»Hört sich super an… vielleicht für später eine Option. Ich muß aber lernen für mich selbst verantwortlich zu sein, mit allen Konsequenzen, allen Alltäglichkeiten, wie Miete zahlen, für mich selber einkaufen, kochen… hier habe ich doch paradiesische Zustände. Ich zahle für nichts etwas, setze mich an den gedeckten Tisch, habe, wenn ich es brauche, ein Auto zur Verfügung. Dafür danke ich dir sehr, Bettina, aber es hilft mir nicht weiter… ich muß mich aus Abhängigkeiten befreien.«
Zu all diesen Erkenntnissen war Doris binnen kürzester Zeit gelangt?
»Sicherlich glaubst du, daß das wieder so eine spinnerte Idee von mir ist. Nein, der Knoten ist geplatzt. Ich weiß, daß vieles in meinem Leben schief gelaufen ist, nun muß ich versuchen, meinen Weg zu finden… einfach wird es nicht, zumindest in beruflicher Hinsicht nicht. Ich war ja seit meiner Verheiratung nur Hausfrau, und vorher war ich auch nicht sonderlich qualifiziert. Ich hab’ zwar eine Ausbildung als Bürokauffrau gemacht, aber das war anno schnupf. Inzwischen hat es eine rasante Entwicklung gegeben, gerade auch in der Bürotechnik.«
»Du bist nicht auf der Flucht, du mußt nichts überstürzen, Doris. Wenn du es wirklich willst, dann helfe ich dir dabei, ich kann mit meinen Lieferanten sprechen, Brodersen fällt mir dabei ein, der hilft bestimmt.«
»Das wäre phantastisch, Bettina. Ich dank dir für dein Verständnis und besonders dafür, daß du mich noch nicht in die Wüste geschickt hast. Ich hab’ dich schon genug strapaziert, ein anderer hätte mich längst aus dem Tempel gejagt.«
Bettina winkte ab.
»Doris, ich habe dich wirklich sehr gern, und ich werde alles tun, um dir zu helfen… ehrlich gesagt bin ich froh, daß du nicht geflogen bist. Es wäre nicht gut gegangen.«
»Du hast es gewußt, und ich habe glücklicherweise beizeiten die Kurve bekommen… weißt du, Bettina, es ist so schön zu wissen, daß hier bei dir immer eine Tür für mich offen ist. Ich glaube, durch diese Gewißheit bin ich auch selbstsicherer geworden. Du fängst mich auf… danke.«
»Ach, Doris, das ist doch selbstverständlich.«
»Für dich ja, weil du ein herzensguter Mensch bist… morgen werde ich mit Markus reden. Er ist ein wertvoller Mensch, er hat eine Frau verdient, die hundertprozentig zu ihm hält, nicht eine, die gleich bei dem ersten kleinen Wind umknickt.«
»Liebe Doris, unterschätz ihn nicht. Ich bin mir ganz sicher, daß dir auch ein heftiger Sturm nichts anhaben kann. Aber ich bin froh, daß du so denkst, und ich bin froh, daß du zurückgekommen bist…«, als sie den Gesichtsausdruck ihrer Schwägerin bemerkte, fügte sie rasch hinzu, »wenigstens vorübergehend.«
Danach unterhielten sie sich noch über alles Mögliche, und als Bettina eine Stunde später in ihr Zimmer kam, ließ sie sich sofort in ihr Bett fallen.
Welch ein Tag, und welch unerwartetes Ende.
Doris war wieder da, sie hätte mit allem gerechnet, aber damit nun wirklich nicht. Doch sie freute sich ehrlichen Herzens, daß es so gekommen war.
*
Die nächsten Tage rauschten an Bettina nur so vorbei. Ihr Wunsch, Richard Bellert möge sie endlich anrufen, um ihr den Vertrieb seiner Produkte zu übertragen, erfüllte sich nicht. Und je mehr Zeit verging, umso unwahrscheinlicher war es für Bettina, daß diese Sache einen positiven Ausgang nehmen würde.
Aber eine andere Sache hatte sich positiv entwickelt. Herr Brodersen, ein langjähriger Geschäftspartner ihres Vaters, derjenige, der ihr als erster seine Produkte übertragen hatte, der ihr andere Vertriebspartner vermittelt hatte – dieser Herr Brodersen hatte sich spontan bereit erklärt, Doris in seinem Betrieb einzustellen. Das tat er nicht nur, um Bettina einen Gefallen zu tun, nein, er konnte wirklich jemanden gebrauchen, denn die Dame aus seiner Telefonzentrale war vorzeitig in den Mutterschaftsurlaub gegangen.
