Ketzerhaus. Ivonne Hübner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ivonne Hübner
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Религия: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783954628674
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gerne wäre er dabei gewesen, als der Torwächter das Mädchen bloßgestellt hatte. Noch an Ort und Stelle war die Teufelsbuhlerin nackend vor die Wachstube gebunden und der Öffentlichkeit preisgegeben worden. Zum Glück war Markttag und das Tor – wie wohl alle Tore dieser Tage – verstopft. So konnten der Läuterung wegen besonders viele brave Bürger der Sünderin ansichtig werden. Sich auf die Spiele des Teufels einzulassen, hatte noch niemandem gutgetan.

      Als man die Dirne des Satans in die Büttelei gebracht hatte, hatte sie freilich ihre Kleider wieder angehabt. Aber auch so war zu sehen, wie der Teufel ihre Gestalt und ihr Antlitz verführerisch geformt hatte. Nur so war es ihr möglich gewesen, die ehrbaren Studenten Weidner und Hinterthur in ihre ketzerischen Machenschaften zu verstricken. Einem jeden schönen Weibe wohnte der Teufel inne. Das wusste selbst Christian.

      Die Büttelei wurde Stockhaus genannt. Noch bis vor Kurzem, bevor man Käfige mit Schlössern hineingestellt hatte, waren die Delinquenten an Holzpflöcken – Stöcken – festgekettet worden, damit sie nicht ausreißen konnten. Dieses Stockhaus lag hinter dem Fischmarkt. Es war ein in der Tiefe lang gezogenes, windschiefes, bis an die südliche Stadtmauer reichendes Gebäude. Das nach der Büttelei benannte Stockgässel war so eng, dass hier nur eine Person gehen konnte. Aus diesem Grund und weil man nicht ins Stockhaus eingesperrt werden wollte, mied man diese Stockgasse im Allgemeinen.

      Es war Christian Vollhardt als Gassenrichter zwar gestattet, die Büttelei so ohne Weiteres zu betreten, nicht aber die Gefangenen zu besuchen. Die besonders ansehnliche Gefangene hätte er sehr gern näher betrachtet. Das Mädchen, das man für die gesuchte Carolina Müller hielt, schwieg beharrlich. Man war darin geübt, eine Teufelsbuhlerin zum Sprechen zu bringen und das mit Sicherheit nicht mit der Zankgeige. Da kannte man andere Hilfsmittel. Görlitz war berüchtigt für seine wirksamen Methoden. Dennoch hielten der Bürgermeister und der Züchtiger Alfons Sieder an der Reihenfolge fest. Ordnung musste sein. Da hatte sogar Christian Vollhardt ein Einsehen. Die Satansbraut musste zuerst auf dem Ring vorgeführt werden, danach musste sie einem Gericht und dann, wenn sie weiterhin schwieg, dem Scharfrichter zur peinlichen Befragung überführt werden.

      Christian kam wegen all dieser Aufregungen erst spät aus der Büttelei nach Haus. Er war froh, dass er nicht mit dem Trupp der Stadtdiener ein weiteres Mal durch die Gassen ziehen musste, um nach den übrigen beiden Ketzern zu suchen.

      Sein Mädchen hatte beobachtet, wie Vollhardt in seinem Haus verschwunden war, dann erst schlich es an der dicht um den Klosterplatz gedrängten Häuserzeile entlang und klopfte an die Tür des Schwertfegers. Drinnen tat sich zunächst nichts. Als die junge Frau schon längst ihre zweite Bettelrunde zum Neuen Markt fortsetzen wollte, hörte sie den Gassenrichter die Stiege herunterkommen.

      Er riss die Türe auf und stutzte. „Hatten wir uns nicht für nächste Woche verab …, was willst du?“ Christian schaute sich um. Die Stadt war in diesen Tagen wie ein aufgescheuchter Ameisenhaufen.

      „Die Leute geben nichts, weil sie dem Stadtschreier zuhören und mit ihren Einsetzen beschäftigt sind.“

      Christian hatte von den Wetten gehört. So etwas konnte er nicht gutheißen. Er zog das Mädchen in die Eingangsnische vor der Tür. Ins Haus ließ er sie aber nicht. Dass sich das Mädchen der Verabredung widersetzte, behagte ihm nicht. Er war der Mann! Er hatte die Zügel in der Hand! Er stellte die Bedingungen. Einmal wöchentlich! Alles andere war zu auffällig und würde ihn in Verruf bringen – und bankrott machen. „Was willst du?“

      „Sie sagen, ohne Papiere komme ich nicht wieder in die Stadt rein, weil sie doch die Geächteten suchen.“

      Christian hörte ihr ungeduldig zu. Er nickte, schaute sich auf der Gasse nach Zuhörern um. Da war niemand, nur ein herrenloser Hund, der sein Glück im Rinnstein suchte. „Ja und? Du hast gesagt, du hast einen Bürgen.“

      Sie schüttelte den Kopf. „Nicht ich selbst. Mein Vormund hat einen, aber der zählt für mich nicht mehr mit.“ Darauf ließ Christian ein Seufzen hören. Er mochte nicht, wenn das Vergnügliche Probleme mit sich brachte. Das Mädchen sprach gedämpft weiter. Eine Bürgerwürde müsse gekauft werden. Für die Papiere. „Oder zumindest einen eigenen Bürgen vorweisen.“ Ihre Augen blieben erwartungsvoll an Christian haften. Er forschte auf ihrem hübschen Gesicht. „Das Geld hab ich nie und nimmer!“ Ihre funkelnden Saphiraugen ruhten ungeniert in seinem Blick.

