Roter Mond. Miranda Gray. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Miranda Gray
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Эзотерика
Год издания: 0
isbn: 9783943793499
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einer Kehrtwendung ins Unterholz stürzte. Dornen rissen an ihren Kleidern und zerkratzten ihre Beine, als sie sich mühsam ihren Weg bahnte. In wilder Panik warf sie einen Blick zurück und glaubte zu erkennen, wie sich noch zwei weitere grässliche Schatten dem ersten zugesellten. Verzweifelt schlug sie gegen das Gebüsch; aber je stärker sie sich durchzuzwängen bemühte, desto enger hielt sie das Dornengestrüpp fest. Sie saß in der Falle, und das Entsetzen brach durch. Wimmernd kauerte sie sich zusammen und schlug die Hände vors Gesicht. Inbrünstig betete sie darum, dass sie sie nicht fänden, aber kurz durch die Finger blinzelnd sah sie, dass sie sich zielstrebig auf sie zubewegten. Sie kniff die Augen noch fester zusammen und schluchzte.

      Plötzlich schien ein glänzend weißes Licht vor ihr aufzustrahlen, das sie als brennend roten Schein hinter ihren geschlossenen Augenlidern wahrnahm. Sie riss entsetzt die Augen auf und sah die geisthafte Gestalt einer Frau inmitten dieses Lichts, die sich den Schatten zuzuwenden schien. Die Frau hob die Arme und rief einen einzigen Befehl, der die schrecklichen Schatten geduckt ins Dunkel zurückschleichen ließ. Die Frau neigte den Kopf, als lausche sie auf etwas, und Eva vernahm den fernen Klang des Jagdhorns, das weit weg nun zum Rückzug blies. Schließlich wandte sich die Frau Eva zu, während ihre schimmernde Aura langsam verblasste und sie nun groß und hell unter dem silbernen Licht des Vollmonds stand. In Eva trat Verwunderung an die Stelle von Furcht. Behutsam machte sie sich von den Dornen los und streckte ihre Finger aus, um die ausgestreckte Hand der Herrin des Mondes zu berühren.

      Die Herrin des Mondes lächelte: »Willkommen, Kind.« Und es schien, als hallte das Echo der Stimmen von Millionen von Frauen in Evas Seele wider. Sie glaubte, nie zuvor eine so schöne Frau gesehen zu haben, eine so geschmeidige silberweiße Haut und Augen, in denen sich das Mondlicht spiegelte. Sie trug ein langes, blassblaues Gewand und einen Überwurf um die Schultern, der von einer ziselierten Silberbrosche zusammengehalten wurde. Ihr langes Haar hing hell und lose den Rücken herab, und ein einfaches Stirnband schlang sich um ihre Stirn. Eva fühlte sich in ihrer Gegenwart sicher, und ein Gefühl überkam sie, dass sie diese Dame schon ihr Leben lang kannte. Die Herrin des Mondes führte Eva aus dem Unterholz heraus, und sie wanderten unter silberüberströmten Bäumen, als die Dame mit der sanften, musikalischen Stimme eines klaren sprudelnden Quells zu sprechen begann.

      »Das ist eine ganz besondere Nacht für dich. Das Rad des Lebens dreht sich nun vom Kindsein weiter zum Frausein. Meine Schwestern und ich werden dich durch diese Nacht führen, und obgleich du vielleicht nicht alles, was du siehst und fühlst, während du zu einer Frau wirst, verstehen wirst, wirst du doch wenigstens anfangen zu verstehen.

      Wenn du ein Kind bist, fließen deine Energien auf lineare Weise. Sie fließen ständig auf ein einziges Ziel zu, und dieses Ziel ist, geistig und physisch von einem kleinen Kind zur Erwachsenen heranzuwachsen. Auf diesem Weg verändern sich auch die Energien vom Linearen zum Zyklischen. Dann folgen deine Energien einem Rhythmus, der sich einmal im Monat wiederholt. Dieser Rhythmus wird für dich seine ganz persönliche Färbung annehmen. Ich bin hier, um dir zu helfen, dass du zu einem Bewusstsein darüber gelangen und diese verschiedenen Energien erspüren kannst.«

      Ihr Spaziergang hatte sie zu einer kleinen Waldlichtung geführt, und als Eva zum Mond hinaufsah, nahm ihr das Entzücken über den Anblick der Myriaden diamantener, auf den Wellen der Nacht tanzender Sterne fast den Atem. Für einen Moment tat sich der Himmel in seiner Tiefe auf, und sie blickte weit in die grenzenlose Unermesslichkeit des Universums hinein.

      »Als Frau bist du mit den kleinen und großen Rhythmen und Pulsschlägen des Universums verbunden.« Die Worte der Herrin des Mondes fielen als Flüstern in die ungeheure Weite des Raumes. »Seit unendlich langer Zeit, Generationen um Generationen, waren Frauen das Bindeglied zwischen Mensch und Universum. Mit der ersten Menstruation nahmen die Äffinnen eine andere Entwicklung als der Rest des Tierreiches, und jede Blutung wurde zu einer mit den Rhythmen des Kosmos übereinklingenden Uhr.«

      Die Worte zupften an Evas Seele und weckten in ihr die Sehnsucht, den Begrenzungen des Körpers zu entfliehen und sich mit dem Wandel der Sterne zu vereinen. Ein Schauer durchbebte ihr Rückgrat, und wie Wellen sich in einem Teich ausbreiten, erzitterte die Szenerie vor ihren Augen und verwandelte sich.

