Katharina nickte versonnen, das Gesicht ihrer ältesten Tochter zugewandt, die Augen starrten an Elsa vorbei. Elsa wusste nicht, was sie weiter erzählen könnte und kam auf den eigentlichen Grund ihres Besuches. „Soso, einen Stein brauchst du“, murmelte ihre Mutter, nachdem Elsa mit ihren Anliegen herausgerückt war. „Einen Stein, der dich vor dem Beelzebub schützt?“ Elsa beobachtete, wie ihre Mutter einen Wimpernschlag lang die linke Augenbraue interessiert hochzog. Dann erhob sie sich von ihrem Schemel. Zielsicher ging sie in der engen Kammer hinüber zur Regalwand, wo in kleinen Körben jene Steine ruhten, die sie mit Sprüchen und Weihwasser zu dem machte, weswegen die Leute herkamen, um sie zu kaufen. Kraftsteine.
„Er ist wie ein Lebewesen, Els, behandle ihn gut.“
Elsa wartete, bis sich ihre Mutter wieder auf den Schemel gesetzt hatte. Katharina öffnete die Faust und auf dem fingerlosen, verschlissenen Handschuh glänzte weiß und hell ein etwa daumennagelgroßer Stein. Ein Bergmann brachte ihr den Bergkristall aus dem Zittauer Gebirge mit. „Es ist ein besonders schönes Stück.“ Elsa erkannte, was ihre Mutter meinte, und beobachtete, wie Katharinas Fingerspitzen die Kanten und kegelartigen Erhebungen der Herzform umrundeten.
„Es gibt keinen Stein, der dich vor dem Beelzebub bewahrt, das kann nur dein Glaube und dein tugendhaftes Leben“, sagte Katharina rau. „Dummkopf, der etwas anderes behauptet. Dieser Stein bestärkt dich in deinem Glauben, schützt deinen Leib und deine Seele vor dem Schlechten. Knüpfe ihn um ein Band, geflochten aus dem Haar einer reinen Seele – Anneruth!“
„Sie ist nicht hier, Mutter.“
Die Frau, die wohl vergessen hatte, dass die beiden Jüngsten Erledigungen nachgingen, nickte knapp. „Du kannst auch dein eigenes Haar nehmen. Trotz der Farbe. Trage den Stein über dem Herzen.“
Elsa nickte gehorsam: „Und das schützt mich vor dem Teufel?“ Und wenn es Andres Hinterthur war, so war er vom Leibhaftigen besessen und deshalb geächtet!
„Der Teufel!“, stieß Katharina aus und für einen Sekundenbruchteil verschwand ihr Lächeln vom Gesicht. Dann sagte sie mild. „Wenn der Teufel in Gestalt eines Menschen unter uns weilt, kann dich keine Macht vor ihm beschützen, wenn er etwas Schlechtes mit dir vorhat und dich zu seinem Werkzeug macht. Dann wird es so geschehen.“ Sie bekreuzigte sich und erhob sich abermals mit knackenden Knien und kaum vernehmbarem Ächzen. „Hier, nimm der Reinhildin etwas vom Mädesüß mit, weil sie immer unter diesem Kopf leidet.“ Elsa musste aufbrechen. Sie hatte viel zu lange verweilt.
Die Tür flog auf und herein wirbelte Siegtraut – „Am Frauentor, da …“ – in dem Moment, als Katharina ein kleines Säckchen mit dem süß-herb duftenden Kraut in Elsas Hand legte. „Was machst du denn hier?“, zog sie die Augenbrauen hoch, während sie mit dem Hinterteil die Tür zustieß.
Elsa erhob sich. „Es ist Zeit zu gehen, Mutter, auf bald.“
„Was ist am Frauentor?“, begehrte Katharina zu erfahren.
„Hat sie wieder was geholt, ohne zu zahlen?“, wich Siegtraut der Frage der Mutter aus und spitzte auf das Säckchen in Elsas Hand, wobei sie die Arme vor der Brust verschränkte.
„Sie gibt mehr, als uns zusteht“, sagte die Mutter und Elsa war froh, dass sie den kleinen Bergkristall längst verwahrt hatte.
„Wo kommst du so spät her? Es wird bald dunkel draußen!“ Elsa wusste, es ging sie nichts an. Sie war nicht Siegtrauts Vormund. Das Verhältnis zwischen ihr und ihrer Schwester war verseucht von Neid seit dem Tage, da Elsa eine Anstellung bei der Reinhildin gefunden hatte und Siegtraut mit sechzehn Jahren immer noch ohne Auskommen war.
