■ In diesem Kapitel werden einige der Grundbegriffe der Thermodynamik eingeführt. Der Schwerpunkt liegt auf der Erhaltung der Energie – der experimentellen Beobachtung, dass Energie weder erschaffen noch vernichtet werden kann. Wir werden zeigen, wie man dieses grundlegende Prinzip nutzt, um Energieumwandlungen bei physikalischen und chemischen Prozessen quantitativ zu erfassen. Ein großer Teil dieses Kapitels befasst sich daher mit einer sorgfältigen Analyse aller Arten des Energieaustauschs zwischen System und Umgebung in Form von abgegebener oder aufgenommener Arbeit oder Wärme. Ein Ziel des Kapitels ist die Klärung des Begriffs Enthalpie, einer Eigenschaft, die uns ermöglicht, die Abgabe oder Aufnahme von Wärme bei physikalischen Prozessen und chemischen Reaktionen bei konstantem Druck zu verfolgen. Wir werden uns auch einen ersten Eindruck davon verschaffen, wie leistungsfähig thermodynamische Algorithmen für das Erkennen von Zusammenhängen zwischen verschiedenen Zustandsgrößen eines Systems sind. Dabei wird sich zeigen, dass man unbekannte Größen des Systems, die man nicht direkt messen kann, auch indirekt durch geeignete Kombination messbarer Eigenschaften erhält – ein Aspekt der Thermodynamik, der für die praktische Arbeit nützlich ist. Mithilfe der Beziehungen, die wir in diesem Kapitel herleiten werden, können wir unter anderem die Verflüssigung von Gasen erklären und das Verhältnis der Wärmekapazitäten eines Stoffs unter verschiedenen Bedingungen ermitteln.
Die bei einem Prozess freigesetzte Energie kann genutzt werden, um Wärme zu erzeugen (Brennstoff verbrennt in einem Ofen) oder mechanische (Brennstoff verbrennt in einer Wärmekraftmaschine) oder elektrische Arbeit (eine chemische Reaktion erzeugt einen Strom in einem Stromkreis) zu leisten. In der Chemie begegnen uns Reaktionen, die unmittelbar zur Wärme- und Arbeitsgewinnung ausgenutzt werden, Reaktionen, deren Produkte zwar benötigt werden, deren freigesetzte Energie jedoch ungenutzt (und oft zum Schaden der Umwelt) abgegeben wird, und schließlich Reaktionen, die Grundlage des Lebens selbst sind. Mithilfe der Thermodynamik, der Lehre von der Umwandlung der Energie, können wir all diese Vorgänge quantitativ auswerten.
2.1 Grundbegriffe
In der physikalischen Chemie teilt man die Welt zweckmäßigerweise in zwei Teile, das System und seine Umgebung. Das System ist der Teil, den wir untersuchen wollen; das kann ein Reaktionsgefäß sein, eine Maschine, eine elektrochemische Zelle, eine biologische Zelle und so weiter. Von der Umgebung aus betrachten wir das System und messen seine Eigenschaften. Die Art des Systems wird durch die Eigenschaften seiner Begrenzung zur Umgebung bestimmt (Abb. 2-1): Wenn durch diese Grenze hindurch ein Stoffaustausch zwischen System und Umgebung stattfinden kann, bezeichnet man das System als offen; kann kein Stoffaustausch stattfinden, ist es geschlossen. Sowohl offene als auch geschlossene Systeme können mit der Umgebung Energie austauschen. Beispielsweise kann ein System expandieren und dabei ein Gewicht in der Umgebung anheben; wenn ein Temperaturunterschied besteht, kann auch Wärme übertragen werden. Abgeschlossen nennt man ein geschlossenes System, das weder mechanisch noch thermisch mit der Umgebung in Kontakt tritt.
2.1.1 Arbeit, Wärme und Energie
■ Das Wichtigste in Kürze: (a) Um eine Bewegung gegen eine entgegen gerichtete Kraft zu bewirken, muss Arbeit geleistet werden. (b) Wärme beschreibt die Übertragung von Energie in Form von ungerichteter Bewegung auf molekularer Ebene; Arbeit ist die Übertragung von Energie in Form von gerichteter Bewegung.
Obwohl sich die Thermodynamik im Grunde mit Beobachtungen an makroskopischen Systemen befasst, können wir unser Verständnis enorm erweitern, wenn wir die Ursachen dieser Beobachtungen aufder Ebene der Moleküle im Auge behalten. Wir werden in jedem Fall zuerst mit den makroskopischen Phänomenen beginnen, auf denen die Thermodynamik aufbaut, und anschließend die Interpretation auf molekularer Ebene betrachten.
