Bettina griff in die Erdnuß-Schale und holte eine Handvoll Nüsse heraus, schob sie in den Mund.
»Ich bestelle uns eine Kleinigkeit zu essen«, sagte Jan sofort. »Wie unverzeihlich von mir, nicht daran zu denken, daß du hungrig sein mußt.«
Sie hatte zwar nichts gegessen, aber sie war viel zu aufgeregt, um auch nur einen Bissen herunterzubringen. Sie fühlte sich wie zugeschnürt, aber sie entspannte sich ein wenig.
»Alles in Ordnung, Jan. Ich möchte wirklich nichts essen.« Dann brachte sie das Gespräch in eine andere Richtung. »Was sind deine nächsten Pläne?« wollte sie wissen. »Steht wieder eine größere Reise an?«
»Ja, am Donnerstag fliege ich nach Hongkong. Komm doch mit. Hongkong ist eine atemberaubende Stadt, und nachts am Südchinesischen Meer zu stehen und in den Sternenhimmel zu schauen, hat was.«
»Das klingt verlockend. Aber im Moment kann ich nicht verreisen.«
»Nicht mal für eine Woche? Das glaube ich nicht.«
»Es geht wirklich nicht, Jan. Meine Freundin Linde, die du ja bereits kennengelernt hast, kann jeden Tag ihre Kinder bekommen. Sie erwartet Zwillinge.«
»Schön für sie, aber was hast du damit zu tun? Sie hat doch einen Ehemann, und normalerweise sind werdende Väter bei der Geburt ihrer Kinder dabei.«
Sie nickte.
»Du hast recht, Jan. Normalerweise… Linde hat keinen Ehemann mehr…«
Dann erzählte sie ihm, auf welche Weise Linde die Liebe ihres Lebens verloren hatte, den Vater ihrer Kinder.
Jan war erschüttert.
»Das ist ja schrecklich«, sagte er. »Nein, da ist es klar, daß du bei deiner Freundin bleibst. Ach, weißt du, meine Schöne, wir werden noch viele gemeinsame Reisen machen, davon bin ich überzeugt.«
Bettina war sich dessen auf einmal nicht so sicher. Jan schwirrte in der Weltgeschichte herum, was sein Beruf als Journalist so mit sich brachte. Sie war ein bodenständiger Mensch, der keine Reisen brauchte, sondern am liebsten daheim war. Kein Platz auf der Welt konnte so schön sein wie ihr Fahrenbach-Hof und der See, besonders im Sommer, wenn man segeln oder hinausrudern konnte.
Andererseits wußte sie nicht viel über Jan. Vielleicht wollte er auch seßhaft werden? In seinem Beruf mußte er nicht arbeiten, er war nicht auf das Geldverdienen angewiesen. Jan war sehr, sehr reich, was für sie allerdings überhaupt keine Bedeutung hatte.
»Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…«
Auch das war eine Zeile aus den ›Stufen‹. Diesen Zauber hatte sie den ganzen Abend über gespürt. Aber jetzt war er dahin, die Magie verflogen.
Sie trank noch einen großen Schluck ihres Mojitos. Aber der schmeckte jetzt auch nicht mehr.
»Wir sollten für heute Schluß machen«, sagte Jan, der sie beobachtet hatte. »Morgen ist auch noch ein Tag.«
Dankbar nahm sie sein Angebot an. Jan winkte den Ober herbei, steckte im Hinausgehen einen größeren Geldbetrag in das Trinkgeldglas des Pianisten, das auf dem Flügel stand.
Dem Mann merkte man die Freude an. Also war er, wie vermutet, dringend auf das Geldverdienen angewiesen.
Jan hielt sie umfaßt, als sie zum Lift gingen.
»Welche Etage wohnst du?« erkundigte er sich.
»Fünfte…, fünfhundertelf…, direkt neben Isabella.«
Er drückte auf den Knopf, der sie zur fünften Etage bringen sollte.
»Ich wohne im vierten Stock, ich bringe dich zu deinem Zimmer.«
Während der Lift nach oben surrte, sprachen sie nicht miteinander. Bettina blickte beharrlich nach unten, nicht, weil sie nichts zu sagen hatte, sondern weil sie wußte, daß man, genauso wie in den Umkleidekabinen für Unterwäsche, in jedem Fahrstuhl gräßlich, fast krank aussah.
