»Dies ist dein erstes Ei, deine Zeit des Eisprungs«, sagte der Hase. »Die Kräfte und Energien, die du als Jungfrau verspürtest, sind nun zu denen der Mutter herangereift. Vergeude diese Energien nicht. In der Vergangenheit wurden Frauen als starke und dynamische Wesen anerkannt, wie sie auch für ihre Kraft, Sorge zu tragen und zu nähren, geachtet wurden. Die Energien zum Zeitpunkt des Eisprungs sind anders. Sie vertiefen sich zu einem Ausdruck, der über deine eigene Person hinausgeht. Du wirst dich der tieferen Ebene deiner selbst bewusst und deiner Fähigkeit, selbstlos zu lieben und Fürsorge zu tragen. Zu diesem Zeitpunkt spiegelt dein schöpferisches Verlangen deine Umwelt wider.
Eva fühlte, wie die Ruhe der Lichtung sie überströmte, und wurde sich des Vollmondes bewusst, der in ihrem Geist wie auch in ihrem Schoß schien, aber auch am Nachthimmel. Sie fühlte sich in Harmonie mit dem Mond und allem, was sie umgab, und erfuhr ein Gefühl von Stärke, die sie dazu befähigte, anderen zu geben im Wissen, dass sie sie nähren und erhalten konnte. Ihre ganze Seele schien durch ihr Herz, ihre Augen und Hände zu scheinen.
»Zu dieser Zeit des Lichts wirst du vielleicht von Eiern oder Mondtieren träumen. Erinnere dich an diese Träume, und erkenne, dass sie deinen Eisprung ankündigen.«
Der Hase drehte sich um und entfernte sich hoppelnd ein wenig von ihr, um dann innezuhalten, als wollte er Eva einladen, ihm zu folgen. Nach einem Moment des Zögerns schloss sie sich ihm an, und die Mondtiere entschwanden ihrem Blick. Dunkelheit senkte sich wieder über die Lichtung.
Der Hase führte Eva durch den Wald zu einer sonnenbeschienenen Wiese. Der Duft von Wiesenblumen hing in der Luft, und alles pulsierte mit der Energie des Lebens. Eva wanderte durch das kniehohe Gras und merkte, dass es nur so vor Bienen und anderen Insekten wimmelte, die die Blumen aufsuchten. Riesige Margeriten wandten ihre Köpfe der Sonne zu, und Mohnblumen sprenkelten die Wiese mit leuchtendem Rot. Eva blieb stehen und atmete das sie umgebende Elixier des Lebens ein, sie wollte bleiben und die Schönheit genießen.
Doch der Hase drängte Eva ungeduldig weiter und führte sie zu einem grasbedeckten Hügel in der Mitte der Wiese. Am Fuße des Hügels führte eine Reihe von weißen Steinen ins Innere der Erde. Der Hase blieb stehen, seine Vorderläufe ruhten auf der obersten Stufe. Aus irgendeinem Grund war Eva unbehaglich zumute, trotzdem stieg sie etwas nervös die Treppe hinunter.
Nach dreizehn Stufen unten angekommen, fand sich Eva in einem Bogengang wieder, der von einer einzigen, in einer Halterung an der Wand steckenden Fackel erleuchtet wurde. Am anderen Ende des Bogengangs hing ein schöner grüner Vorhang, auf den alle möglichen Tiere, Vögel und Pflanzen aufgestickt waren. Im Scheitelpunkt des steinernen Bogengangs inmitten aller möglichen verschlungenen, die Motive des Vorhangs wiederholenden, eingemeißelten Figuren befand sich eine schalenförmige Höhlung. Behutsam schob Eva den Vorhang beiseite und betrat einen dämmrigen, kuppelförmigen und völlig runden Raum. Ein roter Teppich zog sich vor Eva über den Steinboden bis zu einem Podest auf der anderen Seite des Raumes. In seiner Mitte stand ein steinerner Thron mit einem dunkelroten Kissen, und zu beiden Seiten des Podestes befand sich je ein weiterer Bogengang, der mit einfachen roten und schwarzen Vorhängen verhängt war. Einer dieser Vorhänge wurde nun beiseitegeschoben, und eine Dame betrat den Raum.
Sie war groß, dunkelhaarig, hatte dunkle Augen, ein eher kantiges Gesicht und einen üppigen, sinnlichen Mund. Sie trug ein leuchtend rotes und tief ausgeschnittenes Gewand, das sich eng über ihre Brüste und Hüften spannte und dann in weiten Falten bis zum Boden fiel. Um ihre Hüften schlang sich ein goldbestickter Gürtel, und beim Gehen schwang sie ihren Körper rhythmisch hin und her. Eine Aura von Macht, von Sexualität, Hunger und Dunkelheit umgab sie. In ihren Augen glomm ein Versprechen. Eva war unbehaglich zumute, diese Frau ängstigte und faszinierte sie zugleich.