Doris war sofort losgefahren, aus lauter Angst, er könne es sich noch einmal anders überlegen. Die erste Zeit würde Doris in einer Pension wohnen, und danach bestand die Chance, daß Doris über kurz oder lang in eines der möblierten Firmenappartements einziehen konnte, die Brodersen für Praktikanten und Besucher bereit hielt. Mit Markus war es ebenfalls gut gelaufen. Er war überglücklich darüber, daß Doris nicht nach Neuseeland gereist war und war bereit, auf sie zu warten und in der Zwischenzeit um sie zu werben, sich ihr vorsichtig zu nähern, fast so wie bei einem Neuanfang, denn auch er hatte eingesehen, daß zwischen Doris und ihm alles viel zu schnell gegangen war.
Er liebte sie aufrichtig und war davon überzeugt, daß sie irgendwann heiraten würden, und solange wollte er warten.
Diese Entwicklung gefiel Bettina sehr, und sie war so froh darüber, daß alles so schnell geklappt hatte.
Es hatte wohl so kommen müssen, und da es so reibungslos vonstatten gegangen war, war es auch richtig so.
Leni war kaum ansprechbar, weil sie nur damit beschäftigt war zu nähen, zu stricken und zu sticken. Und jetzt hatte sie doppelten Streß, jetzt galt es ja nicht nur die Merit auszustaffieren, nein, sie machte sich auch daran, für die kleine Amalia, deren Patentante sie werden sollte, alles Mögliche zu produzieren.
Bettina bekam manches Mal schon ein schlechtes Gewissen, schließlich war auch sie Patentante und freute sich riesig, aber mit Leni kam sie einfach nicht mit.
Nachdem Leni sie auch jetzt mehr oder weniger hinauskomplimentiert hatte, ging Bettina in die Remise, wo Arno in einem abgetrennten, beheizten Raum damit beschäftigt war, die alten Möbel aufzuarbeiten, die er aus den ungenutzten umliegenden Gebäuden zusammengetragen hatte. Es waren wunderschöne Teile darunter, und Arno war ein Künstler.
Bettina hatte ihm auch ihre Eßzimmerstühle zur Aufarbeitung überlassen. Sie gehörten zur Ausstattung ihrer Urgroßmutter, die diese als Aussteuer mit auf den Fahrenbach-Hof gebracht hatte. Für Bettina waren sie noch in Ordnung gewesen, aber Arno hatte darauf bestanden, sie aufzuarbeiten und auch neu zu polstern. Das konnte er auch. Er hatte ein solches handwerkliches Geschick, daß es fast schon genial war.
Als sie in seinen Arbeitsraum kam, legte er sein Werkzeug weg.
»Hallo, Arno«, begrüßte Bettina ihn.
»’n Morgen, Bettina… willst du nach deinen Stühlen sehen? Zwei hab’ ich schon fertig. Am dritten arbeite ich. Komm, ich zeig sie dir.«
Er führte sie in die Nähe eines Fensters und zog ein weißes Tuch von den Stühlen.
Bettina hielt den Atem an, sie war überwältigt.
»Mein Gott, Arno, die sind wunderschön… kaum zu glauben, daß es sich um meine Stühle handelt… und ich bin ja so froh, daß wir den sanften Terracottaton für die Bezüge genommen haben. Das sieht ja so edel aus… danke, tausend Dank, Arno«, rief sie und fiel ihm um den Hals.
Er war ganz verlegen, aber es war ihm auch anzusehen, wie sehr er sich über das Lob freute.
Bettina hatte zwangsläufig mehr mit Toni und Leni zu tun, Arno war ohnehin jemand, der am liebsten still vor sich hin pünterte.
»Freut mich, daß es dir gefällt, ich find es auch gut… tja, ich arbeite jetzt am dritten Stuhl… dann würde ich gern erst mal die Kommode für das Appartement sechs herrichten. Die paßt dort eher hinein und ist auch größer. Die kleine Kommode können wir auf den oberen Flur stellen… und danach würde ich mir dann die anderen drei Stühle von dir vornehmen.«
»Arno, die Stühle haben keine Eile, ich eß doch meistens ohnehin bei euch, oder ich sitz in meiner Küche, da eß ich am liebsten. Und wenn jetzt der Holger mit den Kindern kommt, und vielleicht kommt ja auch meine Schwester, das glaub ich aber erst, wenn sie da ist. Die müssen mit den Stühlen vorlieb nehmen, die jetzt an meinem Eßzimmertisch stehen. Die sind doch auch schön.«
»Das will ich wohl meinen, und die werden noch schöner, wenn sie erst mal aufgearbeitet sind. Bettina, du hast so prachtvolle Möbel von deiner Familie geerbt. Antiquitätenhändler würden dir die Sachen aus den Händen