Würde man endlich – wie dies sicherlich Münsterbergs eigentlicher, wennschon durch seine eigenen Ausführungen verdunkelter Ansicht entspricht –, unter »subjektivierendem« und deshalb »teleologischem« Denken ein solches verstehen, welches, unbekümmert um die Abstraktionen psychologischer Theorien, das »Wollen« in seiner empirischen, ungebrochenen Gegebenheit nimmt, und seinen Ablauf, seine Konflikte und Verbindungen mit fremdem Wollen und – was aber bei Münsterbergs Ausdrucksweise immer wieder unter den Tisch fällt – mit den Widerständen und »Bedingungen« der »Natur«, denkend zu erfassen sucht, so würde die Tatsache, daß es andere Disziplinen gibt, welche für ihre Erkenntniszwecke das »Wollen« als einen »Empfindungskomplex« behandeln, doch keine prinzipielle, wie Münsterberg sagt: »ontologische«, Kluft zwischen beiden Betrachtungsweisen begründen. Sie würde auch einer Gewinnung von kausalen Regeln durch eine Disziplin, für welche das »Wollen« ein- für allemal die letzte, nicht weiter zu zerlegende »Einheit« bildet, nach dem früher Ausgeführten natürlich durchaus nicht im Wege stehen.
Immer wieder bleibt also als spezifisches Merkmal der »subjektivierenden« Wissenschaften, soweit sie historische Wissenschaften und nicht normative Disziplinen sind, das Ziel des »Einfühlens«, »Nacherlebens«, kurz des »deutenden Verstehens«. Der Objektivierung entrinnt aber bei den auf dieses Verstehen abzielenden Disziplinen der konkrete psychische Vorgang, z.B. das »unmittelbar« verständliche »Wollen« und ebenso auch das »Ich« in seiner »unmittelbar« verständlichen »Einheit« niemals, wo immer es sich um eine wissenschaftliche Darstellung von Tatsachen handelt, zu deren Wesen es eben gehört, daß sie überindividuell als »objektive Wahrheit« gelten will. Diese Objektivierung wird sich, wo es sich um die Ausnutzung unserer Fähigkeit des »deutenden« Verstehens handelt, teilweise, namentlich in der Art und Weise ihrer begrifflichen Bestimmtheit, anders gestalteter Demonstrationsmittel bedienen, als da, wo das Zurückgehen auf »unverstandene«, aber eindeutig bestimmte »Formeln« das Ziel sein soll, und allein sein kann, aber »Objektivierung« ist sie eben auch. Münsterberg138 ist der Ansicht, daß das subjektivierende »Nachfühlen«, welches, im Gegensatz zu der ebenfalls von dem »Anerkennen« fremder Subjekte ausgehenden, dann aber im Interesse der Beschreibung, Erklärung und Mitteilung den Weg der »Introjektion« einschlagenden Psychologie, der Historiker verwende, sich auf das »Zeitlose« des »Erlebnisses« beziehe, daher wesensgleich mit dem »Verstehen« des »stellungnehmenden Subjektes sei«. Je weniger »begrifflich« bestimmt der Ausdruck, desto sicherer erreiche daher der Historiker seinen Zweck. Wir kommen darauf noch näher zurück, hier sei nur folgendes dazu bemerkt: Die Kategorie der »Deutung« zeigt ein doppeltes Gesicht: sie kann 1. eine Anregung zu einer bestimmten gefühlsmäßigen Stellungnahme sein wollen – so die »Suggestion« eines Kunstwerks oder einer »Naturschönheit«: dann bedeutet sie die Zumutung zum Vollzug einer Wertung bestimmter Qualität. Oder sie kann 2. Zumutung eines Urteils im Sinn der Bejahung eines realen Zusammenhanges als eines gültig »verstandenen« sein: dann ist sie das, was wir hier allein behandeln: kausal erkennende »Deutung«139. Sie ist bei der »Naturschönheit« in Ermangelung metaphysischer Aufstellungen ausgeschlossen, beim Kunstwerk auf die historische »Deutung« der »Intentionen« und der »Eigenart« des Künstlers in ihrer Bedingtheit durch die zahllosen in Betracht kommenden Determinanten seines Schaffens beschränkt. Wenn in den »Genuß« des Kunstwerks beides ungeschieden einzugehen pflegt und in den Darstellungen der Kunsthistoriker nur zu oft beides nicht geschieden wird, wenn ferner die faktische Scheidung ungemein schwer fällt und die Fähigkeit dazu erarbeitet werden will, und wenn endlich und vor allem die wertende Deutung in gewissem Umfang der unentbehrliche Schrittmacher für die kausale Deutung ist, – so ist die prinzipielle Scheidung beider von der Logik doch selbstverständlich unbedingt zu postulieren. Sonst wird »Erkenntniszweck« und »praktischer Zweck« ähnlich ineinander geschoben, wie dies so oft zwischen Erkenntnisgrund und Realgrund geschieht. Es steht jedermann frei, sich auch in Form einer historischen Darstellung als »stellungnehmendes Subjekt« zur Geltung zu bringen, politische oder Kulturideale oder andere »Werturteile« zu propagieren und zur Illustration der praktischen Bedeutung dieser und anderer, bekämpfter, Ideale das ganze Material der Geschichte zu verwenden, ganz ebenso wie Biologen oder Anthropologen gewisse »Fortschritts«-Ideale sehr subjektiver Art oder philosophische Ueberzeugungen in ihre Untersuchungen hineintragen und damit natürlich nichts anderes tun, als jemand, der das ganze Rüstzeug naturwissenschaftlicher Erkenntnis zur erbaulichen Illustration etwa der »Güte Gottes« verwertet. In jedem Fall redet aber dann nicht der Forscher, sondern der wertende Mensch, und wendet sich die Darlegung an wertende, nicht nur an theoretisch erkennende Subjekte. Die Logik ist durchaus außerstande zu hindern, daß eben aus diesem Grunde der Markt des stürmisch wollenden und ethisch oder ästhetisch wertenden Lebens gerade diese Bestandteile als das eigentliche »Wertvolle« einer »historischen Leistung« ansieht, – was sie allein feststellen kann und, will sie sich treu bleiben, muß, ist: daß in diesem Fall nicht der Erkenntniszweck es ist, an welchem gemessen wird, sondern andere Zwecke und Gefühlswerte der Lebenswirklichkeit. Auch die Geschichte behandelt »objektivierte Selbststellungen«, wie dies Münsterberg140 für die Psychologie in dem Anfangsstadium ihrer Begriffsbildung statuiert. Der Unterschied beider ist, daß die Geschichte zwar generelle