„Du meinst dein Brautkleid?“
„Es liegt in einer Truhe und ist so gut wie neu“, erklärte die quirlige Tante mit der für Italiener typischen Gestik. „Ich habe es nur ein einziges Mal angehabt, und es würde mich sehr glücklich machen, wenn du es zu deiner Hochzeit tragen würdest. Ich weiß nicht, wie das bei euch ist, bei uns in Italien soll eine Braut am Tag ihrer Hochzeit etwas Gekauftes, etwas Geliehenes und etwas Geschenktes tragen.“
Stefanie schüttelte den Kopf. „Hab’ ich noch nie gehört.“
„Möchtest du mein Brautkleid mal probieren?“, fragte Tante Maria mit südländischem Temperament. „Nur probieren. Wenn du hinterher nein sagst und meinst, du möchtest lieber ein anderes Kleid tragen, bin ich nicht gekränkt.“
„Einverstanden“, sagte Stefanie. Tante Maria nahm ihre Hand, verließ mit ihr auf dem kürzesten Wege die Fußgängerzone, hielt ein freies Taxi an und nannte dem Fahrer ihre Adresse.
Das Haus von Onkel Othmar und Tante Maria war geschmackvoll eingerichtet. Ohne den geringsten Stilbruch war hier antik mit modern zu einem behaglichen Ganzen gemischt.
Tante Maria holte das Brautkleid, und Stefanie zog es an. Es passte, als wäre es eigens für sie angefertigt worden. Maria Behrensen umarmte ihre Nichte mit Tränen in den Augen und sagte ergriffen: „Du siehst wie eine Märchenfee aus. Wie eine wunderschöne Märchenfee.“ Stefanie betrachtete sich von allen Seiten in den Spiegeln, vor denen sie stand. Ja, das war es. Das war das Kleid, nach dem sie so beharrlich gesucht hatte. Genau so wollte sie aussehen, wenn sie mit Matthias vor den Traualtar trat, um mit ihm den Bund fürs Leben zu schließen.
Tante Maria verdrehte die schwarzen Augen, küsste verzückt ihre Fingerspitzen und rief begeistert aus: „Schön! Wunderschön! Madonna mia, mir wird ganz heiß ums Herz!“
„Genauso hast du ausgesehen, damals“, lächelte Stefanie. „Ich erinnere mich noch genau. Dieses Bild wird mir unvergesslich bleiben.“
„Cara, ich muss dich umarmen und küssen. Ich muss einfach.“
Die Suche nach dem Brautkleid war damit zu Ende, und Stefanie Behrensen fieberte dem größten Tag in ihrem Leben ungeduldig entgegen.
28
„Vati.“
„Ja, Dana?“, antwortete Dr. Härtling und ließ die Zeitung sinken.
„Darf ich dich kurz stören?“
„Selbstverständlich“, sagte Sören Härtling. „Komm, setz dich zu mir.“ Er saß im Wohnzimmer auf dem Sofa und rückte ein Stück zur Seite.
Dana setzte sich neben ihn. Sie trug helle Jeans und eine farbenfrohe Sommerbluse, deren lange Ärmel sie hochgeschoben hatte. Sie klemmte die gefalteten Hände zwischen ihre Knie und seufzte leise.
„Kummer?“, erkundigte sich der Klinikchef.
„Eigentlich nicht.“
„Warum dann dieser tiefe Seufzer?“, fragte Sören Härtling.
„Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.“
„Rede einfach drauflos“, schlug Sören lächelnd vor.
„Ich bin irgendwie erleichtert“, sagte Dana.
„Erleichtert? Weswegen?“, wollte Sören wissen.
„War eine Schnapsidee, mit Perry Walewski in den südamerikanischen Urwald gehen zu wollen.“
Sören wiegte den Kopf. „Nun ja „Muss ein ganz schöner Schock für Mutti und dich gewesen sein.“
„Ich kann nicht behaupten, dass wir besonders begeistert waren“, gab Dr. Härtling zu.
„Ich hab’ mir das alles wohl etwas zu einfach vorgestellt. Ich war naiv. Inzwischen hatte ich aber reichlich Zeit, in Ruhe darüber nachzudenken, und nun bin ich ehrlich froh, dass sich Carmen Walewskis Onkel mit seiner Lebensgefährtin versöhnt hat und sie ihn wieder nach Südamerika begleiten wird. Ich habe inzwischen eingesehen, dass ich für diesen harten Job noch nicht geeignet wäre. Ich bin da einer verlogenen Abenteuerromantik aufgesessen, die mit der rauen Wirklichkeit nichts zu tun hat.“
„Du bist ein sehr gescheites Mädchen“, lobte Dr. Härtling seine Tochter.
„Weißt du, worüber ich sehr froh bin, Vati?“
„Nein. Worüber?“
„Dass ihr mir meine verrückten Flausen nicht gleich lautstark und kategorisch verboten habt, wie das vermutlich viele andere Eltern getan hätten“, sagte Dana. „Ihr habt mir die Möglichkeit gelassen, mich selbst zu entscheiden, und das rechne ich euch hoch an.“
Sören Härtling räusperte sich verlegen. „Nun, um der Wahrheit die Ehre zu geben, ganz so edel, wie du denkst, waren wir in dieser Angelegenheit doch nicht.“
Dana hob schmunzelnd die Hand. „Nur keine falsche Bescheidenheit. Ihr seid als Eltern mustergültig. Ich finde, das muss endlich mal mit aller Deutlichkeit gesagt werden.“
„Hör zu, Dana...“, versuchte es Sören Härtling noch einmal, doch da platzte die Tür auf, und Tom und Josee stürmten herein.
Dana gab ihrem Vater einen innigen Kuss auf die Wange. „Danke, Vati. Bei Mutti hab’ ich mich schon bedankt.“ Sören musterte sie überrascht. „So? Und was hat sie gesagt?“
„Nichts. Sie hat sich gefreut.“
Dr. Härtling lächelte weise. „Ja, wenn das so ist, dann freue ich mich auch.“
„Wir sind fertig, Vati!“, riefen Josee und Tom. „Gehen wir?“
Der Klinikchef erhob sich. Dana stand auch auf. Sören hatte Karten für ein Meeting besorgt, an dem die Turmspringerin Stefanie Behrensen teilnahm.
Die Familie Härtling wollte sich den Wettkampf geschlossen ansehen, auch Cäcilie freute sich schon darauf und alle hofften auf einen Sieg der sympathischen Sportlerin.
29
Robert Rahner hatte das Versprechen, das er sich selbst gegeben hatte, wahrgemacht. Er hatte sich mit nicht hundertprozentig lokalisierbaren Bauchschmerzen entschuldigt und wollte das Meeting, das hatte es bei ihm noch nie gegeben, von der Tribüne aus verfolgen.
Er saß in der ersten Reihe. Dr. Härtling und seine Familie hatten die Plätze neben ihm. Fernsehkameras waren positioniert. Hinter der Tribüne