Grundlegende Definitionen
Die für die Thermodynamik grundlegende physikalische Eigenschaft ist die Arbeit: Arbeit ist eine Bewegung entgegen der Wirkung einer Kraft. Bei einem Prozess wird Arbeit verrichtet, wenn er im Prinzip dazu benutzt werden könnte, ein Gewicht in der Umgebung anzuheben. Ein Beispiel wäre ein Gas, das durch Ausdehnung einen Kolben bewegt, der wiederum ein Gewicht anhebt. Auch eine chemische Reaktion, die einen Strom durch einen Widerstand fließen lässt, verrichtet Arbeit, denn dieser Strom könnte genauso gut einen Motor antreiben, der dann das Gewicht hebt.
Abb. 2.1 (a) Für ein offenes System sind Stoff- und Energieaustausch mit der Umgebung möglich. (b) Bei einem geschlossenen System kann ein Energie-, aber kein Stoffaustausch mit der Umgebung stattfinden. (c) Für ein abgeschlossenes System sind weder Stoff- noch Energieaustausch mit der Umgebung möglich.
Unter der Energie eines Systems verstehen wir seine Fähigkeit, Arbeit zu verrichten. Wenn Arbeit an einem ansonsten abgeschlossenen System verrichtet wird (etwa durch Komprimieren eines Gases oder Spannen einer Feder), wächst die Fähigkeit dieses Systems, selbst Arbeit zu verrichten; seine Energie steigt also. Wenn das System Arbeit verrichtet (der Kolben gibt nach, die Feder entspannt sich), bedeutet dies eine Reduzierung seiner Energie, da es danach weniger Arbeit verrichten kann.
Durch Experimente kann man zeigen, dass die Änderung der Energie eines Systems (seiner Fähigkeit, Arbeit zu verrichten) nicht unbedingt durch Arbeit erfolgen muss. Wenn sich die Energie eines Systems als Folge einer Temperaturdifferenz zur Umgebung ändert, sagt man: Energie wurde in Form von Wärme übertragen. Bringt man eine Heizspirale in ein Becherglas mit Wasser (unser System), steigt die Fähigkeit dieses Systems, Arbeit zu verrichten (da Wasserdampf umso stärker expandieren kann, je heißer er ist). Nicht durch alle Grenzflächen hindurch kann ein Energietransfer stattfinden, selbst dann nicht, wenn eine Temperaturdifferenz zwischen System und Umgebung vorliegt. Wände, die einen Austausch von Energie in Form von Wärme erlauben, nennt man diathermisch; solche, bei denen das nicht möglich ist, heißen adiabatisch.
Ein Prozess, der Energie in Form von Wärme freisetzt, wird als exotherm bezeichnet. Verbrennungsreaktionen beispielsweise verlaufen grundsätzlich exotherm. Prozesse, denen Wärmeenergie zugeführt werden muss, nennt man endotherm. Ein Beispiel ist die Verdampfung von Wasser. Im Sinn einer kurzen und prägnanten Ausdrucksweise wollen wir uns auf folgende Sprachregelung einigen: Ein exothermer Prozess setzt Energie „in Form von Wärme“ in die Umgebung frei, ein endothermer Prozess entnimmt der Umgebung Energie „in Form von Wärme“. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass Wärme eigentlich ein Prozess ist (nämlich eine Energieübertragung infolge eines Temperaturunterschieds) und keine physikalische Größe. Wenn in einem Behälter mit diathermischer Wand ein endothermer Prozess abläuft, so strömt Energie in Form von Wärme in das System hinein, um die Temperatur auf die der Umgebung zu halten. Ein exothermer Prozess in demselben Behälter bewirkt die Übertragung von Energie in Form von Wärme an die Umgebung. Findet ein endothermer Prozess dagegen in einem Behälter mit adiabatischen Wänden statt, sinkt die Temperatur des Systems; ein exothermer Prozess bewirkt in diesem Fall einen Temperaturanstieg im System. Diese Eigenschaften sind in Abb. 2-2 zusammengefasst.
Die molekulare Interpretation von Arbeit und Wärme
Aus molekularer Sicht ist Wärme die Übertragung von Energie im Zusammenhang mit der zufälligen (ungeordneten) Bewegung der Moleküle in der Umgebung. Diese zufällige Bewegung nennt man auch thermische Bewegung. Durch die schnellere thermische Bewegung der Moleküle in der wärmeren Umgebung werden auch die Moleküle