Josee blinzelte zum Sprungturm hoch. „Ich hätte nicht den Mut, da runterzuspringen.“
„Ich schon“, tönte Tom.
„Angeber“, sagte Josee, die ihm nicht glaubte.
Sören Härtling neigte sich zu seiner Frau hinüber und sagte leise: „Ich hatte ein sehr gutes Gespräch mit Dana.“
„Ich auch“, lächelte Jana.
„Sie hält uns für die besten Eltern, die es gibt.“
„Ich denke, wir sollten sie in dem Glauben lassen.“
Sören schmunzelte. „Eigentlich hat sie damit ja nicht so unrecht.“
Ein Sprecher begrüßte die Gäste und nannte die Namen der Sportler, die sich eingefunden hatten, um sich in einem fairen Wettkampf zu messen (nach jeder Nennung wurde applaudiert, als Stefanies Name fiel, schrien die Zuschauer vor Begeisterung). Dann wünschte die Lautsprecherstimme allen Teilnehmern Glück, und damit war die Veranstaltung eröffnet.
Robert Rahner war nervös. Er hätte nicht gedacht, dass ihn das Wettkampffieber so sehr packen würde. Er hätte sich am liebsten umgezogen und mitgemacht.
Es juckte ihn gewaltig, obwohl er wusste, dass er niemanden mit seinem derzeitigen Formtief beeindruckt hätte. Dennoch wäre er auf einmal furchtbar gerne dabei gewesen.
Aber das ging natürlich nicht. Er war krank, und sein Name schien auf der Starterliste nicht auf. Er hatte sich selbst zum Zuschauen verurteilt, und er sagte sich, dass er so etwas nie wieder tun würde.
Er hatte Stefanie mit Matthias ankommen sehen. Reporter hatten die beiden sogleich umringt, und Stefanie Behrensen, die strahlende Königin der Turmspringerinnen, und ihr Prinz hatten souverän Hof gehalten.
Robert hatte sich in ihrer Nähe nicht blicken lassen. Er gehörte da nicht dazu. Es fiel ihm schwer genug, sich damit abzufinden, und es schmerzte ihn ganz besonders, wenn er in Stefanies Nähe war und das glückliche Glänzen in ihren Augen sah. O Gott, er wäre so gerne an Matthias Wylanders Stelle gewesen ...
30
Stefanie suchte aufgeregt ihr Maskottchen. Flippy war weg. Ihr Glücksbringer war nicht mehr da.
„Du kommst bald dran“, sagte Erik Frings, als sie noch einmal in die Umkleidekabine zurückkehren wollte.
„Ich kann nicht ohne meinen Flippy.“
„Mädchen, was soll das?“, brummte der Trainer unwillig. „Du hast den Stoffdelphin doch erst seit kurzem und hast die Wettkämpfe davor auch ohne Maskottchen mit großem Erfolg bestritten.“ „Aber jetzt soll es immer dabei sein.“
„Flippy ist ja dabei“, sagte Frings, „du kannst ihn nur nicht sehen.“
„Ich möchte ihn aber sehen.“
Erik Frings rang die Hände. „Ich bitte dich, Stefanie ...“
„Er bringt mir Glück.“
„Sei nicht abergläubisch“, stieß der Trainer unwirsch hervor. „Es ist doch nur ein Stofffisch.“
„Man hat ihn mir gestohlen.“
Frings schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Ich bin sicher, du findest ihn nach dem Wettkampf, tief vergraben in deiner Sporttasche. Würdest du dich jetzt bitte aufs Springen konzentrieren?“
„Wenn ich schlecht abschneide ...“
„Du hast in Berlin nicht besonders geglänzt“, sagte der Trainer nüchtern, „und da war dein Glücksbringer dabei. Ist damit nicht bewiesen, dass du dich nicht auf ihn verlassen kannst? Es ist immer noch der Mensch, der den Wettkampf gewinnt, nicht sein Maskottchen. Und jetzt geh bitte. Die Leute warten auf dich.“
Stefanie gehorchte widerwillig, aber sie hatte kein gutes Gefühl. Sie glaubte zu wissen, dass heute irgend etwas schiefgehen würde, und diese bohrende Ahnung machte sie nervös und unsicher. Als sie dann auf dem Sprungturm stand, versuchte sie total abzuschalten und sich nur auf ihren schwierigen Sprung zu konzentrieren.
Bisher war ihr das immer sehr gut gelungen. Ihre konstant hervorragenden Leistungen basierten vor allem auf ihrer außergewöhnlichen Konzentrationsfähigkeit. Doch diesmal bekam sie sich geistig nicht voll in den Griff.
Du musst springen!, drängte eine Stimme in ihr. Spring! Die Zuschauer warten! Spring endlich! Was ist denn los mit dir? Warum springst du nicht?
Sie sah die Menschen auf der Tribüne, sah Robert, sah Tante Maria und Onkel Othmar. Matthias sah sie nicht, sein Platz war leer.
Sie entdeckte ihn neben der Tribüne. Er sprach mit einer Blondine, die einen knallgelben, kurzärmeligen Overall trug. Das war Uschi Lang.
Spring!, befahl Stefanies innere Stimme, und sie spannte die Muskeln ...
31
Himmel, das geht schief!, dachte Robert Rahner erschrocken. Sein Herz wurde zu einem zuckenden Klumpen. Sie ist schlecht abgekommen!, durchfuhr es ihn.
Er sprang entsetzt auf, hielt den Atem an, verfolgte bestürzt Stefanies Flug. Er wusste besser als jeder andere, dass dieser Sprung mit einer Katastrophe enden würde.
Er sah, wie Stefanie sich verzweifelt bemühte, Flugwinkel und Körperhaltung zu korrigieren, und ihm war klar, dass sie das nicht schaffen würde.
Die Zeit reichte nicht mehr. Das Wasser war schon zu nahe. Das Wasser, das hart wie Beton war, wenn man aus so großer Höhe draufprallte.
Die Zuschauer begriffen erst, als die Katastrophe bereits passiert war, Robert Rahner sich in Jeans und Hemd ins Wasser gestürzt hatte und mit schnellen, kräftigen Zügen das Bassin durchpflügte.
Jetzt tauchte er unter und holte Stefanies leblosen Körper an die Oberfläche. Er brachte sie keuchend zum Beckenrand, und man hob die Verunglückte so vorsichtig wie möglich aus dem Wasser.
Dr. Härtling verließ die Tribüne und hastete um das Bassin herum. Zwei Männer stellten sich ihm in den Weg. „Ich bin Arzt“, sagte er atemlos.
Die Männer ließen ihn durch. Sanitäter eilten herbei. Dr. Härtling untersuchte die Bewusstlose. „Sieht nach einer Wirbelsäulenverletzung aus“, stellte er fest.
Der Sportarzt kam hinzu. „Da ist beim Transport allergrößte Vorsicht geboten“, sagte der Mann mit sorgenvoller Miene.