Der Landdoktor Staffel 1 – Arztroman. Christine von Bergen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine von Bergen
Издательство: Bookwire
Серия: Der Landdoktor Staffel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959796675
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Und wie mit einem Bruder fühlte sie sich auch mit ihm verbunden.

      Nun hatte sie das mit bunten Blumen bepflanzte Rondell erreicht. Als sie ausstieg, kam ihr Vetter aus dem Hoteleingang auf sie zu gelaufen. Er musste bereits auf sie gewartet haben.

      Wie meistens in der letzten Zeit sah er blass aus. Nein, vielmehr kreidebleich, wie sie beim näheren Hinsehen erschrocken feststellte.

      »Was ist passiert?«, fragte sie, als sie sich gegenüberstanden.

      Es musste etwas geschehen sein, und zwar nichts Erfreuliches. Das verriet seine versteinerte Miene.

      »Komm mit rüber«, sagte er nur mit belegter Stimme und führte sie am Ellenbogen zu seinem Wohnhaus.

      Sie kannte ihn. Es lag ihm nicht, sein Innerstes nach außen zu kehren, Gefühle und Empfindungen in Worte zu fassen. Lieber schwieg er. Doch nachdem sie die Diele betreten hatten, brach es wie eine Fontäne aus ihm heraus.

      »Britta ist weg. Sie hat mich verlassen. Vor ein paar Minuten. Sie muss alles lange vorher geplant haben. Eine notarielle Vereinbarung hat sie mir vorgelegt, die ich unterschreiben soll. Sie verzichtet auf jegliches Geld und auf das Sorgerecht für Kim und Tim, wenn ich in eine schnelle Scheidung einwillige.« Er griff sich an die Stirn, mit zitternder Hand. »Ich komme mir vor, als wäre ich gerade von einem Schnellzug überrollt worden. Sie hat einfach ihren Koffer genommen und ist gefahren. Zu ihrem Neuen. Einem Schweizer, einem reichen Kunstexperten, zwanzig Jahre älter, der sie heiraten will. Sie liebt ihn, sagt sie. Sie wäre verrückt nach ihm. Er würde ihr das Leben bieten, das sie immer hätte führen wollen.«

      Endlich hielt er inne. Seine Schultern sackten herab. Alle noch vorhandene Kraft schien mit einem Seufzer aus ihm herauszufließen.

      Amelie schluckte, strich sich eine Strähne aus der Stirn, sah sich in der großzügig gestalteten Diele mit den alten Bauernmöbeln orientierungslos um. Draußen zwitscherten die Vögel, so munter, als wollten sie sich über den gehörnten Jonas lustig machen. In diese fröhliche Melodie hinein schrillte ein paar Atemzüge später das Handy ihres Vetters. Gleichzeitig mit ihm zuckte sie zusammen wie unter einem Peitschenhieb.

      »Britta …«, stieß Jonas hervor. Hoffnung sprach aus seinem Blick.

      Die Zwillinge, schoss Amelie durch den Kopf.

      Doch es war der Küchenchef.

      »Ich muss rüber zum Hotel«, sagte ihr Vetter, als würde er gerade aus einem Albtraum aufwachen.

      Sie hielt ihn an beiden Armen fest. »Soll ich?«

      Verneinend schüttelte er den Kopf. »Kümmere dich bitte um Kim und Tim. Britta wird sie ganz bestimmt nicht vom Kindergarten abgeholt haben.«

      Diesen Satz spuckte er aus wie Galle, bevor er aus dem Haus stürmte.

      So machte sich Amelie an diesem Vormittag noch einmal auf den Weg nach Ruhweiler, wo Kim und Tim in den Kindergarten gingen. Um Zeit zu sparen, nahm sie die Abkürzung. Einen landwirtschaftlichen Weg, der über die Trollenschlucht führte.

      Auf dem Hang, auf dessen höchstem Punkt das Hotel lag, blickten ein paar Bauernhöfe hinunter ins Tal. Überall, wohin man sah, erstreckten sich blühende Wiesen und bewaldete Höhen. Eine liebliche anmutige Landschaft, die Amelie jedoch gar nicht bewusst wahrnahm. Ihre Gedanken kreisten sorgenvoll um Jonas, Britta und die Kinder.

      Als sie in den hohen Fichtenwald eintauchte, verdunkelte sich die Welt. Passend zu ihrer Stimmung. Sie begann zu frösteln und war froh, nach ein paar hundert Metern in der Ferne wieder Helligkeit zu sehen. Hinter dem Waldstück traf sie auf eine Straße, die über die Trollenschlucht führte.

      Amelie stutzte, als sie die Straßensperre vor sich sah. Ein Mann in einer gelben Warnweste zwang sie mit einer Kelle zum Anhalten. Langsam ließ sie ihren Wagen ausrollen.