»Komm!«, sagte die Rote Herrin mit scharfer und herrischer Stimme. Sie ging durch den Bogengang, durch den sie gerade gekommen war, hielt den Vorhang auf und bedeutete Eva, hindurchzugehen. Drinnen war alles dunkel. Eva trat ein, wandte sich dann rasch um und konnte kein Licht von draußen hereindringen sehen. Ihre anfängliche Furcht wurde rasch von Müdigkeit und Lethargie abgelöst; die Dunkelheit war warm und tröstlich, und Eva hatte nicht den Wunsch, sich zu bewegen oder irgendetwas zu tun. Es irritierte sie allmählich, dass die Rote Herrin sie in der Dunkelheit allein gelassen hatte, und aus dieser Irritation wurde rasch Verärgerung und Frustration. Eva fühlte ihr Gesicht heiß werden und ihre Körpermuskeln verspannten sich.
Ganz allmählich wurde der Raum um Eva heller, bis er schließlich in ein hartes glänzendes Licht getaucht war. Die Rote Herrin stand vor Eva und hielt ihr einen großen hohen Spiegel vor.
»Wo bist du gewesen? Ich habe auf dich gewartet!«, fuhr Eva sie an und bedauerte sogleich, so unhöflich und aggressiv gewesen zu sein.
»Schau«, sagte die Rote Herrin und deutete auf den Spiegel. Eva trat vor, um besser zu sehen, und sah ein nacktes Spiegelbild von sich selbst. Verwirrt betrachtete sie diese Gestalt sehr sorgsam, denn obwohl es sich zweifellos um ihr Spiegelbild handelte, stimmte daran etwas nicht. Ihr Haar war glatt und fettig, ihr Gesicht fleckig und ihre Brüste und ihr Bauch waren schmerzhaft geschwollen. Eva wurde bei dieser Betrachtung allmählich schwindlig; sie hatte Kopfschmerzen und fühlte sich so mies, dass ihr die Tränen über die Wangen rannen und sie ihr Gesicht in den Händen verbarg.
»Was ist mit mir passiert?«, rief sie. »Ich sehe schrecklich aus. Ich hasse dich.«
Die Stimme der Roten Herrin drang durch ihr Selbstmitleid. »Schau noch einmal hin«, sagte sie scharf, »diesmal mit deinem inneren Selbst.«
Das Licht war nun weicher geworden, und Eva blickte zaghaft auf. Im schummrigen Licht sah sie ihre Brüste glänzend und rund wie Vollmonde. Ihr Bauch wölbte sich wie die Hügel der Erde, und diese weiblichen Körperrundungen gaben ihr ein Gefühl von Sinnlichkeit. Sie betastete ihren Körper, lehnte ihn nun nicht mehr ab, sondern öffnete sich der Veränderung, die in ihm vorgegangen war. Sie entsann sich der Bilder, die sie von uralten Göttinnen gesehen hatte, mit vollen Brüsten und runden Bäuchen, und fühlte, wie ein Annehmen dieser Gestalt sie überströmte. Ihr Haar war von strahlendem gesundem Glanz, ihre Haut leuchtete schimmernd, wie sie im Spiegel sah.
»Betrachte deinen Schoß«, sagte die Rote Herrin mit sanfter Stimme.
Im Spiegel sah Eva ihren Baum des Schoßes. Der Baum war prall und rot und pulsierte vor Energie inmitten einer mit Wasser gefüllten Kugel. Eva spürte, wie die Energie sie ins Innere zog, und wurde plötzlich hineingesogen. Dunkelheit umfloss sie wie Wasser, und sie hatte das Gefühl, hinunterzugießen durch düstere Tiefen eines Sees. Von oben sickerte grünes Licht ein, und unter ihr war das Rotschwarz des Urschlamms. Langsam versank sie in diesem Schlamm, bis die rote Dunkelheit über ihrem Kopf zusammenschlug. Ein einziger Atemzug der Dunkelheit schickte einen Kraftstrom durch ihren ganzen Körper und zwang Eva zum Tanzen, und ihre Bewegungen störten um sie herum rote und schwarze Wirbel auf. Eva spürte diese Dunkelheit in ihr, als sei sie im Chaos versunken und in der Urmaterie, aus der alles Leben geboren wird und in die alles Leben zurückkehrt.
Inmitten dieses Schlammes sah sie einen Lichtschimmer, und eine Mondsichel durchdrang die Düsternis. Eva griff danach und merkte, dass das, was sie für den Mond gehalten hatte, in Wirklichkeit die Hörner eines Stierschädels waren, vom Alter weiß gebleicht.
Eva packte diese Hörner wie einen Dolch und tanzte wirbelnd in der Dunkelheit umher, bewegte sich zu ihrem eigenen Rhythmus, steigerte sich zu ihrem eigenen Crescendo der Bewegung. Energie spann sich um sie zusammen, und im völligen Überschwang sah sie Kraftlinien sich wie rote Schlangen aus ihrem Schoß herauswinden und sich in die Dunkelheit entrollen. Sie warf den Kopf zurück, das Haar flog und sie schrie vor Entzücken. Es war eine rohe wilde Kraft, sie war die Zerstörerin, die Verschlingerin. Eine Halskette aus Totenschädeln schwang um ihre Schultern und ein Gürtel aus abgeschnittenen Armen um ihre Hüften. In ihrem Tanz schnitt sie das Alte durch und erzwang gnadenlos den Wandel und die Fortdauer der Zeit.
Plötzlich dröhnte