Drüben in einer Grotta saßen drei Männer an einem kleinen Tisch.
Zwei hatten ihm den Rücken zugekehrt, das Gesicht des dritten aber konnte er deutlich sehen und hatte es sofort erkannt.
Phineas Clanton!
Wyatt stand zwischen Fenster und Hausecke an die Wand gepreßt, und das Blut hämmerte ihm bis in die Schläfen.
Phin! Also auch hier stieß er wieder auf diesen Mann!
Wyatt trat etwas aus dem Schlagschatten des Hauses heraus und winkte Enrique heran.
»Komm her, Enrique! Da drüben in der Grotta sitzen drei Männer. Sieh dir den an, der uns das Gesicht zukehrt, und sag mir, ob du ihn kennst.«
Enrique nickte, trat lautlos an die Adobewand heran und schob sich dann langsam bis zum Fenster vor. Kaum hatte er einen Blick hineingeworfen, als er zurückzuckte.
»Natürlich kenne ich ihn, Boß.«
»Wer ist es?«
Da bleckte der Bandit seine überlangen gelben Zähne und grinste. »Sie wollen mich auf die Probe stellen, Boß.«
»Wer ist es?«
»Wer soll es schon sein? Sie kennen ihn so gut wie ich. Und wir nennen doch keine Namen.«
»Ich habe dich gefragt, wer er ist!«
»Well, es ist der Boß… von der Cantina da.«
Sollte Enrique den Desperado nicht erkannt haben? Sollte er einen anderen Mann meinen?
Wyatt brachte ihn noch einmal ans Fenster und wies jetzt mit dem Finger auf Phin.
»Well, Boß, er ist der Besitzer dieser Cantina.«
Sollte das die Möglichkeit sein! Phin als Besitzer einer mexikanischen Cantina. Ausgeschlossen war es nicht. Wyatt traute dem Bruder Ikes alles zu.
»Und die beiden, die neben ihm sitzen?«
»Ich kenne nur einen von ihnen«, entgegnete Enrique.
»Und wer ist das?«
»Gil.«
Gilbert? Da kam dem Marshal ein Gedanke. Sollte es sich bei diesem Burschen um Gilbert Morrison handeln? Den Bruder Judys, den die Banditen damals in Nogales gesucht hatten?
Wyatt beschloß, auf den Busch zu klopfen.
»Kennt ihr hier alle Gilbert Morrison?«
»Ich weiß nicht, ob die anderen ihn kennen. Ich erkenne ihn jedenfalls sogar von hinten«, entgegnete Enrique.
Der Mann, der da bei Phin Clanton am Tisch saß, war also Gilbert Morrison, der Sohn der Wäscherin aus Nogales.
»Alles unsere Freunde?« sagte Wyatt leise, wobei er in das Gesicht Enriques sah. Er glaubte, in dessen Augen plötzlich Argwohn aufflackern zu sehen. Um jeden Verdacht zu zerstreuen, erklärte er: »Ich habe mit Phin nachher noch zu sprechen. Und mit Gil auch. Dazu brauche ich euch nicht. Erst aber muß ich noch den anderen Mann suchen.«
Der Argwohn verflog sofort wieder aus dem Gesicht des Banditen.
Es schien also nun mit großer Sicherheit festzustehen, daß Phineas Clanton zu den Galgenmännern gehörte! Eine Feststellung, die den Marshal zwar nicht allzusehr überraschte, aber doch sehr bedrückte. Und er hätte nicht einmal sagen können, warum. Hatte er doch schon immer angenommen, daß die Clantons zu den Galgenmännern gehörten, ja, daß sie diese anführten, denn daß Phin – wenn überhaupt – keine untergeordnete Rolle bei dieser Banditenorganisation spielen würde, war klar.
Ebenso schlimm war die Feststellung, daß dieses Martini ein zumindest genauso gefährliches Bandennest war wie Costa Rica, das der Marshal erst vor kurzer Zeit ausgehoben hatte.
