Da erinnerte sich der Missourier plötzlich seiner Begegnung mit Ringo. Sollten die Worte, die ihm der Dandy-Schießer vor Rozys Bar zugerufen hatte, vielleicht doch keine leere Drohung gewesen sein?
Es hatte keinen Sinn, den Texaner länger in den Kneipen zu suchen. Luke ging, wenn er einen Whisky trinken wollte, in den Oriental Saloon oder zu Harper. Und da er dort nicht war, mußte ihm etwas passiert sein.
»Wir müssen Ringo suchen«, preßte der Marshal durch die Zähne.
Der Georgier blickte ihn verwundert an. »Ringo? Den brauchen wir nicht zu suchen. Der Lackaffe hat bestimmt sein Quartier nicht weit von Laura Higgins aufgeschlagen. Was wollen Sie von ihm?«
Wyatt wiederholte das, was Ringo ihm am Mittag unten in der Gasse zugerufen hatte.
Der Spieler pfiff leise vor sich hin.
»He, das ist vielleicht ein Gedanke.«
Es war tatsächlich nicht nötig, sich zu erkundigen, wo der geckenhafte Mann abgestiegen war.
Leute wie er suchten immer nur die pompösesten und teuersten Hotels auf. In diesem Falle also kam wohl nur das Grand Hotel in Frage.
Der kahlköpfige Mann, der Nachtdienst an der Rezeption in der Hotelhalle hatte, schrak etwas zusammen und ließ die Zeitung sinken, in der er gerade gelesen hatte, als er die beiden Dodger eintreten sah. Er schob sich seine goldgeränderte Brille auf die Nase und machte instinktiv eine Verbeugung.
»Sie suchen Miss Higgins…«
»Nein«, entgegnete der Marshal schroff.
»Dann suchen Sie Jonny Ringo?« platzte der Mann heraus.
»Richtig«, sagte Holliday schnell. »Welche Nummer?«
»Elf…«
Schon waren die beiden auf der Treppe.
Während der Georgier oben hinter der rotsamtenen Flurportiere stehen blieb, ging der Marshal weiter und klopfte an die Tür, die die Nummer 11 trug.
Ringo öffnete sofort.
»Earp?« krächzte er, »was wollen Sie?«
Er hatte getrunken. Seine Augen glänzten, und Schweiß stand ihm in zahllosen winzigen Perlen auf der Stirn. Er war einer jener Menschen, die es liebten, für sich allein eine oder auch mehrere Flaschen zu kippen. Er brauchte das. Wenn er abends zum Spiel in einen der Saloons ging, mußte er vorher unbedingt mehrere Glas Whisky konsumiert haben, um in ›Form‹ zu sein, wie er es nannte.
»Was wollen Sie, Earp! Ich habe keine Zeit. Sie sehen, daß ich mich fertig mache. Ich muß an die Arbeit.«
Wyatt schob den Mann in den Raum zurück und sah sich um.
»Was suchen Sie hier?« fauchte der Revolverschwinger verstört.
»Wo ist Luke Short?«
»Luke Short?«
Ringo war ein Meister der Verstellung. Nicht das mindeste war ihm anzumerken. Er zog die Schultern hoch und ließ sie in theatralischer Pose wieder sinken.
»Weiß ich’s? Was geht mich Luke Short an! Ich habe mit solchen Leuten nichts zu tun.«
»Spucken Sie nicht so große Töne, Mensch! Wenn ich herausbekomme, daß Sie etwas mit seinem Verschwinden zu tun haben, geht’s Ihnen schlecht.«
Krachend fiel die Tür hinter dem Marshal ins Schloß.
*
Als Behan das Office verlassen hatte, war der Texaner zu seiner Pritsche zurückgegangen und hatte sich niedergelegt.
Er war tatsächlich wieder eingeschlafen. Schließlich hatte er ein paar anstrengende Tage und Nächte hinter sich, so daß ihm der unfreiwillige Aufenthalt hier eine Ruhepause ermöglichte, die ihm noch zustatten kommen sollte.
Er schlief, bis er durch das Grölen einiger Betrunkener draußen auf der Straße geweckt wurde.
