»Hallöchen Beddi, Särvus Maria, hast du mal a Häppsch’n Leberkäse für misch? Isch nehm dann mol so Fünfz’sch Gramm, nä«, plapperte die schöne Mandy gleich drauflos und machte damit ihren Auftritt auf der »Showbühne«, zu der sich alles automatisch zu verwandeln schien, wo immer sie auch auftauchte, sofort wieder kaputt.
Die Unterfilzbacher Frauen waren allesamt durchweg genervt von Mandy. Sie war so was wie eine »sächsische Rampensau« mit knackigem Po, faltenfreier Haut und vermutlich Silikonbrüsten, aber ohne Rampe. Denn auf eine richtige Bühne hatte man die schöne Mandy bisher noch nicht gelassen, obwohl sie nichts unversucht ließ. Im Unterfilzbacher Bauerntheater war sie bereits bei der telefonischen Vorstellung durch das »Casting« gefallen. Der Stadler Severin, seines Zeichens Chef und Spielleiter der Laientheatergruppe in Unterfilzbach, wollte ihr noch nicht mal die Rolle einer klassischen »Sommerfrischlerin« geben und als zweite Souffleuse wollte Mandy nicht einspringen. Gott sei Dank hatte der Severin mit ihr nur telefoniert und keinen persönlichen Termin ausgemacht. Denn ob der Stadler mit seinen fast achtzig Jahren seine Hormone bei Mandys Anblick unter Kontrolle gehabt hätte? Man weiß es nicht genau.
Die gesamte Männerwelt war jedenfalls hin und weg von Mandy, aber eher nur auf den ersten Blick, bei den meisten hatte sich dann beim ersten oder zweiten Hören wieder vieles erledigt, hormonell-sympathisch gesehen. Einen neuen Mann an ihrer Seite hatte die Sächsin deshalb immer noch nicht gefunden. Dafür fand sie eine Stelle bei der Firma Beton Schmal als Bauleiterin. Natürlich war auch Harald Schmal gleich begeistert von Mandy beziehungsweise von ihrer Erscheinung und zack, schon war sie eingestellt. Da die Baubranche im Moment gerade florierte, fand man so gut wie keine Arbeitskräfte auf dem Gebiet. Sowohl Handwerker als auch Bauleiter, es gab so gut wie keine Bewerber. Mandy hatte zwar keinerlei Ausbildung für diese Branche, aber Harald Schmal traf diese Entscheidung wohl nicht unbedingt wegen ihrer fachlichen Kompetenz. Reden konnte sie und so dachte Harry, das reichte einmal für den Anfang. Dementsprechend wuselte Mandy seitdem auf den Baustellen und auf Besprechungen umher und machte sich überall mordswichtig. Sie betrachtete diese Stelle aber eigentlich sowieso nur als Zwischenstation zu ihrer kurz bevorstehenden Karriere. Die zugezogene Unterfilzbacherin war fest davon überzeugt, dass die Welt neben einer Daniela Katzenberger auch eine Mandy Honegger bräuchte. Das selbst ernannte It-Girl glaubte sehr an sich. Eine eigene Talkshow oder zumindest eine Reality-Show im viel gesehenen Privatfernsehen war ihr großes angestrebtes Ziel. Mindestens aber eine Teilnahme bei einer Sänger-Casting-Show.
Nachdem Mandy ihren Leberkäs eingepackt hatte, stolzierte sie wieder aus der Metzgerei Aschenbrenner hinaus. »Alsö särvus ihr zwee Süß’n!«, trällerte sie noch im Hinausgehen. Wiederum powackelnd.
Der sächsische Dialekt war das eine, es konnte aber tatsächlich noch schlimmer kommen. Zum Beispiel, wenn man als Hardcore-Sächsin versuchte, Bayerisch zu reden. Ganz grausam!
Nachdem sich die Schiebetür hinter Mandy geschlossen hatte, schauten sich Maria und Bettina kurz schweigend an und brachen dann in lautes Gelächter aus.
Zu Hause beim Abendessen erzählte Bettina dann vom Auftritt der Sächsin in der Metzgerei und ließ dabei durchblicken, dass sie das Fräulein Honegger nicht unbedingt zum Kaffee einladen würde. Die restlichen weiblichen Scharnagls stimmten ihrer Mutter zu. Der kleine und der große Hansi jedoch konnten das so gar nicht verstehen. Hansi junior sei diese Sachsen-Sympathie verziehen, schließlich war er neunzehn Jahre alt. Das war eigentlich klar, dass man in dieser Lebensphase die Kontrolle über seine Hormone total verlor, wenn man einen wackelnden Po sah. Das konnte wohl auch kein bayerisches Sächsisch verhindern.
Aber Hansi senior war eigentlich schon erwachsen und müsste seine »alternden« Hormone unter Kontrolle haben. Trotz allem war er aber wohl doch nur ein Mann, da machte das manchmal keinen Unterschied, ob es ein 19-jähriger oder ein 46-jähriger war. Er erklärte, Mandy habe in seinen Augen eine sehr beeindruckende Persönlichkeit und sei durchaus sehr intelligent. Bettina fiel fast vom Stuhl, als sie Hansis Rede über die Schmal-Bauleiterin hörte. Außerdem sei Mandy auch auf einem Listenplatz zur Gemeinderatswahl bei den UFOs, erzählte ihr Mann so ganz nebenbei. Hansi würde künftig sicher gut mit ihr »zusammenarbeiten« und er freue sich schon darauf.