      Eva fand sich in einem riesigen dunklen runden Raum wieder, dessen Boden mit weißen und schwarzen Kacheln ausgelegt war. Im Zentrum des Raumes standen drei Dreifüße aus schwerer Bronze mit Schalen, aus denen Flammen schlugen, und ihr schummriges flackerndes Licht umgaben und erhellten eine sitzende Gestalt, das Gesicht von Eva abgewandt. Eva ging auf die Frau zu und merkte, dass die Herrin des Mondes ihr folgte.

      Auf einem massiven holzgeschnitzten Thron saß eine Frau von unbeschreiblicher Schönheit. Sie war in ein Gewand von fließender Seide gehüllt, ihr feines langes Haar fiel locker bis zum Boden herab und schien dort über und zwischen den Kacheln weiterzuwachsen. Zunächst sah es so aus, als sei sie von Kopf bis Fuß in den feinsten silbrigen Schleier gehüllt, bestickt mit zahlreichen schimmernden Juwelen. Bei näherer Betrachtung konnte Eva aber erkennen, dass diese Edelsteine in Wirklichkeit winzige Spinnen waren, die geschäftig an dem Schleier woben. Das Gesicht der Dame war still und heiter, und sie blickte in eine aus Silber geschmiedete, mit kristallklarem Wasser gefüllte Schale, die sie auf ihrem Schoß hielt. Eine tiefe Stille umgab sie, so als sei sie selbst zeitlos. Ihre Hände ruhten sanft auf dem Rand der Schale, und aus einem Schnitt an einer ihrer Fingerspitzen quoll ein kleiner hellroter Blutstropfen hervor. Eva sah zu, wie dieser Blutstropfen ins Wasser fiel, das sich sofort rot verfärbte.

      »Wer ist sie?«, fragte Eva.

      »Sie ist die Bewahrerin des Maßes«, antwortete die Herrin des Mondes. »Jeder Tropfen Blut ist ein Neumond und jede Träne ein Vollmond.«

      Unter den langen Augenwimpern der Dame sammelte sich eine einzige Träne, löste sich und rann ihre Wange hinab.

      »Wie lange ist sie schon hier?«

      »Seit das erste weibliche Wesen zu bluten anfing. In aller Zeit sitzt sie hier an diesem Ort, zählt die Rhythmen des Mondes und bemisst den Zyklus der Frauen. Frauen haben eine andere Zeit als Männer. Männer folgen der Sonne, während wir dem Muster des Mondes folgen. Von den Frauen kam das erste Zeitmaß.«

      Die Herrin des Mondes ergriff Evas Hand und führte sie durch eine Eichentür hinaus. Draußen war der Wald durch das Licht des Vollmondes erhellt, und Eva sah, als sie sich umwandte, dass sie eine große runde Hütte mit einem kegelförmigen strohgedeckten Dach, das wie ein Hügel hoch in die Nacht hinaufragte, verlassen hatten. Die Herrin des Mondes schloss die Tür, bückte sich und pflückte eine Rose von einem Busch neben dem Türrahmen. Sie reichte sie Eva hin.

      »Ein Geschenk von der Bewahrerin des Maßes.«

      Die Rose erstrahlte im Mondlicht in reinem Weiß, aber als Eva sie am Stiel hielt, verfärbte sie sich in ihrer Mitte rot, und nach und nach breitete sich die Farbe über alle Blütenblätter aus. Rhythmisch wechselte die Blume immer wieder von Rot zu Weiß zu Rot. Fragend blickte Eva auf und bemerkte, dass der Mond sich inzwischen verändert hatte. Es war Vollmond gewesen, doch jetzt sah sie einen abnehmenden Mond. Und nun wurde er zum dunklen Neumond, und dann erschien die Sichel des zunehmenden Mondes. Immer schneller durchlief der Mond alle seine Phasen, und ebenso wechselte die Blume in Evas Hand zyklisch ihre Farbe. Manchmal stand die weiße Rose in Übereinklang mit dem Vollmond und manchmal die rote. Eva verfolgte dieses Muster und bemerkte, dass der Zyklus der Blume zwischen Vollmond und Neumond hin- und herpendelte.

      Sie berührte mit dem Finger sanft die pulsierende Blume, und plötzlich wurden aus den weißen Blütenblättern blütenweiche Federn, die sich in die Lüfte erhoben. Überrascht lachte Eva auf, als eine weiße Taube hoch in den dunklen Himmel aufstieg.

      »Solange du im gebärfähigen Alter bist, wird dein Rhythmus dein Begleiter sein. Manchmal wird er mit dem Mondzyklus übereinstimmen, manchmal wird er länger, manchmal kürzer sein. Du wirst bei Vollmond bluten und vielleicht zuweilen bei Neumond. Alles das ist natürlich. Du bist dein eigener Rhythmus und es ist dein eigener Zyklus,