Luke setzte sich, fuhr sich mit der Rechten durch den Schopf, griff nach seinem Hut, stülpte ihn auf und erhob sich.
»Damned! Jetzt reicht mir das aber hier!« knurrte er, trat an die Gitter, spannte seine riesigen Fäuste darum und zerrte an den Trallen, daß sie oben im Steingefüge knirschten.
»Na wartet, ihr Strolche! Wetten, daß Onkel Luke in spätestens fünf Minuten draußen ist?«
Er stieß einen leisen Pfiff durch die Zähne, bückte sich und griff mit der Linken in den Stiefelschaft, wo er aus einer winzigen Tasche zwei fünfundvierziger Patronen herausnahm. Er bohrte sie auf und preßte sie in das Schloß. Dann riß er ein Zündholz an und warf sich rasch zu Boden.
Das Pulver detonierte und sprengte das Schloß mit einem schweren, dumpfen Knall, der bis auf die Straße hinaus schallte.
Der Riese sprang auf, stürmte ins Office, nahm seinen Waffengurt, der am Gewehrständer hing, und schnallte ihn um.
Als er die Tür zur Straße öffnen wollte, mußte er feststellen, daß der heimtückische Behan sie verschlossen hatte.
Der Texaner schüttelte den Kopf und lächelte. Dann ging er ein paar Schritte zurück, nahm einen Anlauf und warf sich mit voller Wucht seitlich gegen die Füllung. Krachend und berstend zersprang die Tür und fiel mit dem Mann auf den Vorbau hinaus.
Mehrere Vorübergehende fuhren tödlich erschrocken zurück.
Der Riese erhob sich, lachte dröhnend und meinte: »Das war eine kleine Zwischeneinlage. Spaß muß sein, Leute!« Er schob drei jüngere Burschen, die an der Vorbautreppe standen, zur Seite und passierte die Straße.
»Na warte, Ringo, jetzt rechnen wir beide ab!«
Im Crystal Palace herrschte Hochbetrieb. Vorn im Schankraum waren alle Tische besetzt. Die zwölf Yard lange Theke war dicht von Gästen belagert.
Und hinter der grünen gerafften Portierte im Spielsaloon sah man eine breite Tabakwolke über den Tisch schweben.
An dem größten der Spieltische saß die grünäugige Laura Higgins. Sie hatte nach einem brillanten Spiel hundertfünfundsiebzig Dollar gewonnen. Einer ihrer Partner, ein weißhaariger Mann mit blassem Gesicht, erhob sich und entfernte sich mit einer Entschuldigung.
Er war kaum gegangen, als sich eine braune Hand auf die freigewordene Stuhllehne legte.
Laura hob den Blick und sah in die Augen des Revolvermannes Larry Lemon.
»So, jetzt wollen wir dem Girl die Bucks mal wieder abnehmen. Kommen Sie, Süße, stecken Sie die Kohlen gar nicht erst ein. Es geht gleich weiter.«
Ohne die Erlaubnis der anderen Spieler abzuwarten, ließ er sich nieder und blickte Laura Higgins herausfordernd an. »Nun, geben Sie schon, ich warte!«
Da stand die Frau auf. Zorn blitzte in ihren Augen. »Ich spiele nicht mit Ihnen«, sagte sie entschieden.
Wie von einer Stahlfeder geschnellt, fuhr der Mann hoch. »So, du spielst nicht mit mir?« preßte er heiser durch die Zähne. Kennst du mich überhaupt?«
»Ich habe kein Interesse daran, Sie kennenzulernen, Mr. Lemon.«
»Ach, ich sehe, du kennst mich! Das sollte dir doch zu denken geben, Sweety.«
»Lassen Sie mich zufrieden!«
»Du setzt dich jetzt hin und spielst mit mir«, zischte ihr der Schießer mit heiserer Stimme zu.
Die anderen Männer blickten betreten drein.
Niemand wagte es, der Frau gegen diesen Menschen beizustehen.
Da nahm Laura Higgins ihr Geld, steckte es in ihre Handtasche und wollte den Tisch verlassen.
Da sprang Lemon auf sie zu, packte sie am Handgelenk und riß sie herum. »Du bleibst da sitzen, Täubchen. Wollen doch mal sehen, ob auch die Bucks bei dir