Herbstverwesung. Stefanie Randak. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefanie Randak
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783962298531
Скачать книгу
beiden waren schon eine ganze Weile unterwegs gewesen, als sie zufällig das Golden Horse Sporthotel erreichten.

      Ein glamouröser Ort, ein Ort für teure Wellnessurlaube, für stundenlange SPA Aufenthalte, für Golfspieler und Reiter. Hier übernachteten überwiegend wohlhabende Menschen, die ein paar Tage die Seele baumeln lassen wollten. Jedoch war das Golden Horse Sporthotel auch eine Bleibe für Durchreisende, die nur eine Nacht dort schliefen und sich am nächsten Tag wieder aus dem Staub machten. Hier herrschte ein tägliches Ein- und Auschecken. Kein Wunder, dass Angestellte wie die junge Courtney Black nicht nur sehr viele Menschen kennen lernten, sondern auch einiges über ihre Gäste und deren Leben erfuhren.

      Lorenzo und Eleonora beschlossen, sich drinnen im Speisesaal ein Abendessen zu genehmigen. Der Speisesaal des Hotels war sehr nobel. Der Fußboden war aus Marmor, weiße Säulen und Stuck an der Decke zierten den Saal, ein Streichorchester sorgte für romantische Stimmung. Das Paar genoss dort den spontanen Aufenthalt und Eleonora bekam endlich ihre Zweisamkeit, die ihr in den letzten Tagen so gefehlt hatte.

      Der Kellner brachte Lorenzo seine Ofenkartoffeln, Eleonora aß eine Gemüselasagne.

      Während sie in ihrer Auflaufform herumschnitt, wanderte ihr Blick an den Nebentisch. Da saß ein Mann, ganz alleine. Eleonora hatte ihn schon einmal irgendwo gesehen. Er war groß, gut gebaut, braunes Haar. Es war der Polizist, dem sie auf Red Side begegnet war, als sie Elisabeth Greenwood besucht hatte. Ob er in diesem Fall schon weitergekommen war? Seit sie auf Red Side gewesen war, fühlte sie sich unwohl und ihr geisterten komische Gedanken umher. Sie mochte den Gedanken nicht, dass dort jemand eingebrochen war und nicht für seine Tat bestraft wurde.

      Seit sie einen Einblick in Misses Greenwoods Leben bekommen hatte, war es nicht nur der Fall der Polizei. Nein, jetzt ging es auch sie etwas an. Sie wollte helfen, all die Geheimnisse zu lüften.

      „Ich komme gleich wieder, mia cara“, Eleonora wischte sich den Mund mit einer Serviette ab und erhob sich.

      Sie ging vorsichtig zu dem Tisch des Polizisten, des „Officers“, wie die alte Dame ihn stets genannt hatte.

      „Entschuldigung“, Eleonora sah den Mann an. „Darf ich Sie eine Minute stören?“ Der Detective schluckte sein Essen hinunter und nickte.

      „Bitte setzen Sie sich“, erwiderte er und deutete auf den freien Stuhl an seinem Tisch.

      „Mein Name ist Eleonora Bianchi. Ich bin vor kurzem mit meinem Freund hierhergezogen. Sie erinnern sich wahrscheinlich nicht mehr an mich. Wir sind uns vor kurzem auf dem Red Side Schloss begegnet, bei Elisabeth Greenwood im Hausgang.“

      „Doch, Ich erinnere mich“, nickte der Mann. „Ich bin Detective Frank Harris. Was kann ich für Sie tun, Misses Bianchi?“

      „Nun, ich habe mir seit meinem Besuch auf Red Side sehr viele Gedanken gemacht. Ich glaube nicht, dass jemand durch das Fenster gestiegen ist“, flüsterte Eleonora verschwörerisch.

      „Das glaube ich auch nicht“, nickte Mister Harris und schnitt mit seinem scharfen Messer in sein Lammsteak.

      „Als ich Misses Greenwood besucht habe, konnte ich einfach in das Schloss hineinspazieren. Die Türen waren nicht verriegelt. Es muss also jemand dort eingedrungen und den Ring gestohlen haben, der sich auf Red Side auskennt und wusste, dass er einfach durch die Tür gehen kann“, erklärte Eleonora stolz. „Misses Bianchi“, sagte der Polizist trocken und schluckte sein Essen hinunter. „Es gibt eine Überwachungskamera im Innenhof des Schlosses. Wir haben die Aufnahmen überprüft. Es gab keine Auffälligkeiten auf dem Video.“ Es war erniedrigend, dass es für Eleonoras Verdacht so eine einfache Gegenbestätigung gab.

      Er schnitt erneut ein Stück von dem Fleisch ab und stopfte es sich gierig in den Mund. Das Fleisch war noch roh und roch sehr intensiv nach Blut. Eleonora ernährte sich vegetarisch und konnte es nicht ausstehen, wenn jemand in ihrer Anwesenheit Fleisch aß. Ungewollt verzog sie ihr Gesicht.

      „Sind Sie sicher?“, stutze sie enttäuscht.