Der lange teppichbelegte Boden war menschenleer. Jan brachte sie zu ihrer Zimmertür, nahm sie in die Arme, küßte sie zärtlich.
Bettinas Herz begann stürmisch zu klopfen. Sie dachte fieberhaft darüber nach, wie sie sich verhalten sollte, wenn er jetzt mit in ihr Zimmer kommen wollte. Diese Gedanken ließen sie den Kuß nicht richtig genießen. Und sie waren so vergebens gewesen.
Er löste sich von ihr.
»Gute Nacht, meine Schöne, und hab’ schöne Träume. Sehen wir uns morgen beim Frühstück?«
Sie nickte.
»Fein, dann telefonieren wir miteinander.«
Er blieb stehen, wartete, bis sie mit zitternden Fingern die Chipkarte in den dafür vorgesehenen Schlitz schob. Erst als die Tür offen war, wandte er sich ab, nachdem er ihr noch einmal liebevoll durchs Haar gestrichen hatte, ein letzter zärtlicher Blick, ein kurzes Zögern, dann wandte er sich ab und ging.
Bettina sah ihm hinterher, überlegte, ob sie ihn zurückrufen sollte, dann ließ sie es bleiben und ging in ihr Zimmer.
Sie warf sich auf ihr Bett und starrte an die stuckverzierte Decke.
Sie war vollkommen durcheinander, aber mußte sie sich deswegen so kindisch benehmen? Warum hatte sie Jan nicht einfach noch hereingebeten. Sie hätten sich unterhalten, vielleicht auch küssen können. Sie hätten nicht unbedingt miteinander ins Bett gehen müssen. Und wenn doch? Was hätte das ausgemacht? Er war ohne Partnerin, sie war ohne Partner, sie waren freie Menschen und konnten tun und lassen, was sie wollten. An der Moral änderte sich nichts, ob sie heute oder erst in vier Wochen miteinander schliefen.
Aber was sollte das schon wieder? Wohin verirrten sich ihre Gedanken? Vom miteinander schlafen war doch gar keine Rede gewesen. Sie hatte nur so verquere Gedanken, weil sie spürte, daß Jan eine Rolle in ihrem Leben zu spielen begann, die über Freundschaft hinausging. Und sie war sich nicht sicher, ob sie das wollte, ob sie das konnte.
Mit einem Satz sprang sie hoch und begann sich auszuziehen.
»Bettina Fahrenbach, du hast einen Schuß«, murmelte sie. »Warte doch einfach ab, was sich entwickelt. Was kommen soll, kommt ohnehin.«
Sie lächelte.
Jan war ein so großartiger Mann, und er sah phantastisch aus, auch wenn das nicht unbedingt zählte. Und seine Küsse… Bettina schloß die Augen. Ja, seine Küsse hatte sie genossen und dabei nicht eine Sekunde lang an Thomas gedacht.
Aber jetzt dachte sie an ihn, als ihr Blick auf das eingeritzte T in ihrem Handgelenk fiel. Das würde sie sich irgendwann einmal wegmachen lassen.
Ihr Telefon klingelte, sie rannte hin und meldete sich atemlos. Das konnte nur Jan sein. Sie hatte sich nicht geirrt.
»Bettina, ich möchte nicht, daß du dir unnötige Gedanken machst. Alles ist gut wie es ist. Danke nochmals für den wunderschönen Abend. Ich denke an dich. Ich liebe dich und kann warten.«
»Jan, ich…«
Er ließ sie nicht ausreden.
»Du mußt jetzt nichts sagen, schlaf gut, meine Schöne. Bis morgen früh dann, ich kann es kaum erwarten, dich wiederzusehen.«
Er hatte aufgelegt, und sie blieb noch eine ganze Weile stehen, den Telefonhörer in der Hand.
»Er war es wert, allemal.« Bettina wünschte sich von ganzem Herzen, daß sie auch einmal ganz ehrlich zu ihm sagen konnte: »Jan, ich liebe dich…«
Sie hängte ihr Kleid weg, stellte die Schuhe ordentlich beiseite, dann ging sie ins Badezimmer, um sich für die Nacht fertig zu machen.
Während sie ihre Zähne putzte, dachte sie an Jan, in dessen Nähe sie sich so unbeschreiblich wohlgefühlt hatte.
*
Ausgesprochen gutgelaunt kam Bettina