      Christian stutzte und zerrte sie ins Haus. Der erstickte Aufschrei, den sie von sich gab, fuhr ihm kribbelnd in den Bauch und tiefer. Er drückte sie gegen die Wand. Ihre Rundungen berührten seine Brust. „Und du meinst, ich würde dir die Papiere beschaffen?“

      Sie schaute ihn aus ihren Unschuldsaugen an, zuckte die Achseln. „Ich weiß nicht?“

      Er drückte sich fester an sie, spürte, wie sich ihr Körper versteifte. „Und du meinst, ich beschaffe dir die Papiere für nichts?“

      Sie schüttelte knapp den Kopf, wurde aber immer kleiner, als wollte sie mit der Wand verschmelzen. „Ich dachte, Ihr bezahlt mich nicht, bis die Schuld abgetragen wäre.“

      Christian lachte auf und ließ sie los. So groß der Reiz auch gewesen war, ein Kätzchen, dass sich vor Angst in einen nässenden Hund wandelte, wollte er nicht. Jetzt nicht. „Das kann dauern.“

      Sie nickte.

      Christian betrachtete sie. Er hatte keine Lust, sich eine Neue zu suchen. Es hatte lange gedauert, diese hier zu finden. Er wollte nicht akzeptieren, dass es sich als Fehler herausstellen sollte, eine Bettlerin gewählt zu haben. „Na schön. Bleib in der Stadt, verhalte dich ruhig, komme heut Abend wieder.“

      „Danke.“ Sie knickste.

      Er wollte nicht, dass sie knickste. „Ich mag nicht, wenn du das machst, du bist nicht meine Magd!“

      „Verzeihung“, sagte sie, wollte abermals knicksen, besann sich, lächelte schelmisch und gab ihm einen Kuss auf die Wange, was ihn überraschte. Sie wandte sich ab.

      „Warte …“ Widerwillig zückte er seine magere Geldkatze, in der es hell nach leichten Münzen klimperte. „Ich will nicht, dass du durchgefroren und ausgehungert wiederkommst.“

      Es widerstrebte ihm, sich abermals warm anzuziehen und hinüber ins Rathaus zu gehen. Andererseits war um diese Zeit dort so wenig Betrieb, dass er ungehindert die nötigen Siegel unter ein vorgefertigtes Papier würde setzen können. Es war mühsam, den neuen Markt zu überqueren, um zum Rathaus zu gelangen. So viele Leute tummelten sich hier. Hatten die kein Zuhause? Alles, was bei Sinnen war, war auf den Gassen. Man sprach über nichts anderes als das gefasste Mädchen. Aber da alles auf den Gassen war, war es um so ruhiger in den Amtsstuben. Ein verstaubter Sekretarius hinter einem Schwung von Papieren und aufgestapelten Büchern hielt die Stellung.

      Christian würde aus der Bettlerin keine Bürgerin machen. So weit kam es noch! Er würde ihr einen eigenen Bürgen geben. So würde sie ungehindert die Tore passieren können. Und da fiel ihm wohl zum allerersten Male auf, dass er nicht viel über sein Mädchen wusste, nicht die Herkunft, nicht das Gewerk des Vaters. Christian war sich nicht sicher, ob es ihm behagte, nichts über seine Kleine zu wissen. Dennoch hatte er das anfangs recht reizvoll gefunden.

      Er erklärte dem Sekretarius sein Anliegen. Der seufzte, als beschäftigte er sich den ganzen Tag schon mit nichts anderem als dem Problem, das die Stadträte frisch aus der Taufe gehoben hatten. Jeder dumpe Bauer, der die Stadt passieren wollte, brauchte nun einen Bürgen und sei es ein befreundeter Kaufmann oder eine wohlgesonnene Dame. „Selbst unser Doktor Joppener bürgt für die Wehmutter, damit sie vor den Toren die Kindlein auf diese beschissene Welt holen kann.“ Der Beamte schüttelt den Kopf. „Dabei gibt es der Bettler und Gesindel genug. Die brauchen sich nicht auch noch zu vermehren!“

      Christian mischte sich nicht in die schlechte Laune des anderen ein, setzte den Namen des Mädchens auf das Papier und seinen eigenen als Bürgen daneben.

      „Kenn ich nicht, wer ist das?“, ächzte der Sekretär mit Blick auf den Mädchennamen, gab aber dem Schriftstück ein Wachssiegel.

      „Meine Nichte, angeheiratet. Nicht Blutslinie.“