Siegtraut löste ihre provokante Haltung. „Sprich aus, was du denkst.“ Ihre Augenbrauen zuckten angriffslustig.
„Hast du gebettelt?“
„Was denkst du denn? Zuerst habe ich gebettelt, dann habe ich mir von einem Reichen was zum Essen kaufen lassen und danach hab ich mich in sein Bett gel …“
„Das reicht“, schoss Katharina einen Pfeil zwischen die beiden Zankziegen. „Bei meinem Augendunkel! Vertragt euch.“ Die Mädchen schwiegen betroffen.
„Niemand unterstellt dir so etwas“, beschied Elsa ihrer Schwester. Sie schämte sich für Siegtrauts ungezügelte Niedertracht und schämte sich gleichzeitig für ihren eigenen Hochmut, der sich in solchen Momenten in ihrem Herzen breitmachte.
„Andres Hinterthur wird immer noch ausgerufen“, sagte Siegtraut jetzt in ruhigerem Ton.
Katharina Mälzer nickte. Und dann geschah, was selten der Fall war, dass Elsa das Gefühl hatte, ihre Mutter schaue ihr direkt ins Herz und beschwor sie, sich in Acht zu nehmen.
„Er ist ein Ketzer“, zuckte Siegtraut mit den Achseln und legte ihren Umhang ab.
Das Nicken, das Katharina jetzt zeigte, war weder für die eine noch für die andere Tochter bestimmt. „Wir sind alle Ketzer“, sagte sie gedankenverloren. „Jeder von uns auf seine Weise. Wir legen, bequem und lasterhaft, wie wir sind, unsere Geschicke in Gottes Hände.“
„Meinst du den Hunger oder das Armenhaus?“, murrte Siegtraut.
„Danket dem Herrn“, murmelte die Mutter von ihrem Platz aus und ihre Finger falteten sich. „Danket dem Herrn und der Heiligen Jungfrau, dass Elsa ihre Stelle beim Brauer riskiert, um uns was zu essen zu bringen.“ Ein jugendliches Lächeln huschte über Katharina Mälzers Lippen in Elsas Richtung.
Elsa wandte sich ab und drängte sich an der wie ein Bollwerk stehenden Schwester vorbei. Sie würde nach den jüngeren Mädchen Ausschau halten, um sich wenigstens von ihnen zu verabschieden. Sie fand Anneruth und die siebenjährige Irmel beim Saubermachen der Jakobskapelle; einem Dienst, der ihnen dereinst gutgeschrieben würde. Die Mädchen ließen die Besen fallen, rannten vor Freude quiekend auf die Schwester zu und fielen ihr in die Arme. Den Dreien blieb nicht viel Zeit, die neuesten Neuigkeiten auszutauschen. Es war Elsas ganze Freude, machte ihr aber auch das Herz ganz schwer, den beiden Mädchen dabei zuzusehen, wie sie den Wecken teilten und verspeisten. Elsa wollte sich pfleglich führen, damit sie die Stellung bei Reinhilde nicht verlor und den Mädchen ab und an Zuckerzeug bringen konnte.
18
Und es scheint mir weder durch Vernunftsgründe,
noch durch Gründe der Schrift erwiesen zu sein,
dass sie außerhalb des Standes des Verdienstes,
noch der Vermehrung an Liebe seien.
Kaum war Elsa in die Neißgasse gebogen, sah sie von Weitem schon den Fichtenzweig draußen im Fass stecken. Stimmengewirr und gelegentliches Scheppern von Steinzeug war bis auf die Gasse zu hören. Elsa war auch auf dem Rückweg am Stadttor aufgehalten worden. Sie fürchtete sich vor Reinhildens Abreibung und Peternelles Schimpfen. Sie kalkulierte das Ausmaß ihrer Strafe. Peternelle würde den ganzen Abend nicht mit ihr sprechen. Warum auch? Sie hatte die Kiepe allein nach Hause wuchten müssen und jetzt, am Abend, den Ausschank zu versorgen: die großen Krüge und die kleineren Trinkgeschirre aus schwerem Waldenberger und Muskauer Steinzeug, dazu die Platten mit Brot und Zwiebeln. Elsa hatte noch nicht einmal die Betten der Herrschaften aufgeschüttelt. Die Reinhilde legte großen Wert darauf. Wegen des Ungeziefers. Elsa würde nicht unbemerkt am Tylike vorbei ins eheliche Gemach schlüpfen können.
Im Obergeschoss brannte Licht. Dort bewirtete der