Die Kosten dafür waren natürlich dementsprechend hoch. Das konnten sich jetzt nicht unbedingt die ganz normalen Durchschnittsrentner leisten. Aus dem Bauhof kam die Information, dass Harald Schmal den Bau als Bauträger abwickelte und anschließend an die Gemeinde Unterfilzbach vermieten würde. Der private Betreiber des Altenheims mietete dann das Gebäude wiederum von der Gemeinde Unterfilzbach.
Also man konnte Sachen auch kompliziert machen, fand Bettina. Aber wahrscheinlich war das wieder ein ausgefuchstes Steuersparmodell oder ein geschickt aufgestellter rechtlich verzwickter Vertrag, damit niemand in der Verantwortung und vor allem in der Haftung stehen könnte, falls irgendetwas Unschönes passieren würde, was auch immer.
Berta schien das offensichtlich alles für keine gute Idee zu halten. »Wenn ich Bürgermeisterin wäre, dann würde ich da aber mal ganz genau hinschauen. So was muss alles seine Ordnung haben. Ganz ohne krumme Geschäfte und Hinterfotzigkeiten solcher Betrüger. Ich würd ihnen schon reinhelfen in d’Schuh, der ganzen Bagage.«
Berta versuchte schon seit Jahren, auch politisch aktiv zu werden. Bürgermeisterin wäre absolut ihr Traumberuf, das erzählte sie jedem, ob er es hören wollte oder nicht. Mit ihrer Berufserfahrung als langjährige Bürgermeistersekretärin, ihrem Verhandlungsgeschick, ihrem Einfühlungsvermögen, ihrer totalen Empathie für andere Menschen und ihrem sozialen Engagement war sie geradezu prädestiniert für diesen Job – fand Berta selbst. Allerdings wollte keine Partei oder Gruppierung sie als Spitzenkandidatin haben. Für den Gemeinderat hatte sie gnädigerweise ihr Neffe Roman Groß, der Ortsvorsitzende der Katholischen Union der Konservativen, kurz KUK, bei den letzten beiden Wahlnominierungen immerhin auf den letzten Listenplatz gesetzt. Vielleicht aus Mitleid. Wahrscheinlicher aber, weil er auf das Erbe der ledigen, kinderlosen Berta hoffte. Obwohl die KUK in ganz Bayern eine politische Großmacht war, hatte es Berta bisher nicht in das Gemeindegremium von Unterfilzbach geschafft. Einmal wäre sie fast die siebte Nachrückerin in einer Legislaturperiode gewesen, aber dann war der Weiderer Erwin doch wieder aus dem Koma aufgewacht und zwei Monate später waren dann sowieso Neuwahlen.
Aber hartnäckig war sie schon, die Berta, das musste man ihr lassen. Auch dieses Mal hatte sie sich wieder für eine Kandidatur als Bürgermeisterin bei der KUK beworben. Sie hatte wohl irgendwie ausgeblendet, dass der Amtsinhaber Matthias Brunner, der schon seit zwölf Jahren fest im Bürgermeistersessel saß, gar nicht daran dachte aufzuhören, und dass sie die letzten beiden Male ja auch als Kandidatin von den Stimmberechtigten der Partei deutlich abgelehnt wurde. Mit Flyern, Postern, Roll-ups und einer umfangreichen Power-Point-Präsentation kam sie zur Nominierungsversammlung des KUK-Ortsverbandes beim Dorfwirt.
Berta stand mit ihrem Anliegen nicht mal auf der Tagesordnung. Diesmal wurde sie aber nicht abgelehnt, weil sie keiner als Kandidatin haben wollte, sondern weil sie für das Bürgermeisteramt in Bayern mit ihren neunundsechzig Jahren schon zu alt war. Die KUK-Ortsmitglieder waren heilfroh, dass sie endlich ein nicht zu diskutierendes Argument für die Ablehnung hatten. Berta sah das auch recht schnell ein und betrachtete das Ganze als Teilsieg. Den üblichen letzten Listenplatz für den Gemeinderat hatte sie dann jedoch gleich ohne größere Wortgefechte bekommen. Berta fühlte sich politisch obenauf.
»Ja, Berta, ich find auch, dass vielleicht mal ein frischer Wind bei uns im Rathaus wehen könnte. Vielleicht wären mal ein paar neue Ideen gar nicht schlecht. Aber dieses Mal wird ja der Bürgermeisterwahlkampf vielleicht doch endlich einmal spannend. Zumindest hat der Brunner diesmal einen Gegenkandidaten. So was kann ja nicht schaden. Sonst sind sich die Amtsinhaber immer so sicher«, tat Bettina ihre politische Meinung kund, was sie augenblicklich wieder bereute.
»BETTINA! Du glaubst doch nicht wirklich ernsthaft, dass dieser dahergelaufene Öko-Bauer ein g’scheider Bürgermeister wär? Ich bin fassungslos, Bettina Scharnagl.« Berta war total geschockt.
