Die Operation an der betagten Journalistin Erika Mahn wurde für das Team zu einem harten Prüfstein. Zweimal war die magersüchtige Patientin klinisch tot.
Zweimal holte Dr. Berends sie ins Leben zurück. Trotzig kämpfte er gegen alle Widernisse an. Fünf Stunden operierte er. Es waren die schlimmsten fünf Stunden seines Lebens, aber er gab nicht auf. Er ließ sich nicht unterkriegen. Er wusste, dass die Frau eine geringe Überlebenschance hatte, und darum kämpfte er mit zäher Verbissenheit.
Und er gewann!
Das Team feierte ihn wie einen Helden, der eine aussichtslos scheinende Schlacht siegreich beendet hatte, doch Dr. Berends sagte seinen Mitarbeitern das Gleiche, was er Volker Ahlert gesagt hatte: „Ein Chirurg kann nur so gut sein, wie es das Team, mit dem er zusammenarbeitet, zulässt.“
Er begab sich erschöpft, aber glücklich in sein Büro. Wenn solch schwierige Operationen erfolgreich verliefen, fühlte er sich hinterher immer großartig.
Er hatte das Bedürfnis, seine Freude jemandem mitzuteilen. Wer war dafür besser geeignet, ihm sein Ohr zu leihen, als seine Frau. Dr. Charlotte Berends arbeitete nur halbtags in der Wiesen-Klinik.
Ein Blick auf die Uhr sagte dem Chefarzt, dass seine Frau inzwischen zu Hause eingetroffen sein musste. Er rief daheim an.
„Bei Dr. Berends“, meldete sich Therese Mansfeld.
„Hallo, mein Augenstern, wie geht es Ihnen?“, fragte der Chefarzt.
„Herr Doktor“, erwiderte die Haushälterin überrascht. „Ist etwas passiert?“
„Wieso?“, wollte er wissen.
„Weil Sie so fröhlich klingen“, antwortete Therese Mansfeld.
„Bin ich für gewöhnlich denn ein so unleidlicher Griesgram?“
„Das habe ich nicht gesagt, Herr Doktor!“, wehrte Frau Mansfeld sogleich ab.
„Also. Wie geht es Ihnen?“, fragte er nochmals.
„Gut. Und ... wie geht es Ihnen?“
„Prächtig“, antwortete der Chefarzt.
„Das freut mich für Sie“, sagte die Haushälterin ein wenig verwirrt.
„Ist meine Frau da?“, erkundigte sich Dr. Berends.
„Soeben eingetroffen. Soll ich sie rufen?“
„Ich bitte darum“, sagte Dr. Berends.
„Einen Augenblick“, sagte die Haushälterin. Dann hörte er ihre gedämpfte Stimme: „Frau Doktor... Es ist Ihr Mann ... Ich weiß nicht, er klingt so... so sonderbar... Er trinkt doch niemals in der Klinik.“
„Hallo, Richard“, meldete sich Charlotte. „Die Operation ist erfolgreich verlaufen, nicht wahr? Frau Mansfeld denkt, du hättest was getrunken.“
„Sage ihr, ich werde ihr tüchtig den Kopf waschen, wenn ich nach Hause komme!“, rief Dr. Berends mit gespieltem Unmut. „Ja, wir haben es geschafft. Der Patientin geht es den Umständen entsprechend gut. Weißt du, wonach mir heute ist?“
„In solchen Fällen gehst du gern mit mir aus“, erwiderte Charlotte.
„Sehr richtig. Ich möchte uns beiden eine kleine Freude machen. Was hältst du davon?“
„Sehr viel“, antwortete Charlotte. „Ich rufe gleich meinen Friseur an, und anschließend kaufe ich mir das neue Kleid, das wir neulich gesehen haben, und das dir so gut gefiel.“
Richard seufzte. „Wie sagte schon der weise Geheimrat Goethe: Es ist im Leben hässlich eingerichtet, dass neben den Rosen gleich die Dornen stehen.“
„Aber Richard, du weißt doch, dass ich nichts anzuziehen habe.“
„Wie alle Frauen hast auch du einen Schrank voll nichts anzuziehen, du Ärmste“, sagte der Chefarzt schmunzelnd. „Wenn ich Zeit habe, werde ich dich mal so richtig bedauern.“
Als er später nach Hause kam, empfing ihn Charlotte mit einer tollen Frisur und einem atemberaubenden Kleid.
