»Du denkst bloß an Geschenke«, sagte Niels. »Das ist doch nicht das Wichtigste. Kannst du dich vielleicht bloß mal freuen, daß wir hier sein können, bei Toni und den Anderen?«
»Du willst die Geschenke ja auch, jetzt tust du nur so cool.«
»Also Hektor und Lady bekommt ihr gleich zu sehen, erst mal gehen wir ins Haus.«
»Kann ich wieder bei Leni schlafen?« wollte Merit wissen.
»Ich geh wieder zu Toni, das mach ich immer«, sagte Niels und stellte sich auch sofort, um das zu demonstrieren, an die Seite seines Freundes.
»Darüber reden wir noch, kommt erst mal ins Haus. Die Überraschungen gibt es nämlich hier.«
Das ließen die Kinder sich nicht zweimal sagen, sie stürmten an den Erwachsenen vorbei.
»Wo sind die Geschenke?« brüllte Merit.
»Krieg ich den Flieger, den ich mir schon so lange gewünscht habe und der nicht lieferbar war?« erkundigte Niels sich.
Leni führte die Kinder ins Wohnzimmer, wo die so begehrten Geschenke waren.
Arno und Toni folgten.
Bettina blieb mit ihrem Schwager zurück.
»Willst du dabei sein, oder kann ich dich mit einem Kaffee glücklich machen?«
»Mehr als glücklich«, lachte Holger, »ein Kaffee ist genau das, was ich jetzt brauche.«
Er folgte ihr in die Küche, und kurz darauf saßen sie sich am gemütlichen Tisch gegenüber.
»Schön, daß ihr da seid«, sagte Bettina. »Ich habe euch wirklich vermißt.«
»Wir dich auch, die Kinder sprechen oft über euch und den Fahrenbach-Hof, aber sie haben sich in Vancouver erstaunlich gut eingelebt. Sie haben Freunde, keine Probleme mit der französischen Sprache, auch mit Englisch nicht. Da sie in einer Internationalen Schule sind haben sie auch Freunde aus aller Herren Länder.«
»Wenn sie wieder nach Deutschland kommen, wird es alles sehr eng für sie sein.«
Er rührte nachdenklich in seinem Kaffee herum.
»Bettina, es ist nicht sicher, daß wir wieder nach Deutschland kommen werden. Ich habe von meiner Firma ein außergewöhnliches Angebot bekommen. Man hat mir angetragen, die kanadische Niederlassung zu leiten.«
»Hört sich gut an, ein enormer Karrieresprung für dich, Holger.«
»Das ist es nicht, ich bin nicht so ein Karriereneurotiker. Nein, das Leben in Kanada gefällt mir einfach. Die Menschen dort sind offener, unkomplizierter, Statussymbole haben nicht die übergeordnete Bedeutung wie hier… ich habe mich, bedingt durch die Kinder, mit Leuten angefreundet, die sind, man würde hier sagen, superreich. Das bringen sie nicht nach Außen. Er läuft mit einer abgewetzten Jeans herum, und sie hat kein Problem damit, in der Jogginghose einkaufen zu gehen… das ist nur ein Beispiel. Außerdem…«, er zögerte.
Bettina beendete seinen Satz.
»Außerdem gibt es Irina.«
Überrascht schaute er sie an.
»Ja, woher weißt du?«
»Ach, Holger«, lachte sie, »um das zu wissen, muß man kein Hellseher sein. Leni, meine kritische Leni, hat sie in den höchsten Tönen gelobt, die Kinder sprechen begeistert von ihr. Irina muß ein wunderbarer Mensch sein. Bring sie doch einfach das nächste Mal mit. Sie ist hier herzlich willkommen.«
»Das… das… würdest du zu lassen?«
»Aber ja, warum nicht.«
War sie naiv? Hatte sie nicht begriffen, was Irina wirklich für ihn war?