      »Brückenbauarbeiten«, informierte sie der Grauhaarige. »Hier geht’s zurzeit nur einspurig drüber.«

      Da kamen ihr aus der Gegenrichtung auch schon zwei Autos entgegen. Sie wartete.

      Da sah sie ihn, den sympathischen Mann, der sich auf dem Praxisparkplatz in ihre frei gewordene Lücke gesetzt hatte. Er trug einen Schutzhelm auf dem Kopf, ein kariertes Hemd, Jeans und gab den Arbeitern Anweisungen. Bis jetzt hatte er sie noch nicht entdeckt.

      Falls er sich überhaupt an meinen Wagen oder mein Gesicht erinnern sollte, gab sie dem aufkommenden Gefühl von freudiger Überraschung einen Dämpfer.

      »Sie können weiter«, rief ihr nun der Mann mit der Kelle zu.

      Langsam fuhr sie an. Unweigerlich musste sie an den Brückenbauarbeitern vorbei. Und das im Schritttempo, da die Fahrbahn aufgerissen war.

      Als hätte der Fremde ihre Nähe gespürt, drehte er sich jetzt um. Sie entdeckte ein erkennendes Aufleuchten in seinen Zügen. Er stand nur zwei Schritte von ihrem Wagen entfernt. Durch das geöffnete Wagenfenster hätte sie ihn mit der Hand berühren können. Sie hielt an. Sie konnte gar nicht anders.

      »Da sind Sie ja wieder«, rief er mit diesem Lächeln, das sie aufs Neue in seinen Bann zog, gegen die ratternden Maschinen an.

      »Ich wusste gar nicht, dass hier gebaut wird«, entgegnete sie erstaunt mit erhobener Stimme, damit er sie verstand.

      »Nur noch ungefähr eine Woche lang, dann ist die Brücke wieder in Ordnung.«

      Sie nickte. Was sollte sie auch sagen? Blitzartig wurde ihr klar, was er in der Gegend machte. Er gehörte zu der Firma, die die Brückenbauarbeiten durchführte. Was bedeutete, dass er in einer Woche wahrscheinlich gar nicht mehr hier sein würde. Bei diesem Gedanken beschlich sie ein Gefühl von Bedauern. Das Gefühl, gerade an etwas Schönem, Unwiderbringlichem vorbeizufahren.

      Die Kinder, machte sie sich bewusst.

      Sie hob die Hand zum Abschied und ließ den Wagen anrollen.

      »Beim dritten Mal gebe ich Einen aus«, rief er ihr nach.

      Sie winkte aus dem Fenster.

      Wahrscheinlich wird es kein drittes Mal mehr geben, dachte sie mit klopfendem Herzen.

      Als Amelie mit den Zwillingen Kim und Tim auf dem Nachhauseweg war, überstürzten sich ihre Gedanken.

      Britta war stets viel unterwegs gewesen, doch jetzt würde sie überhaupt nicht mehr wiederkommen. Wie würden die beiden darauf reagieren? Noch plapperten sie munter und fröhlich hinter ihr auf den Kindersitzen, ohne zu ahnen, dass fortan nichts mehr so sein würde, wie es gewesen war.

      Zwischen diesen Überlegungen sah sie immer wieder das Gesicht des Mannes von der Trollenschluchtbrücke im Geiste vor sich. Diese dunklen, lebendig blitzenden Augen, den Mund, der so anziehend lächelte und der bestimmt sehr gut küssen konnte.

      Diese Tagträume erfuhren jedoch ein jähes Ende, als sie mit den Zwillingen nach Hause kam.

      Wie so oft im Leben, hatte sich zu dem einen Unglück auch sogleich noch ein zweites gesellt.

      Als sie das Essen für Kim und Tim zubereitete, teilte ihr Jonas am Telefon mit, dass der Küchenchef sich so schwer an der Hand verletzt hatte, dass er für die nächste Woche ausfiel. Ihr Vetter, ein gelernter Koch, musste sich nun neben der Leitung des Hotels auch noch um dessen Aufgabenbereich kümmern. Diese zusätzliche Arbeit mochte Jonas zwar zunächst von seinen privaten Problemen ablenken, würde jedoch noch mehr an seiner ohnehin schon angeschlagenen Gesundheit nagen.

      Amelie wurde das Herz so schwer, dass sie das Mittagessen für sich ausfallen ließ. Ihr war der Appetit gründlich vergangen. Und an den Mann von der Brücke dachte sie auch nicht mehr.

      In den nächsten Tagen ließ sich Jonas bei den Mahlzeiten mit seinen Kindern nicht mehr blicken. Nach getaner Arbeit zog er sich in sein Büro im Hotel zurück, wo er auch übernachtete. Das eheliche Schlafzimmer betrat er nur noch zum Umziehen. Nur im Umgang mit den Gästen und dem Personal zeigte er noch einen Anflug seines Charmes, der die Menschen für ihn einnahm.

      Amelie kümmerte sich nicht nur um den Haushalt