Die gutgläubige Conchita aus dem Gold Dollar Saloon in Nogales hatte ihm wirklich einen goldenen Fingerzeig gegeben. Und selbst wenn er Kilby hier nicht fassen konnte, so hatte er durch diesen Hinweis doch von einem gefährlichen Schlupfwinkel der Galgenmänner erfahren. Denn wer würde die Graugesichter je hier gesucht haben? Sie wußte genau, daß niemand so leicht auf den Gedanken kommen konnte, sie in diesem mexikanischen Nest, nicht einmal allzuweit von der mexikanischen Grenze entfernt, zu suchen.
Da stand er nun unter dem sternbesäten Himmel Mexikos im fahlen Mondlicht an der Wand einer Cantina in Martini. Phin Clanton war da, und den von Mutter und Schwester vermißten Gilbert Morrisson hatte er auch entdeckt.
Vielleicht waren noch andere Männer hier, die er kannte und niemals hier vermutet hätte? Wyatt wandte sich an Enrique.
»Wo ist der nächste Mietstall?«
Der deutete auf den Hof nebenan: »Gleich hier. Er gehört Pedro Piola.«
Wyatt flüsterte: »Komm!«
Sie zogen sich in die Sättel und ritten zum Mietstall. Mitten im Hof hielten sie.
Wieder warf der Marshal dem Banditen seine Zügelleinen zu und ging zum Stall hinüber, durch dessen offene Tür ein Lichtschein fiel.
Links in einer der Boxen arbeitete ein kleiner Mann mit glattem schwarzem, in der Mitte gescheiteltem Haar, grauem Hemd und schwarzer Boleroweste. Er trug schwarze enganliegende Hosen, die in halbhohen Schaftstiefeln steckten.
Eine Waffe trug er nicht.
»Señor Piola!« rief Wyatt ihn an.
Der Mann wirbelte herum und spannte die Hände um die angehobene Mistgabel.
Wyatt schüttelte lächelnd den Kopf.
»Keine Aufregung, Señor. Ich möchte nur ein Pferd kaufen.«
»Ein Pferd?« Über das Gesicht des Mietstallinhabers flog ein freundliches Lächeln. »Ein Pferd? Natürlich! Señor, kommen Sie nur herein. Ich habe eine ganze Menge Pferde zu verkaufen, die besten, die es weit und breit gibt. Sie müßten sehr weit reiten, wenn Sie auch nur ein annähernd so gutes Tier…«
Wyatt hob abwehrend die Hand: »Lassen Sie mich nur sehen. Sind die alle zu verkaufen?«
»Nein, nicht alle.«
»Sagen Sie mir doch einfach, welche nicht zu verkaufen sind«, forderte Wyatt ihn auf.
»Ja.« Der Mexikaner deutete mit dem anderen Ende der Mistgabel auf das Pferd, in dessen Box er gerade gearbeitet hatte. »Hier, der Hengst nicht. Der gehört mir.«
»Und, weiter?«
»Da, der dritte, der Rotfuchs, der ist auch nicht zu verkaufen. Der gehört einem Mann von Primavera.«
Wyatt war mit ihm an den Boxen entlanggegangen und blieb plötzlich hinter einem braunen Wallach stehen.
»Und der hier, ist der verkäuflich?«
Der Mexikaner zog die Schultern hoch und bleckte die Zähne.
»Ich weiß nicht, vielleicht.«
»Gehört er Ihnen?«
»Nein. Aber ich glaube, ich könnte mit dem Besitzer sprechen, wenn Ihnen das Tier gefällt. Schönes Pferd, nicht wahr?« fragte er lauernd.
»Hm«, tat Wyatt nachdenklich, »vielleicht sollte ich besser selbst mit dem Mann sprechen? Sie bekommen zehn Prozent.«
»Zwanzig«, meinte der Händler mit süßlichem Lächeln.
»Gut. Ich will nicht mit Ihnen streiten. Wo finde ich den Mann?«
»Er heißt Cortez und ist im Mexiko-Hotel abgestiegen. Das liegt nur ein paar Häuser weiter auf der linken Seite.«
Wyatt nahm ein Geldstück aus der Tasche und reichte es dem Mietstallinhaber.
Der spuckte darauf und schob es in die Westentasche.
»Vielen Dank, Señor. Ich hoffe, es kommen noch etliche dazu.«
»Möglich.«