»Bettina, ich… Irina und ich sind ein Paar, und ich werde sie bitten, meine Frau zu werden, sobald ich von Grit geschieden bin.«
»Na, das hoffe ich doch auch. Kinder brauchen geordnete Verhältnisse.«
»Bettina, Grit ist deine Schwester.«
»Ja. Nur weißt du, Holger. Ich hätte mir nichts mehr gewünscht als die Rettung eurer Ehe, schon allein wegen der Kinder. Aber so, wie Grit jetzt drauf ist, kann es keinen gemeinsamen Weg für euch geben. Ich verstehe meine Schwester ja selbst nicht mehr. Und ich weiß ja auch, daß du alles versucht hast, eure Ehe zu retten… das erben ist ihr wirklich nicht bekommen. Sie ist nicht mehr die, die sie mal war… ich hoffe nur, daß sie noch irgendwann einmal die Kurve bekommt.«
»Danke, Bettina, daß du dich so loyal verhältst. Ich bin schließlich nur, wie man so schön sagt, ein Angeheirateter. Normalerweise werden sie ja bei einer Trennung in Acht und Bann getan.«
»Für mich zählen Menschen, sonst nichts. Wir zwei haben uns schon immer verstanden. Und daran hat sich für mich nichts geändert, ich…«
Sie kam nicht dazu, ihren Satz zu beenden.
Merit war hereingestürmt, kauernd, mit schokoladenverschmiertem Mund.
Über ihre Jeans und ihr Shirt hatte sie ein Kleid gezogen, das Leni für sie genäht hatte.
»Papa, guck mal, die Leni hat mir genau so ein Prinzessinnenkleid genäht, wie ich es schon immer haben wollte.« Sie drehte sich im Kreis. »Papa, sehe ich jetzt aus wie eine Prinzessin?«
»Mein Herzchen, du siehst nicht nur so aus, du bist eine Prinzessin. Aber komm mal her, ich will dir deinen Schokoladenmund sauber machen. Ich bin mir nämlich nicht so ganz sicher, ob Prinzessinnen so verschmiert herumlaufen.«
Merit hüpfte zu ihrem Vater, und Bettina sah ganz gerührt zu, mit welch liebevoller Sorgfalt Holger seiner Tochter mit einer Serviette den Mund sauber machte.
Zorn auf ihre Schwester überkam sie. Was für eine Mutter war sie bloß? Wäre es nicht normal gewesen, sofort am Ankunftstag ihrer Kinder hier zu sein, um sie sehnsuchtsvoll und voller Liebe in die Arme zu schliessen?
Bettina war sehr gespannt, ob Grit, wie vereinbart, morgen in aller Frühe da sein würde.
»Wie findest du mich?« wandte Merit sich an ihre Tante, nachdem ihr Mund wieder sauber war.
»Umwerfend«, sagte Bettina. »Du bist die schönste Prinzessin weit und breit, und das wirklich nicht nur, weil du jetzt ein so schönes Kleid an hast.«
Merit kletterte auf Bettinas Schoß, lehnte sich an ihre Tante, die der Kleinen zärtlich über das dunkelblonde Haar strich. Das hatte Merit von den Fahrenbach geerbt.
»Ich hab’ noch mehr Prinzessinnen-Kleider, die hat die Leni alle für mich genäht. Die Leni kann wirklich supertoll nähen, und sie kommt auch bald wieder zu uns nach Vancouver… du mußt auch bald mal kommen, Tante Bettina. Das wird dir gefallen, und du kannst ja Französisch sprechen, aber das lernt die Leni jetzt auch schon. Sie kann schon bis hundert zählen und guten Tag und auf Wiedersehen sagen und noch eine ganze Menge mehr… ach, Tante Bettina, ich hab’ die Leni ja sooooo lieb, dich aber auch. Kommst du jetzt mit, um dir meine ganzen Geschenke anzusehen?«
»Ich komme gleich nach. Ich will nur noch meinen Kaffee zu Ende trinken.«
Merit kicherte und glitt von Bettinas Schoß.
»Du bist eine olle Kaffeetante.« Nach diesen Worten rannte sie wieder hinaus. Im Wohnzimmer war es interessanter, als nur bei ihrer Tante und ihrem Vater zu sitzen, die bloß Kaffee tranken und redeten. Wenn sie wenigstens Kekse oder andere Süßigkeiten dabei gehabt hätten, da wäre sie noch geblieben. Aber so?
»Der Papa und die Tante Bettina kommen auch gleich«, schrie sie draußen.
Man hörte Füßetrappeln, Türenschlagen, dann war es wieder still.
»Ich glaube, wir müssen uns zu den Anderen gesellen«, lachte Bettina