      „Ja, Misses Bianchi, ich bin sicher. Ich glaube nicht, dass es in jener Nacht einen Einbruch auf Red Side gegeben hat. Eine Fichte wurde vom Wind entwurzelt und ist durch das Fenster gefallen. Deshalb der Schaden.“ Mister Harris legte sein Messer auf den Tisch und schob es parallel zu seinem Löffel.

      „Angeblich wurde ein Juwelenring gestohlen“, protestiere Eleonora. So leicht ließ sie sich nicht abwimmeln.

      „Es gibt keine Beweise, dass Misses Greenwood überhaupt jemals in Besitz eines solchen Rings gewesen war. Sie ist eine alte Dame. Und sie ist verrückt. Es ist nicht auszuschließen, dass sie ein wenig senil ist und sich diese Geschichte nur einbildet“, er schob sich das letzte Stück Fleisch in den Mund und kaute darauf herum. „Halten Sie sich am besten von dem Fall fern. Und von der Greenwood“, meinte er und schluckte den letzten Happen hinunter. „Ich verstehe…“, nickte Eleonora. „Verzeihen Sie bitte, dass ich sie gestört habe“, nuschelte sie als Antwort. Der Detective nickte verabschiedend und platzierte seine Gabel parallel neben dem anderen Besteck.

      Betreten schlich Eleonora zurück zu Lorenzos Tisch. Eine Überwachungskamera? Sie hatte sich so in diesen Fall hineingehängt, sich tagelang Gedanken gemacht und war sich so sicher, dass Sie mit Ihrer Vermutung richtig gelegen hatte. Und jetzt kam auf, dass es eine Überwachungskamera gab, die bewies, dass es keinen Einbruch gab und Misses Greenwood den gestohlenen Saphir Ring erfunden hatte? Eleonora gab sich nicht damit zufrieden.

      Unwissend, dass im Speisesaal des Hotels zur selben Zeit, als Eleonora und Lorenzo sich ihr Abendessen schmecken ließen, nur ein paar Tische weiter, jemand saß, der Eleonora intensiv beobachtet hatte, und auch nicht vorhatte, sie aus dem Visier zu nehmen.

      Vollmond. Manche Leute erzählten, dass sie bei Vollmond schlecht schlafen würden und vermehrt Albträume hätten.

      Glaubt man zahlreichen Märchen, dann verwandeln sich manche Menschen bei Vollmond zu Werwölfen und verlieren ihren Verstand. Hört man auf das, was uns zahlreiche Sagen und Mythen lehren, können viele Menschen ihre Gefühle und Triebe bei Vollmond nicht bändigen und werden in den Wahnsinn getrieben. Ja, über die Nächte, in denen am Himmel der silberne Vollmond steht und über uns Menschen wacht, hat man schon viele grauenvolle und unerklärliche Geschehnisse gehört. Und so ging es auch Eleonora, die in der Nacht wach lag und sich von einer Seite auf die andere drehte. Sie hatte düstere Gedanken im Kopf über den Einbruch bei Misses Greenwood und ihre Puppen, die laut ihrer Besitzerin gerade im Wohnsalon umhertanzten. Vielleicht gab es doch noch einen der sieben Söhne auf Red Side? Sie zerbrach sich den Kopf über das, was der Kellner Lucas im Cafe zu ihr über Elisabeth Greenwoods Söhne gesagt hatte: „Es gibt Gerüchte, dass seine sechs Geschwister im Keller von Red Side in einem Kerker gefangen gehalten werden.“ Und da schoss es Eleonora in den Kopf:

      Vielleicht hat es wirklich keinen Einbruch auf Red Side gegeben. Aber vielleicht einen Ausbruch. Eleonora sah keinen anderen Weg: Sie musste zurück in das Schloss. Gleich am nächsten Morgen.

      „Du brauchst einen Vorwand, um zum Schloss zu gehen“, meinte Lorenzo, gar nicht begeistert von Eleonoras Plan. Es war ein Freitagmorgen und das junge Paar saß gemeinsam am Küchentisch und trank den morgendlichen Kaffee. Eleonora hatte ihm gleich nach dem Klingeln des Weckers von ihrem Vorhaben erzählt.

      „Was denn für einen Vorwand? Ich laufe mittags hin, zu der Zeit, wenn Misses Greenwood im Cafe Fresh ist. Dann laufe ich durch die Türe hinein und suche den Keller. Außerdem muss ich mir diese Puppen noch einmal genauer ansehen“, Eleonora schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, so euphorisch war sie. Der Kaffee schwappte über.

      „Du solltest dir auf jeden Fall einen Vorwand überlegen“, wiederholte Lorenzo und nahm einen Lappen, um den Tisch sauber zu wischen. „Für den Fall, dass die Alte früher nach Hause kommt.“ Seine Stimme klang besorgt. Er machte sich Sorgen um seine principessa. Sie war nicht glücklich in London, fühlte sich ungebraucht, langweilte sich, fand keinen neuen Job und steckte ihre kleine Nase deshalb in Angelegenheiten, die sie gar nichts angingen und seiner Meinung nach nicht ganz ungefährlich waren.

      „Na gut. Ich sage einfach,