Zum ersten Mal nach zwei Legislaturperioden im Amt musste sich nun der Erste Bürgermeister von Unterfilzbach, Matthias Brunner, tatsächlich einem Kontrahenten stellen. Es wagte doch wirklich jemand, sich als Gegenkandidat nominieren zu lassen. Seit es Kommunalwahlen im Nachkriegs-Unterfilzbach gab, gehörten die bis dato gewählten Bürgermeister immer der KUK an, das war fast wie ein Naturgesetz. Es gab zwar schon ab und zu mal eine halbherzige Gegenkandidatur, aber das waren dann eher alteingesessene Sozis, die sowieso keine Chance hatten und dies auch von vornherein wussten.
Matthias Brunner hielt das offizielle Nominierungsschreiben der NaturPur-Partei, das der wagemutige Herausforderer Florian Ganserer auch noch persönlich im Rathaus abgab, erst einmal für einen Witz. Er war es gar nicht gewöhnt »wahlzukämpfen«.
Die beiden politischen Gegner sowie auch das Wahlprogramm, für das sie jeweils eintraten, konnten unterschiedlicher nicht sein. Da war auf der einen Seite der 54-jährige Matthias Brunner, katholisch verheiratet, drei Kinder. Ein ehemaliger Hauptschullehrer an der Unterfilzbacher Schule und seit seiner Jugend Mitglied in der KUK. Seit zwölf Jahren war er nun schon Bürgermeister der 3.000-Einwohner-Gemeinde Unterfilzbach. Eine Art Denkmal, das sich die Bürgermeister üblicherweise setzten, suchte man bisher vergebens. Keine Schulrenovierung, kein neues Hallenbad oder sonstiges. Das Feuerwehrhaus sei ziemlich marode, stellte er bei einer Generalversammlung einmal fest, nachdem ihn mehrere Feuerwehrleute deutlich darauf hingewiesen hatten. Jedoch müsste er dieses Projekt dann auch einmal anpacken. Von selbst renovierte sich das nicht. Sepp, der 1. Kommandant der Unterfilzbacher Feuerwehr, war schon auf hundertachtzig deswegen, aber irgendeine Ausrede hatte der Bürgermeister bisher immer gefunden, um das Thema zu umgehen.
Die momentane Großbaustelle war irgendwie auch nicht unbedingt Brunners Leistung, denn die Gemeinde mietete lediglich das fertige Gebäude und vermietete dieses dann für bereits vertraglich festgelegte fünfundzwanzig Jahre weiter. Und diese ganze Altenheimangelegenheit hatten Harald Schmal und der KUK-Orts- und Fraktionsvorsitzende Roman Groß eingefädelt, also auch wieder nicht Brunner selbst.
Wenn man mal genauer hinschaute, konnte man sowieso meinen, Roman Groß sei der Strippenzieher der Kommunalpolitik in Unterfilzbach. Die graue Eminenz quasi. Dafür ging Matthias Brunner auf jeden runden Geburtstag und jede goldene Hochzeit. So was brachte auch Wählerstimmen. Außerdem gab es noch die Sache mit der Vereinsmeierei. Denn der wirkliche Wahlkampf am Land wurde in den Vereinen und am Stammtisch geführt. Da musste man »sich sehen lassen« oder man engagierte sich eben in ein paar Vereinen. Idealerweise in der Vorstandschaft. Zweiter Vorstand oder Ausschussmitglied waren da recht begehrte Posten, die waren nämlich nicht wirklich arbeitsintensiv und man war trotzdem wichtig. So was war immer gut. Manche Dorfbewohner waren Vereinsmitglied, weil sie es gut fanden, bei der Feuerwehr, beim Roten Kreuz oder auch beim Schnupferverein zu sein und den jeweiligen Vereinszweck zu erfüllen. Also die meisten löschten, retteten oder schnupften aus Leidenschaft, konnte man sagen.
Es gab aber eben auch manchmal andere Gründe für solche Mitgliedschaften. Matthias Brunner war in fast allen zweiunddreißig Vereinen, die in Unterfilzbach registriert waren, mit Ausnahme des Frauenbundes und des Müttervereins. Der Bürgermeister hatte sogar bei beiden Vereinen angefragt, ob er nicht auch dort zumindest passives Mitglied werden könnte, aber dies war in den Vereinsstatuten nur Frauen beziehungsweise eben Müttern vorbehalten. Da gab er dann auf. Brunners Wahlprogramm war ansonsten bisher noch recht überschaubar. Eigentlich konnte man es in einem Satz zusammenfassen: Es sollte alles so bleiben, wie es war!
Da hatte sich sein Rivale schon ein wenig mehr Mühe gemacht. So skurril seine Ideen auch waren, es waren ein oder zwei Ansätze dabei, die fanden die Unterfilzbacher tatsächlich gar nicht mal so schlecht. Ganserer war studierter Ingenieur für erneuerbare Energien und hatte ein wirklich ausgeklügeltes Konzept für eine fast unabhängige Energieversorgung Unterfilzbachs entwickelt. Mit einem Mix aus der sowieso schon bestehenden Biogasanlage, kleinen Wasserkraftwerken – rings um Unterfilzbach waren eine Reihe von leicht zugänglichen Wasserfällen –, Solarenergie und einer Erdwärmepumpe wäre das Dorf zwar nicht unabhängig, aber könnte mehr als fünfzig Prozent seines Bedarfes mit eigenen Energiequellen decken. Die benötigte Finanzierung würde größtenteils aus großen Fördertöpfen fließen, die Ganserer aus seiner früheren beruflichen Tätigkeit bei einem großen