Zehn Minuten später traf der Helikopter ein. Brausend und dröhnend schwebte er auf eine Liegewiese, die man rasch geräumt hatte, herab.
Männer duckten sich im Rotorsturm und legten eine Vakuummatratze neben Stefanie Behrensen. Man hob sie ganz behutsam darauf. Bei diesem Transportmittel handelte es sich um einen Plastikbehälter in Matratzenform, der winzige Kunststoffkugeln enthielt. Sobald man Stefanie darauf gebettet hatte, wurde die Luft herausgesaugt, wodurch die Kugeln formschlüssig und unverschiebbar gegen die Hautoberfläche lagerten, so dass die Matratze wie ein gut anmodelliertes Gipsbett wirkte. Die junge Sportlerin wurde zum Hubschrauber getragen. Dr. Härtling begleitete sie.
In der Paracelsus-Klinik wurde Stefanie dann gründlich geröntgt. Biegungsstauchungsbruch lautete die Diagnose. Zwei Wirbelkörper drückten auf das Rückenmark und verursachten eine Querschnittslähmung der Patientin. Dr. Daniel Falk, der Chef der Chirurgie, entschied sich zu einer Laminektomie, um das Rückenmark freizulegen, das gegen Sauerstoffmangel ähnlich empfindlich ist wie das Gehirn.
Nur wenige Minuten genügen zur Nervenzellenerstickung. Man musste die drückenden Knochenbruchstücke schnellstens entfernen und brachte die Patientin deshalb unverzüglich in den Not-OP. Glück im Unglück war es für Stefanie Behrensen, dass sich die Schädigung nicht oberhalb des vierten Halssegments befand, denn in diesem Fall hätte der Ausfall des Zwerchfellnervs für sie spätestens nach wenigen Tagen tödliche Folgen gehabt.
Laminektomie, das ist nichts für Grobschmiede. Das ist allerheikelste Millimeterarbeit. Dr. Falk führte die Operation in Seitenlage der Patientin durch.
Der erfahrene Chirurg führte einen Längsschnitt über die Domfortsätze in Höhe der gebrochenen Wirbel und bemühte sich, dem Rückenmark Luft zu verschaffen.
Abschließend würde er zur Ableitung der Nachblutung eine Drainage einlegen, und dann würde man die Patientin auf die Intensivstation bringen...
32
Niemand durfte sie auf der Intensivstation besuchen. Sie brauchte absolute Ruhe. Ein als Arzt verkleideter Reporter schlich sich in die Paracelsus-Klinik ein und wollte Bilder von der Sportlerin schießen, doch man entdeckte ihn und warf ihn hinaus.
Im Hause Wylander herrschte eine sehr gedrückte Stimmung. Jan Wylander suchte das Gespräch mit seinem Sohn. „Ein schwerer Schicksalsschlag“, sagte er ernst. „Sehr tragisch.“
Die beiden Männer waren allein. Matthias saß mit hängenden Schultern auf dem Ledersofa und starrte Löcher in den Teppich. Sein Vater setzte sich neben ihn und seufzte schwer. Sie sahen einander nicht an.
Jan Wylander schüttelte den Kopf. „Eine solche Schönheit, jung, lebensfroh und dynamisch. Von einer Sekunde zur anderen ein Wrack. Gelähmt. Für immer an den Rollstuhl gefesselt. Warum muss es immer die Besten treffen?“
Matthias schwieg.
„Als du sie in unser Haus brachtest, war sie uns auf Anhieb sympathisch“, fuhr der Fabrikant fort. „Sie eroberte unsere Herzen im Sturm. Ich sagte zu deiner Mutter: ‘Der Junge hat endlich die Richtige gefunden.’ Das machte uns beide sehr glücklich. Und nun, nun liegt sie in diesem Krankenhaus und wird nie wieder gehen können ... Es ist mir unbegreiflich, warum das Schicksal immer wieder so grausam sein muss.“
Matthias knirschte so laut mit den Zähnen, dass sein Vater es hörte.
Jan Wylander legte seinem Sohn den Arm um die Schultern. „Wir sind manchmal schon sehr hart zusammengekracht, mein Junge, aber wir waren deshalb niemals richtige Feinde, und dieser tragische Schicksalsschlag schmiedet uns noch ein wenig mehr aneinander, so empfinde ich es jedenfalls.“
Matthias nickte schweigend.
„Wir haben Stefanie immer noch sehr gern“, sagte Jan Wylander dumpf. „An unseren Gefühlen für sie hat sich nach diesem Unfall nichts geändert.“
„An meinen Gefühlen auch nicht “, sagte Matthias mit belegter Stimme.
„Du liebst sie noch?“
„Ja, Vater“, krächzte Matthias.
„Sie ist gelähmt.“
„Sie kann nichts für dieses Pech“, gab Matthias düster zurück.
Jan Wylander fuhr sich mit der Hand über die Augen und leckte sich die Lippen. „Sie ist keine richtige Frau mehr ... Wenn du verstehst, was ich meine. Sie ist vom Bauchnabel abwärts gefühllos.“
„Ich bleibe trotzdem bei meinem Entschluss: Ich werde sie heiraten.“
„Hast du dir das auch gut überlegt?“
„Da gibt es nichts zu überlegen. Stefanie Behrensen wird meine Frau.“
„Die Ehe mit ihr wird eine schwere Last sein“, gab Jan Wylander zu bedenken.
„Meine Liebe wird mir helfen, sie zu tragen.“
Jan Wylander schüttelte überrascht den Kopf. „Da hat man einen Sohn, glaubt, ihn gut zu kennen, und plötzlich verblüfft er einen mit einem solch edlen Charakter. Junge, du hast ein Herz aus Gold, ich bin sehr stolz auf dich, und ich möchte dich bitten, mir zu verzeihen, dass ich dich all die Jahre verkannt habe.“ Vater und Sohn umarmten sich gerührt.
33
Zwei Wochen nach dem schweren Unfall besuchte Robert Rahner Stefanie Behrensen. Ihm wurde schwer ums Herz, als er das Krankenzimmer betrat.
Stefanie lag in einem Drehbett, das die Pflege erheblich erleichterte, weil man jederzeit ihre Auflagefläche verändern konnte.
Es war kein Problem, die Patientin mit einem raschen Griff um die eigene Achse, in Schräglage, rechts oder links, in Bauchlage und wieder in Rückenlage zu bewegen.
„Tag“, sagte Robert heiser.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Schön, dich zu sehen.“
„Ich wollte schon früher kommen ...“
„Hauptsache, du bist jetzt da“, sagte Stefanie leise.
Er kam langsam näher. Sein Blick glitt wie suchend über sie. „Wie geht es dir?“
„Das siehst du ja.“
„Hast du Schmerzen?“, fragte Robert.
„Nein.“
„Ich hätte nicht gedacht, dass du einmal so einen schweren Unfall