Er stieß einen überwältigten Pfiff aus. „Donnerwetter. Ich ahnte ja nicht, dass das Kleid so schön ist.“
„Tja, es kommt eben immer auch ein bisschen auf den Inhalt an“, sagte die junge Frau schmunzelnd.
„Der Inhalt. Oja, der hat es mir schon vor langer Zeit angetan.“
„Tu nicht so, als befänden wir beide uns schon im Greisenalter“, sagte Charlotte.
„Also ich bin noch nicht einmal in den besten Jahren“, sagte Richard.
„Ach nicht?“, bemerkte die Internistin verwundert.
„Weißt du, die Sache ist nämlich die“, klärte der Chefarzt seine Frau auf. „Wenn ein Mann behauptet, er wäre in den besten Jahren, hat er die guten bereits hinter sich.“
Sie speisten in ihrem Stammrestaurant zu Abend, und Dr. Berends leistete sich zur Feier des Tages einen erlesenen Wein aus der Kellerei des Barons Rothschild.
Und sie leerten die Flasche auf Erika Mahns Wohl. Später, wieder zu Hause, sagte Charlotte: „Das war der schönste Abend seit langem.“
„Pst“, machte Richard und legte ihr den Finger auf den Mund. „Nicht so laut, sonst weckst du den kleinen Michael. Und Frau Mansfeld schläft bestimmt auch schon.“
„Zumindest tut sie so“, meinte Dr. Charlotte Berends. „In Wirklichkeit aber schließt sie kein Auge, bevor du nicht zu Hause bist.“
„Sie ist wie meine Mutter. Wenn ich mal die ganze Nacht fortblieb, sah ich ihr am nächsten Morgen an, dass sie nicht geschlafen hatte.“
Charlotte bohrte ihren Zeigefinger zwischen Richards Rippen. „Mich würde brennend interessieren, wo du dich damals so herumgetrieben hast.“
Richard lächelte. „Der Kavalier genießt und schweigt.“
„Auch noch nach so langer Zeit?“
„So etwas verjährt nicht“, sagte der Mediziner und begab sich mit seiner Frau nach oben.
Als sie dann im gemeinsamen Ehebett lagen, kuschelte sich Charlotte eng an ihn. „Ach, Richard, könnten nicht alle Tage so sein?“
„Ich hätte nichts dagegen, aber es bestünde die Gefahr, dass wir uns schnell daran gewöhnen. Und dann könnten wir uns über solche Tage gar nicht mehr richtig freuen. Es muss ab und zu ein Tief geben. Damit wir das Hoch dann um so mehr zu schätzen wissen.“
Charlotte küsste ihn auf den Mund. „Du bist ein sehr kluger, sehr weiser Mann, und ich liebe dich. Sag, wie war das damals, als du noch jung warst und deiner Mutter schlaflose Nächte bereitet hast. Willst du mir nicht doch verraten, was du damals angestellt hast?“
„Nein.“
„Warum nicht?“, fragte Charlotte enttäuscht.
„Weil du nicht alles zu wissen brauchst“, erklärte er.
„Ich bin deine Frau.“
„Eben“, sagte Dr. Berends amüsiert. „Was soll nun das schon wieder heißen?“, fragte die Medizinerin und wollte sich aufrichten, doch er legte seine Hand auf ihren Nacken und drückte sie an sich.
„Auch wir Männer sollten das eine oder andere kleine Geheimnis haben“, sagte er.
„Wozu?“, fragte Charlotte.
„Damit wir für euch interessant bleiben“, antwortete Richard.
„Stört es dich nicht, dass mich die Neugier