von Fotoalben. Es herrschte eine vorbildliche Ordnung, und nichts ließ darauf schließen, dass jemand dort herumgekramt hatte.
»Sie sehen, dass nichts angerührt worden ist«, sagte Dr. Vaerland sarkastisch.
Björn überhörte diese Bemerkung geflissentlich. Er ging durch die Räume, konnte aber keine auffallenden Lücken feststellen – von den hellen Flecken an den Wänden abgesehen. Der Abschied von Vaerland war reserviert und mehr als kühl. Zuerst hatte Björn noch einige Fragen nach Bob stellen wollen, doch das unterließ er, da Vaerland wohl doch nicht die Wahrheit gesagt hätte.
Björn fuhr anschließend zum Gericht, wo man seinen Mutmaßungen große Aufmerksamkeit schenkte, ihm jedoch nichts mitteilte, was aufschlussreich für ihn gewesen wäre. Zumindest die Beruhigung konnte er nach Hause mitnehmen, dass Dr. Vaerland gehörig auf die Finger geschaut wurde.
Er nahm einen Mietwagen und fuhr nach Odderö. Er hielt vor einem schmucken kleinen Haus. Im Garten arbeitete eine grauhaarige Frau, die einen recht rüstigen Eindruck machte. Ihr Gesicht versteinerte, als er sich vorstellte, und es dauerte einige Zeit, bis er sie zugänglicher gestimmt hatte, denn der Name Reuwen schien sie mit Abscheu zu erfüllen. Er begriff bald, dass Lining Bob aus einem Instinkt heraus abgelehnt und verachtet hatte, dass sie, diese schlichte Frau, ihn gefühlsmäßig sofort durchschaut hatte. Dass sie für Menschen eine ganz besonders gute Nase zu haben schien, kam ihm dann zugute.
Björn sprach über Christina, über die schweren Monate, die er mit ihr geteilt hatte, und wie sie sich nun quälte, der Vergangenheit und der Wahrheit auf die Spur zu kommen.
»Es würde Christina sehr helfen, wenn ich ihr sagen könnte, dass Sie ihr nicht grollen«, sagte Björn.
»Kann sie nicht herkommen?«, fragte Lining.
»Nicht so bald.«
»Dann werde ich zu ihr fahren müssen«, erklärte Lining. »Ich habe einen Tag nach dem Unfall einen Brief von ihrem Vater bekommen. Darüber muss einmal gesprochen werden.«
Mit ihm wollte sich Lining darüber anscheinend nicht unterhalten, und Björn stellte keine Fragen, was ihr anscheinend gefiel.
»Sie haben Anstand, was der andere nicht hatte«, erklärte sie. »Sie haben viel für das Kind getan, das möchte ich glauben. Aber ich will mich erst davon überzeugen.«
»Sie wollen also die weite Reise auf sich nehmen?«, fragte Björn.
»Ich werde es schon noch schaffen.«
»Mit dem Flugzeug ist es nicht so schlimm«, entgegnete Björn.
Sie runzelte die Stirn. »Ich soll mich in so eine Höllenmaschine setzen? Ich kann den Krach schon nicht ertragen, wenn sie hier über uns hinwegfliegen. Nein, nein, das kommt nicht infrage.«
»In der Luft hört und spürt man nichts«, sagte Björn. »Wir wären in ein paar Stunden in München und bald bei Christina.«
»Und wann kann die Reise losgehen?«, fragte Lining, nun doch am Fliegen interessiert.
»Gleich morgen.«
Er wollte die Nacht in einem nahegelegenen Gasthof verbringen, von dem aus er auch den Flug telefonisch buchen konnte, doch Lining duldete es nicht. Sie bewies ihm ihr Wohlwollen, indem sie schleunigst in ihrem Häuschen ein gemütliches Gastzimmer herrichtete.
Nebenbei erfuhr er, dass dieses Haus den Hammerdonks als Wochenendhaus gedient und sie es von ihrem Herrn geschenkt bekommen hätte. Schwarz auf weiß hätte sie das, betonte sie. Daran wäre nicht zu rütteln. Er glaubte es ihr auch so, denn diese Frau war die verkörperte Ehrlichkeit.
Den größten Teil ihres Lebens war sie der Familie Hammerdonk verbunden gewesen. Wie viel ihr dies bedeutete, ging auch daraus hervor, dass überall Fotografien von Magnus Hammerdonk und Christina standen.
Am nächsten Morgen brachen sie früh auf. Zu seiner Verwunderung hatte Björn tief und traumlos geschlafen. Lining musste schon sehr früh aufgestanden sein, denn sie war fix und fertig angekleidet und hatte auch schon das Frühstück zubereitet, bevor sie ihn weckte.
Man konnte sich mit ihr sehen lassen. Tadellos war sie gekleidet und frisiert. Richtig feierlich sah sie aus, und der schwarze Lederkoffer, den sie mitnahm, war genauso blankgeputzt wie ihre Schuhe.
Als sie dann im Wagen neben ihm saß, kerzengerade und den Blick starr nach vorn gerichtet, sagte sie: »Ich habe gehofft, dass die Hochzeit nicht stattfindet, aber nicht durch dieses schreckliche Unglück hätte sie verhindert werden dürfen.«
»Das Unglück war schicksalhafte Bestimmung«, erwiderte Björn. »Die Hochzeit sollte nicht stattfinden. Herr Hammerdonk wollte mit Christina wegfahren – nicht in die Kirche.«
Lining atmete schwer. »Aber in den Zeitungen stand doch, dass sie auf dem Wege zur Kirche waren«, murmelte sie irritiert.
»In den Zeitungen wurde viel geschrieben. Denken wir jetzt nicht daran, Lining. Es ist noch so vieles unklar, und manches werden wir wohl nie erfahren.«
Zum Beispiel, wie der Koffer mit den Kleidern, die Christina gar nicht gehören, in das Kabriolett gekommen war, ging es ihm durch den Sinn. Die Vorstellung, dass Bob auch diesen Wagen an sich bringen wollte, war zu grauenhaft.
»Wann haben Sie eigentlich das Haus verlassen, Lining?«, fragte er.
»Fünf Tage vor dem Hochzeitstermin«, erwiderte sie tonlos.
»Und warum?«
»Mir hat’s nicht gepasst, wie er sich aufführte«, erwiderte Lining mit fester Stimme.
»Sie können ganz offen mit mir reden, Lining.« Björn warf ihr einen langen Blick zu.
»Ihnen wird es auch peinlich sein, wie ich Sie einschätze«, sagte Lining brummig. »Ich bin jetzt aufgeregt. Ich bin noch nie geflogen. Wann geht es denn los?«
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