Den restlichen Abend sprach das Ehepaar Scharnagl kein Wort mehr miteinander.
Der neue Anbau an die nun umbenannte Seniorenresidenz wuchs und wuchs. Für den gelernten Maurer und Vollbluthandwerker Johann Scharnagl war das aber eigentlich viel zu flott, denn eine schnelle Bauweise war nicht unbedingt ein Qualitätsmerkmal für ein Gebäude. Der Geschäftsführer der Pflege GmbH Betreiberholding der künftigen Seniorenresidenz, Korbinian Glashauser, platzte fast vor Stolz, als er dem Bauausschuss der Gemeinde Unterfilzbach und den zuständigen Herrschaften aus dem örtlichen Bauamt die Baustelle präsentierte. Er lobte die Firma Beton Schmal mit Chef Harald Schmal über den »Schell’nkönig«.
Hansi war dazu auch eingeladen, weil Wiggerl sich krankgemeldet hatte. Entweder er hatte sich wieder mal eine »Männergrippe« eingefangen oder er war immer noch bockig wegen der Vogelhäuschen-Affäre, die für viel Gelächter und Spott im Dorf gesorgt hatte. Wiggerl war nämlich ziemlich wehleidig und noch mehr nachtragend.
Hansis Kollegen hatten dann beschlossen, er solle den Bauhofkapo vertreten. Für Hansi war das von vornherein klar gewesen – wer sonst, wenn nicht er, der voraussichtlich zukünftige Gemeinderat und Volksheld von Unterfilzbach? Und da er künftig die Geschicke Unterfilzbachs im neuen Gemeinderat mitbestimmen sollte, war es nur selbstverständlich, dass er auch über alles informiert sein musste, was im Ort so passierte. Die Kommunalwahl war zwar erst in zwei Monaten, aber Hansi ging fest davon aus, dass er sehr viele Stimmen bekommen würde. Seine ganz eigene gefühlte Noblesse wuchs so schnell wie der Bau der Residenz. Außerdem nahm er gerne Termine mit der Firma Beton Schmal wahr, denn die heiße Mandy war sicher auch dabei. Hansi bekam immer ziemlich große Augen, wenn er die blonde Sexbombe sah. Er hatte diese Tatsache zwar bei der gestrigen Diskussion mit Bettina abgestritten, aber insgeheim musste er sich schon eingestehen, dass seine Hormone Tango tanzten, sobald das Fräulein Honegger auftauchte.
Harald Schmal samt Mandy fuhren mit bullerndem Motor in einem weißen Porsche 718 Cayman S in das Baustellengelände ein, dass der Schneematsch nur so spritzte. Wie üblich kam die Geschäftsführung der Fa. Beton Schmal zu spät.
Mit pelzbesetzten, hochhackigen, schwarzen Wildleder-Stiletto-Stiefelchen entstieg Mandy dem nun mit Baustellendreck und Matsch bedeckten, inzwischen grau melierten Porsche. Es wirkte irgendwie, als wenn die Queen von England auf einem Staatsbesuch erwartet werden würde. Ein königlicher Handkuss hätte noch gefehlt. Mandy stand nun mit ihren hochhackigen Designer-Stiefelchen inmitten tiefem Baustellendreck und sah höchst unglücklich aus. Schnell wie der Blitz eilte ihr sofort Xaver Berger zu Hilfe und führte sie auf trockenes, festes Gelände. Am liebsten hätte sich Xaverl die Mandy wohl über die Schulter geschwungen, um sie über die ganze Baustelle zu tragen, dachte sich Hansi, während er dieses Geschehen mit ein klein wenig Argwohn beobachtete.
Xaver Berger, von allen Xaverl genannt, war als Bauhelfer bei der Firma Schmal angestellt. Er war noch nicht mal dreißig Jahre alt, aber wirkte eher wie ein Mann im gesetzten Alter. Man musste schon genau hinschauen, um zu erkennen, dass er eigentlich noch fast jugendlich war. Vielleicht lag es daran, dass Xaverl bei seinen Großeltern aufgewachsen war. Sein Vater war unbekannt und seine Mutter hatte ihn bereits als Kleinkind für einen anderen Mann verlassen und wohnte nun irgendwo im Rheinland. Xaverl hatte es im Leben bisher nicht so leicht gehabt. Oma und Opa Berger bewirtschafteten einen sehr kleinen und relativ unfortschrittlichen Bauernhof am Rande von Unterfilzbach. Dort war alles noch auf dem Stand von 1960, Plumpsklo inklusive. Xaverl war eher dem bildungsfernen Milieu zuzuordnen, konnte man sagen. Vielleicht wäre er gar nicht dumm gewesen, wer weiß das schon, aber das Leben hatte wohl andere Wege für ihn vorgesehen und er hatte die Hauptschule schon in der achten Klasse abgebrochen. Seither arbeitete er bei der Firma Schmal. Annis Vater hatte ihn nach seinem Schulabbruch eingestellt und es mit dem Jungen gut gemeint. Nachdem er mehr oder weniger ein bisserl ausgebeutet wurde, als er sich mit Aushilfsjobs bei der Metzgerei Aschenbrenner im Schlachthof und beim Dorfwirt in der Spülküche durchschlug, hatte ihm Annis Vater eine